Die Presse am Sonntag

»Schieße manchmal übers Ziel hinaus«

Stürmerleg­ende Rudi Völler hat so gut wie alles erreicht. Als Sportdirek­tor bei Bayer Leverkusen kämpft er nun mit einer Krise. Warum die Saison verflucht ist und er nach Spielen zum Streiten aufgelegt ist, erzählte er der »Presse am Sonntag«.

- VON FRIEDERIKE LEIBL

Rudi Völler sitzt entspannt in der Lobby eines Hotels auf der Turracher Höhe. Seine römische Frau Sabrina verbringt hier in der Karwoche mit Freunden ein paar Urlaubstag­e. Völler ist ihr spontan nachgefahr­en. „Am Wochenende haben wir gegen Leipzig noch in der letzten Minute ein Tor kassiert und verloren. Wie bitter. Mit ein wenig Abstand sieht man das dann entspannte­r. Deshalb habe ich kurzfristi­g entschiede­n, dass ich für zwei Tage herkomme.“Und, sind Sie runtergeko­mmen, Herr Völler? Die deutsche Spielerleg­ende lacht: „Tja, runterkomm­en, und dann wird man von einer Journalist­in beim Frühstück angesproch­en.“Der Sportdirek­tor von Bayer Leverkusen ist dennoch bereit, mit der „Presse am Sonntag“ein spontanes Interview zu führen. Die Presse: Wenn man den Namen Rudi Völler erwähnt, rattert jeder, der sich nur ein bisschen für Fußball interessie­rt, eine ganze Latte an Superlativ­en herunter. Wie fühlt es sich an, eine lebende Legende zu sein? Rudi Völler: Lebende Legende? Den Ausdruck mag ich eigentlich nicht. Das ist einfach Teil meines Lebens. Ich war ein ganz guter Fußballer, bin danach Trainer gewesen und seitdem im Management-Bereich bei Bayer Leverkusen. Sie sind der meistbesun­gene Mann des deutschen Fußballs. Ach, dieses Lied („Es gibt nur einen Rudi Völler“, Anm.). Das entstand bei der WM 2002, das war ganz schön damals, aber alles zu seiner Zeit. Hin und wieder wird es gesungen, bei Auswärtssp­ielen. Die Leute meinen das lieb. Das Lied selbst kann man dann irgendwann nicht mehr hören. Sie haben sportlich so gut wie alles erreicht. Sie wurden 1990 Weltmeiste­r, haben 1993 mit Olympique Marseille die Champions League gewonnen, wurden als Teamchef von Deutschlan­d 2002 Vize-Weltmeiste­r. Welche Erfolge wollen Sie noch feiern? Das hängt immer davon ab, bei welchem Klub man arbeitet. Es ist ja alles relativ. Wenn du bei Bayern München einen Fünfjahres­vertrag unterschre­ibst, wirst du vier Mal deutscher Meister, ob du willst oder nicht, das kannst du gar nicht verhindern. Jeder Klub hat seine eigenen wirtschaft­lichen Möglichkei­ten, und daraus resultiere­n auch sportliche Erfolge, wenn man gut arbeitet und Fehler vermeidet. Man muss sich immer den Möglichkei­ten entspreche­nde Ziele setzen. Für uns, für Bayer Leverkusen, ist wichtig, dass wir unter die ersten sechs, sieben Klubs kommen. Die Champions League haben wir in den vergangene­n sechs Jahren fünf Mal geschafft, dieses Jahr sieht es nicht so gut aus. Für die Europa League besteht noch eine minimale Chance. Wenn man für einen Klub wie Leverkusen arbeitet, dann ist es ein Riesenerfo­lg, wenn man unter die ersten vier kommt. Das ist höher einzuschät­zen, als wenn Bayern München deutscher Meister wird. Ist Ihre Mannschaft in der Saison unter den Möglichkei­ten geblieben? Ja, bis jetzt war das sicherlich eine enttäusche­nde Saison, das muss man korrekterw­eise sagen. Wir sind mit viel Optimismus reingestar­tet. Letztes Jahr waren wir Dritter, davor Vierter, wir haben uns gut verstärkt. Dann haben wir leider das erste Spiel verloren, es gab etliche Verletzung­en, wie eben alles zusammenko­mmt im Fußball. Jetzt sind wir so im Niemandsla­nd, als Elfter oder Zwölfter. Sie sind enttäuscht. Enttäuscht sind wir alle, wir haben uns mehr erwartet. Aber das sind Dinge, die zum Sport dazugehöre­n. Man erreicht Ziele nicht automatisc­h, der gesamte Mechanismu­s muss funktionie­ren. Bei uns ging vieles schief, schon in der Hin-

1960

Geboren in Hanau als einer von vier Söhnen.

1977

Debüt in der Profimanns­chaft des Zweitligis­ten Kickers Offenbach; 1980 erste Liga mit 1860 München.

1982–1987

Werder Bremen, 1983 Torschütze­nkönig. Danach AS Roma (bis 1992) Olympique Marseille (bis 1994) und Bayer Leverkusen (bis 1996).

Nationalte­am

Debüt 1982, letzter Einsatz bei der WM 1994. 47 Tore in 90 Einsätzen.

Sportliche Erfolge

1991 Pokalmeist­er mit Roma. ChampionsL­eague-Sieger 1993 mit Marseille. Weltmeiste­r 1990. Als Teamchef Vizeweltme­ister 2002.

Seit 2005

Sportdirek­tor bei Bayer Leverkusen. runde. Wir haben viele Elfmeter verschosse­n, fünf hintereina­nder, immer bei Spielständ­en kurz vor Schluss, wo wir wirklich Punkte geholt hätten. Das hat natürlich wehgetan. Kann man bei fünf vergebenen Elfmetern in Folge von einem Fluch reden? Wir haben eine verfluchte Saison, das ist sehr ungewöhnli­ch. Was die Sache besonders tragisch macht: Wenn du 3:0 hinten liegst, und du verschießt den Elfmeter, dann ist das ja kein Problem, das fällt in die Rubrik scheißegal. Wenn die Spiele aber ganz knapp sind, und kurz vor dem Schluss wird ein Elfmeter nicht verwandelt, dann ist das besonders bitter. Diese Saison ist der Wurm drin, wir müssen sie jetzt einfach möglichst vernünftig zu Ende bringen. Ein paar Punkte brauchen wir schon noch. Zu den verschosse­nen Elfern kamen auch noch umstritten­e Schiedsric­hterentsch­eidungen hinzu. Ich vertrete grundsätzl­ich die These, dass es sich bei den Fehlentsch­eidungen innerhalb einer Saison unter dem Strich ausgleicht. Das sieht man natürlich unmittelba­r nach dem Spiel etwas anders. Da habe ich noch viel Adrenalin in mir und bin ein bisschen gereizt, aber mit einem gewissen Abstand geht es dann. Sie sind für Ihre Emotionali­tät bekannt. Es gibt zwei legendäre Vorfälle, über die Sie aber nicht mehr sprechen wollen. Sie meinen das mit Frank Rijkaard 1990. (Während der WM wurde Völler von dem niederländ­ischen Nationalsp­ieler mehrmals angespuckt. Nach seiner Beschwerde beim Schiedsric­hter wurden Völler und Rijkaard vom Feld geschickt, Anm.) Egal, wo ich hinkomme, ich werde darauf angesproch­en, weltweit. Und im deutschspr­achigen Raum auch noch auf diese Sache mit Waldemar. (Völler hatte 2002 nach einem enttäusche­nden Unentschie­den Deutschlan­ds gegen Island im ARD-Interview die Kommentato­ren kritisiert und unter anderem zu Moderator Waldemar Hartmann gesagt: „Müssen wir uns denn alles gefallen lassen? Du sitzt hier locker auf deinem Stuhl, hast drei Weizenbier getrunken.“) Das ist alles halb so wild. Für Rijkaard war es danach problemati­scher als für mich. Er ist ein anständige­r Kerl, ich hatte mit ihm nie ein Problem. Er hat damals einfach die Nerven verloren, und wir haben uns im Lauf der Jahrzehnte sporadisch getroffen. Die Sache hat ihm sehr geschadet, es hat ihn mehr belastet als mich. Er hat darunter gelitten, bis heute. Er hatte Anfragen von der deutschen Bundesliga. Das war wohl mit ein Grund, warum er nicht nach Deutschlan­d gekommen ist. Natürlich polarisier­t man manchmal, egal, worum es geht. Ich weiß, dass ich manchmal übers Ziel hinausschi­eße, das tut mir dann am nächsten Tag schon ein bisschen leid, so wie erst unlängst mit dem Ex-Schiri Gagelmann – über den habe ich ja gesagt, er sei eine Pflaume. Das ist mir so rausgeruts­cht. Ich habe ihn dann später angerufen und gesagt, dass es nicht so gemeint war. In Ihrem Klub spielen derzeit drei Österreich­er. Wie sind Sie mit ihnen zufrieden? In Österreich herrscht Enttäuschu­ng über die schwache Leistung von Aleksandar Dragovi´c im Nationalte­am. Steckt er in einer Krise? Das sind alles Menschen. Auf jedem Spieler lastet Druck. Manche sind sensibler, verlieren schneller an Selbstvert­rauen als andere. Die muss man dann so anpacken, dass sie wieder gut spielen. Aleksandar Dragovic´ hatte anfangs Schwierigk­eiten, dann hat er ein paar tolle Spiele gemacht. Er hat sich verletzt und ist wieder in ein kleines Loch gefallen. Ich bin überzeugt davon, dass Drago im nächsten Jahr für uns noch sehr wertvoll werden wird. Julian Baumgartli­nger sowieso, das ist ein ganz, ganz feiner Kerl, ein Superprofi. Ramazan Özcan hat auch schon ein paar Spiele bei uns gemacht. Er hat eine gute Ausstrahlu­ng, er ist ein erfahrener, älterer Spieler. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, deshalb haben wir ihn bewusst ausgewählt. Man braucht einen guten zweiten Mann, den man ohne Bauchschme­rzen immer bringen kann. Das ist bei Rambo der Fall, er ist ein toller Torwart. Verfolgen Sie den österreich­ischen Fußball? Die Liga nicht so intensiv, die Nationalma­nnschaft schon. Dass es schwer wird, sich für die WM zu qualifizie­ren, das weiß man auch in Österreich. Da wurden viele Punkte abgegeben, das wird problemati­sch. Aber es ist immer noch möglich. Sie gelten als jemand, der sich durch eine besondere Treue zu Trainern und Spielern auszeichne­t. Es heißt, Sie werfen sich noch vor sie, wenn das keiner mehr machen würde. Gibt es keinen Punkt, bei denen es Ihnen auch reicht? Den eigenen Klub und die Spieler in Schutz zu nehmen, das ist das Eine, das vertrete ich nach außen. Die Spieler sollen sich wohl bei uns fühlen, beschützt. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht intern, unter vier oder sechs Augen, einem Spieler mal seine Meinung sagt. Da wird es schon auch direkt und lauter, wenn sich etwa jemand daneben benimmt und Fehler macht. Man darf nicht vergessen: Das sind lauter junge Menschen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man in dem Alter gefährdet ist, dass man Fehler macht, und das muss man ansprechen. Sie haben gesagt, Sie schlafen schlecht, wenn es dem Klub nicht gut geht. Sie nehmen die Sorgen mit nach Hause? Das macht doch jeder. Wer sagt, er nehme die Probleme nicht mit nach Hause, der lügt. Man fährt nicht um 17 Uhr heim und kümmert sich nicht mehr um seinen Job. Die erste Nacht nach einem Spiel ist nicht einfach, da geht einem viel durch den Kopf. Tage danach schaut man wieder nach vorn. Der Terror hat nun auch den Fußball voll erfasst, die Stadien gleichen Hochsicher­heitstrakt­s. Hat man das im Kopf, dass man ein potenziell­es Ziel sein kann? Ja, natürlich. Wir bewegen ja Massen, Woche für Woche. Da ist klar, dass du ein Ziel für einen Anschlag sein kannst. Damit muss man heute leben. Das ist Teil des Alltags geworden. Man muss gewisse Vorsichtsm­aßnahmen treffen, aber Angst ist kein guter Ratgeber. Wenn man ständig Angst hat, dann ist das ist ja kein Leben mehr. Man kann gewisse Risken meiden, aber das tägliche Leben sollte man nicht davon abhängig machen. Es gibt ja nur eines. Sie hatten gerade Geburtstag, ist das Älterwerde­n ein Thema? Das gehört zum Leben dazu. Als aktiver Spieler merkt man, irgendwann ist es vorbei, das habe ich akzeptiert. Es wird alles ein bisschen weniger. Jetzt bin ich 57. Wichtig ist, dass man fit bleibt. Sind Sie auf Facebook oder Twitter? Nein, und ich kann Ihnen verspreche­n, dass ich das nie sein werde. Es gehört zu unserem Job, dass man mal öfter auf sein Handy schaut oder ins Internet geht, aber alles hat Grenzen. Diese Abhängigke­it von Facebook, und dieses Mitteilung­sbedürfnis, etwas zu posten, etwa, dass man gerade einen Cappuccino getrunken hat, die habe ich nicht, und die werde ich auch nicht verstehen. Ich werde das definitiv nie machen. Wie kommunizie­ren Sie am liebsten? Wer meine Nummer hat, kann mich anrufen.

 ?? Dpa ?? Der Spitzname „Tante Käthe“blieb, die Dauerwelle von damals ist lange verschwund­en. Rudi Völler, 2016.
Dpa Der Spitzname „Tante Käthe“blieb, die Dauerwelle von damals ist lange verschwund­en. Rudi Völler, 2016.

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