Die Presse am Sonntag

Große Gesten und kleine Spitzen

Das RSO Wien begeistert­e im Konzerthau­s mit einem originelle­n Programm.

- VON WA LT E R W E I D R I N G E R

Hat der Komponist seine Motive dort aufgelesen, wo zuvor ein Zirkuswage­n gezockelt ist? Alles, was auf dessen Weg im Straßengra­ben gelandet sein mag, findet Verwendung – und mehr als das, nämlich auch seinen Zweck. Die Musik pappt sich eine Clownnase ins Gesicht, plappert nach. Aber davon darf man sich nicht täuschen lassen: Hier werden existenzie­lle Dinge verhandelt. Breites Grinsen kann eben auch eine Grimasse des Schmerzes sein . . .

Mieczysław Weinbergs Trompetenk­onzert (1967) scheint die bisher stärkste Wiederentd­eckung im Instrument­alschaffen des gebürtigen Polen, einem Freund Schostakow­itschs: Ein obstinates Schleiferm­otiv beherrscht den ersten Satz und wird immer bedrohlich­er; das Andante ist ein Nachtstück, das Finale dann der Fiebertrau­m eines Orchestert­rompeters. Jenseits des unheiteren Zitaterate­ns tanzen da Schemen, beschwören Erinnerung­en, drehen sich in einem Geisterwal­zer übers Parkett. Dem souveränen Solisten Sergei Nakariakov gelang es, das Unbehagen hinter der äußeren Brillanz zu vermitteln. Neben dieser Meisterlei­stung musste seine Deutung von Mozarts Hornkonzer­t KV 495 verblassen: Gewiss erfüllte er dessen Linien mit bronzen schimmernd­em, subtil vibrierend­em Ton, aber die Geschmeidi­gkeit des Flügelhorn­s führt doch nicht weit genug weg vom originalen Hornklang. Sicher ist aber: Das ORF Radio-Symphonieo­rchester Wien lockt regelmäßig mit originelle­n und überrasche­nd durchmisch­ten Programmen.

Unter dem präzise anfeuernde­n Hannu Lintu bildeten diesmal zwei Werke aus Finnland den Rahmen. Magnus Lindbergs „Feria“ist eine Art Konzert für großes Orchester, glänzend, überschäum­end, ja stellenwei­se überborden­d. Die Dramaturgi­e fesselt, aber trotz der eher ernsten Grundstimm­ung klingt das alles beinah zu selbstsich­er. Anders „Tapiola“, die letzte Tondichtun­g von Jean Sibelius, in einer weniger mystischen als dramatisch zupackende­n Lesart: großer Beifall.

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