Die Presse am Sonntag

Der Computer als Trucker

Autonomes Fahren gilt als die Zukunftste­chnologie in der Automobilw­irtschaft. Doch noch vor den Pkw dürfte selbststän­diges Fahren bei Lastwagen üblich werden.

- VON JAKOB ZIRM

Gut 133 Meilen (rund 214 Kilometer) ist die Fahrt von Fort Collins nach Colorado Springs lang. 120 Meilen davon entfallen auf eine weitgehend gerade Autobahn. Auf dieser Strecke, die quer durch die Millionenm­etropole Denver führt, war im Herbst des Vorjahrs ein Lkw unterwegs. Soweit nicht ungewöhnli­ch. Der Fahrer des Lastwagens war jedoch während der gesamten Autobahnfa­hrt statt auf dem Fahrersitz hinten in seiner Schlafkabi­ne und ruhte sich aus. Es war die erste Testfahrt dieser Art, die auf einer öffentlich­en Straße durchgefüh­rt wurde.

Der Lastwagen sei dabei unterwegs gewesen „wie ein Zug auf Schienen aus Software“, sagt Anthony Levandowsk­i in einem Video über den Fahrversuc­h. Levandowsk­i war der technische Leiter von Googles Projekt für selbstfahr­ende Autos, bis er im Jänner 2016 dem Internetko­nzern den Rücken kehrte und sein eigenes Start-up namens Otto gründete – das sich bereits im Sommer von Uber kaufen ließ. Otto entwickelt Umrüstungs­sets, die aus konvention­ellen Lkw selbstfahr­ende Lastwagen machen sollen. Für nur rund 30.000 Dollar sollen Kamera, Radar- und Lasersenso­ren sowie die Software (vor allem extrem genaue Karten) künftig erhältlich sein.

Autonomes Fahren gilt als die Zukunftste­chnologie der Autoindust­rie. Doch während der Durchbruch bei Personenkr­aftwagen vor allem aufgrund der Kosten für die Sensortech­nik noch einige Zeit dauern dürfte, könnte die Technik bei Lastwagen bereits schnell auf breiter Basis Anwendung finden. Kein Wunder also, dass auch andere Pioniere des autonomen Fahrens wie der US-Elektroaut­oherstelle­r Tesla auf das Thema setzen. Tesla-Chef Elon Musk erklärte erst in der Vorwoche, noch im September einen eigenen Sattelschl­epper vorstellen zu wollen. Zusätzlich zum selbststän­digen Fahren soll dieser natürlich auch noch über einen Elektroant­rieb verfügen.

Bei Otto setzt man indes noch auf konvention­elle Antriebste­chnik. Umgerüstet wurden bisher herkömmlic­he Lkw von Volvo. Aber auch die Schweden selbst arbeiten seit Längerem an der Technologi­e. Sie testen selbstfahr­ende Lkw seit September 2016 sogar in einer schwedisch­en Mine rund 1300 Meter unter dem Meeresspie­gel. Die engen und dunklen Gänge stellen für die Sensortech­nik dabei nämlich ein besonders schwierige­s Umfeld dar.

Bereits ein Jahr zuvor hat auch der deutsche Daimler-Konzern erstmals einen selbstfahr­enden Lkw auf die Autobahn in der Nähe von Stuttgart geschickt. Am Steuer saß damals publikumsw­irksam Wolfgang Bernhard, Chef der Lkw-Sparte, neben ihm Winfried Kretschman­n, der Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g. Auch hier absolviert­e der Lkw das Mitschwimm­en im Autobahnve­rkehr problemlos. Aufgrund der deutschen Gesetze musste Bernhard jedoch auf dem Fahrersitz bleiben und die Hände in der Nähe des Lenkrads belassen.

Für nur rund 30.000 Dollar sollen Kamera, Sensoren und Software erhältlich sein.

Mehr Effizienz. So sind es auch eher rechtliche denn technische Fragen, die selbstfahr­ende Lkw derzeit noch bremsen. Denn nur wenn der Fahrer sich zurückzieh­en darf und im fahrenden Truck seine Ruhezeit einhalten kann, spielt die Technologi­e ihre Vorteile wirklich aus. „Für eine Strecke von 500 Meilen braucht ein Lkw zehn Stunden. Der Fahrer erhält in dieser Zeit seine ganze tägliche Ruhezeit“, so Levandowsk­i. Vor allem für jene Fahrer ein Vorteil, die selbst auch Eigentümer ihres Lkw sind, wie sie es in den USA noch oft gibt. Aber auch sonst könnte die tägliche Nutzungsze­it eines Lkw de facto verdoppelt werden.

Die tägliche Nutzungsze­it eines Lkw könnte de facto verdoppelt werden.

Die höhere Effizienz dürfte die Kosten massiv senken. So kostet derzeit der Transport einer Lkw-Ladung von Los Angeles nach New York 4500 Dollar. 75 Prozent dabei sind die Arbeitskos­ten des Fahrers. Wird die Zeit in Summe effiziente­r genutzt, könnten die Lkw auch langsamer fahren, was wiederum Sprit spart.

Vor allem auf der Autobahn scheint es also nur mehr eine Frage der Zeit zu sein, bis leere Fahrerkabi­nen bei Lkw zur Normalität werden. Bei den Streckente­ilen abseits der Highways sowie für die Kontrolle der Frachtpapi­ere werde man allerdings vorerst sicherlich noch weiter Fahrer benötigen, beruhigt man bei Otto. Schließlic­h geht es dabei um Tausende Jobs. So sind in den USA drei Millionen Menschen als Lkw-Fahrer tätig. Hierzuland­e sind es etwa 70.000.

Die Befürworte­r der selbstfahr­enden Lkw führen jedoch noch ein anderes Argument ins Treffen, und zwar die höhere Sicherheit. In den USA gibt es jedes Jahr etwa 400.000 Unfälle mit Lkw-Beteiligun­g, in Österreich waren im Jahr 2015 Lastwagen in 3600 Unfälle verwickelt, bei denen immerhin 20 Todesopfer zu beklagen waren. Der häufigste Grund für die Unfälle: menschlich­es Versagen.

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