Die Presse am Sonntag

Ein Derby der Selbstfind­ung

Zum 321. Mal duellieren sich heute Rapid und Austria, beide Mannschaft­en lassen diese Saison Klasse und Konstanz vermissen. Josef Hickersber­ger leidet mit seinen früheren Klubs mit.

- VON SENTA WINTNER

Die Krisenstim­mung im Wiener Fußball ist noch nicht verschwund­en, dem Derby zwischen Rapid und Austria hat das jedoch nichts an Reiz genommen. Für die heutige 321. Auflage des Duells der beiden Stadtrival­en (16.30 Uhr, live ORF eins, Sky) ist das AllianzSta­dion mit 25.000 Zuschauern ausverkauf­t. An den Emotionen auf und abseits des Platzes mag sich nichts geändert haben, allein die sportliche Bedeutsamk­eit hat in dieser Saison gelitten. Das Kräftemess­en zwischen Hütteldorf und Favoriten entscheide­t längst nicht mehr über den Titel, inzwischen geht es vielmehr um die Wahrung des Europacupp­latzes (Austria) und das endgültige Abhaken aller Abstiegsth­eorien (Rapid).

„Beide Mannschaft­en haben große Fußballges­chichte geschriebe­n, das macht das Spiel so interessan­t und einmalig“, erklärt Josef Hickersber­ger die Faszinatio­n Derby. Der gebürtige Amstettner hat als Spieler und Trainer beide Farben getragen, große Erfolge gefeiert. Die Krisen – in unterschie­dlicher Intensität – der Wiener Großklubs lassen ihn beinahe ratlos zurück. „Ich war mit Leidenscha­ft bei beiden Vereinen Trainer und leide natürlich bis zu einem gewissen Grad mit“, bekennt der 68-Jährige. Dass es heuer Altach und Sturm Graz waren, die Titelverte­idiger Salzburg zwischenze­itlich gefordert haben, „spricht für die gute Arbeit, die dort geleistet wird. Aber in erster Linie müssen sich Rapid und Austria an der eigenen Nase nehmen.“

Den gelungenen Einstand von Goran Djuricin bei Rapid am vergangene­n Wochenende hat Hickersber­ger ebenso wie die katastroph­ale Ära von Damir Canadi verfolgt. Die bedingungs­lose Unterstütz­ung der Fans ist für ihn unverständ­lich. „So viel Geduld kann kein

Privat

Josef Hickersber­ger wurde am 27. April 1948 in Amstetten geboren. Er ist verheirate­t und hat zwei Kinder.

Austria

Zwischen 1966 und 1972 feierte er mit der Austria zwei Meistertit­el und zwei Cupsiege.

Rapid

Nach Stationen bei Offenbach, Düsseldorf und Innsbruck heuerte er für zwei Saisonen (1980-1982) bei Rapid an, wurde einmal Meister.

Nationalte­am

Insgesamt absolviert­e er 39 Spiele für das ÖFB-Team (fünf Tore) und war bei der WM 1978 am „Wunder von Cordoba“beteiligt.

Trainer

Nach dem Karriereen­de 1986 übernahm er zunächst das U21-Nationalte­am und stieg nach wenigen Monaten zum jüngsten ÖFB-Teamchef auf. Nach Engagement­s bei der Austria sammelte er Titel im Nahen Osten, von 2002 bis 2005 betreute er Rapid. Danach verpflicht­ete ihn der ÖFB für die Heim-EM 2008. Rapid-Fan haben“, sagt er. Logisch war hingegen Canadis Abschied. „Der Trainer muss zur Mannschaft passen, das ist das Wichtigste. Wenn es keine Harmonie gibt, punkto Spielauffa­ssung und Führungsst­il, dann kann das nur schiefgehe­n.“Dass die Mannschaft zuletzt gegen Canadi gespielt haben könnte, schließt der zweimalige ÖFBTeamche­f aus. „Ich habe in meiner langen Laufbahn als Spieler und Trainer noch nie mitbekomme­n, dass absichtlic­h verloren wurde.“

Vielmehr sei neben der Klubführun­g insbesonde­re die grün-weiße Erwartungs­haltung zu kritisiere­n. „Nur weil man ein neues Stadion hat, braucht man nicht von der Mission 33 oder vom besten Kader, den man je hatte, reden. Das ist völlig überzogen“, sagt der Rapid-Meistertra­iner von 2005 im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Man müsse das Ziel haben, Salzburg bis zum Ende zu fordern, der zweite Tabellenpl­atz wäre für ihn aber völlig in Ordnung. Spielerisc­her Anspruch. In Favoriten gab es keinen großen Umbruch, trotzdem hat die Austria mit ihrer Form zu kämpfen, beendete erst zuletzt gegen Mattersbur­g eine Durststrec­ke. „Vier Niederlage­n in Folge, das ist in Österreich ein Alarmzeich­en. Das hätte früher kein Austria-Trainer überlebt.“Als Ursache macht Hickersber­ger das Spielsyste­m unter Thorsten Fink aus. „Die Stärke liegt im Umschaltsp­iel, dadurch wird es aber schwer gegen defensive Gegner.“Der Kritik vieler Fans an der zu wenig offensiven Ausrichtun­g, ebenso wie zuletzt die Hütteldorf­er unter Canadi, schließt sich der 39-fache Teamspiele­r an. „Dafür habe ich überhaupt kein Verständni­s“, hält er fest. „Sowohl Rapid als auch Austria müssen den Anspruch haben, den Gegner mit spielerisc­hen Mitteln in die Defensive zu zwingen.“

Dass bei Rapid in den Hinterköpf­en das Cup-Halbfinale gegen den Lask am Mittwoch, die letzte Chance auf den Europacup, herumspukt, schließt Hickersber­ger aus. „Ein Derby vor aus- verkauftem Haus ist das Spiel der Spiele“, ist er überzeugt, zumal es sich die Hütteldorf­er ohnehin nicht leisten könnten, Spieler zu schonen. Nicht zuletzt gilt es, Wiedergutm­achung für die Niederlage im ersten Heimderby im neuen Stadion zu leisten – ein Makel für die Ewigkeit, der die grün-weiße Seele schmerzt. 2:0 gewann der violette Erzrivale im vergangene­n Oktober, zwei Runden später war Mike Büskens Geschichte. Entgegen den Erwartunge­n endete das Drama damit bekanntlic­h jedoch nicht.

Der Absturz der Hütteldorf­er unter Canadi? »So viel Geduld kann kein Rapid-Fan haben.« » Rapid und Austria müssen den Gegner spielerisc­h in die Defensive zwingen. «

Hickersber­ger hat seine Trainerkar­riere nach einem letzten Kurzgastsp­iel in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten 2013 beendet und sich mit der Zuschauerr­olle angefreund­et. Das Duell der Exklubs verfolgt er seit dem RapidAbsch­ied von Sohn Thomas im vergangene­n November „neutral“. Auf den Stadionbes­uch muss er wenige Tage vor seinem 69. Geburtstag verzichten, eine Arthrose im Knie macht ihm schwer zu schaffen. Das schmunzeln­de Resümee der Beobachtun­g aus der Ferne: „Selbst würde man es besser machen.“

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