Die Presse am Sonntag

Wer sich fürchtet, verpasst in Südamerika viel

Kalt-sauer marinierte­s Meeresgeti­er, Meerschwei­nchen, hängende Schweine.

- VON ANDREAS FINK (BUENOS AIRES/LIMA/QUITO)

Das fleckige Messer mit dem Holzgriff ist nicht rostfrei. Aber unter der routiniert­en Führung der sonnengege­rbten Hand filetiert es den Fisch und schneidet die entgrätete­n Stücke in Streifen. Die wandern in eine Schüssel, wo Ringe roter Zwiebeln im Saft von Limetten ziehen, nach fünf Minuten landen gehackte Korianderb­lätter in der Marinade und eine zerhackte rote Chili, von einer superschar­fen Sorte, die in dieser Weltgegend Affenpip´ı genannt wird.

Auf dem Plastiktel­ler serviert wird nun eine Vitamin- und Eiweißbomb­e, dazu ein Schnitz Süßkartoff­el und gerösteter Riesenmais. Es ist ein Ceviche – Perus kaltes Nationalge­richt, das längst seine Weltkarrie­re angetreten hat bis Paris, Peking, Petersburg. Heere von Sterneköch­en mögen sich mühen, mit erlesenem Meeresgeti­er, gefinkelte­n Schnitten und gewagten Zutaten experiment­ieren, aber sie werden’s schwer besser hinkriegen als Don˜a Teresa, die seit Jahrzehnte­n täglich Seezungen, Zwiebeln und Affenpip´ı in Limettensa­ft mariniert (die Säure bewirkt dasselbe, als würde der Fisch gedünstet, sie denaturier­t das Eiweiß, so wird der Fisch kalt „durch“). Ihre Cevicher´ıa ist am Strand von Puerto Pizarro in Nordperu. Weil vor der Mangrovenk­üste eine tropische Meeresströ­mung auf den kalten Humboldtst­rom trifft, sind die Wasser hier die artenreich­sten Südamerika­s und Teresas Ceviche das frischeste der Welt.

Etwa einen Euro nimmt sie für eine Portion Glück. Um die schöne Story zu verderben, könnte man jetzt hygienisch­e Details erwähnen, etwa den Farbkübel, wo Besteck, Geschirr und das nicht rostfreie Fischmesse­r gespült werden. Aber wer sich fürchtet, verpasst viel in diesem Land des kulinarisc­hen Dauerrausc­hs, Peru: Fusion aus Ozean, Wüste, Hochgebirg­e und Amazonas, aus indigenen, spanischen und afrikanisc­hen Traditione­n, angereiche­rt mit Chinesen, Japanern, Kroaten, Italienern. Kostbar etwa am Straßenran­d nahe der Inkahaupts­tadt Cusco, wo Meerschwei­ne (Cuy) am Spieß über Holzkohle rösten, eingeriebe­n mit Salz, Öl und Knofel, die Bäuche voll Huacatay, einem Kraut, das die Frische der Minze mit der Stärke von Estragon vereint. Etwa acht Euro kostet so ein Nager. Gringos tun sich gern grausen. Beim nördlichen Nachbarn Ecuador essen sie das auch, was für Gringos garstig aussieht. Ebenso wie die ganzen oder halben Schweine, die im Ofen gebraten oder roh bei Straßenstä­nden liegen oder hängen, aus denen die Standlerin Fleisch und Schwarte würflig schneidet und mit Salzwasser trocken bis knusprig einkocht. Das nennt sich je nach Region etwa Fritadas oder Chugchucar­as. Dazu Mais, Süßkartoff­eln, Kochbanane­n und gewiss die Chilisauce Aj´ı!

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