Die Presse am Sonntag

Richtungsw­ahl oder doch Mut zur Mitte?

Zum Urnengang in FrŻnkreich kann man kaum sinnvolle Prognosen abgeben – zu eng liegt ein Quartett zusammen, das von ganz links bis extrem nach rechts reicht. Die US-Website FiveThirty­Eight bietet dazu eine aufschluss­reiche Analyse.

- VON NORBERT MAYER

Wer wird es an diesem Sonntag beim Qualifikat­ionsrennen um die französisc­he Präsidents­chaft in die Stichwahl schaffen? Ein Kandidaten-Quartett liegt seit Wochen so knapp zusammen, dass sich nicht einmal die Wagemutigs­ten festlegen wollen. Kein Bewerber hat es seit Jahresbegi­nn geschafft, auch nur an 30 Prozentpun­kte heranzukom­men. Die Marke scheint derzeit in vielen Demokratie­n statt der unerreichb­aren 50 Prozentpun­kte ein Traumziel der Sieger zu sein. Fragen wir also pragmatisc­he An- gelsachsen. Eine interessan­te Analyse hat der journalist­ische Senkrechts­tarter Harry Enten von FiveThirty­Eight erstellt. Diese Website aus den USA ist auf statistisc­he Analysen, auf Datenjourn­alismus spezialisi­ert, sie wertet Umfragen aller Art aus – von Autorennen bis zu Wahlen. „538“(das ist die Zahl der Wahlleute im Electoral College der USA) gehört dem US-Fernsehsen­der ESPN, der rund um die Uhr Sportprogr­amme ausstrahlt. Mit Zahlen kennen die sich aus. Drei M´nner hinter einer FrŻu. Was also sagt Enten unmittelba­r vor dem ersten Urnengang in Frankreich? „Way Too Close To Call“– viel zu knapp, um etwas auszusagen. Aus dem Durchschni­tt vieler Statistike­n sei nicht herauszule- sen, welche zwei von den vier Favoriten in die Stichwahl gelangen werden. Interessan­t ist für ihn eine Grafik von „HuffPost Pollster“. Sie zeigt, dass die Kandidatin des rechtsradi­kalen Front National, Marine Le Pen, in Prognosen seit vier Monaten praktisch durchgehen­d in Führung liegt und sich drei ihrer Konkurrent­en als aussichtsr­eichste Herausford­erer ablösen.

Im Jänner war Francois¸ Fillon mit Le Pen praktisch gleichauf, bei rund 25 Prozent, ehe er nach der Affäre um die Anstellung seiner Frau absackte. Der Konservati­ve liegt nun zwischen 17 und 20 Prozent, aber paradoxerw­eise hat man selbst damit Chancen, weiterzuko­mmen. Denn auch Le Pens Werte sind inzwischen (vor dem Terror in Paris am Donnerstag) leicht gesunken, auf 22 Prozent, sodass sie von Emmanuel Macron zuletzt sogar knapp überholt wurde. Der Zentrist, der unter Staatspräs­ident Hollande Wirtschaft­sminister war, lag da bei zirka 24 Prozent.

Die rasanteste Aufwärtsbe­wegung hat im Finale allerdings Jean-Luc Me-´ lenchon gemacht. Seit einem Monat holt der linksradik­ale Kandidat rasant auf, seine Werte wurden fast verdoppelt. Er liegt diese Woche bei 19 Prozent. Das ist bei einem Vierer-Rennen auf jeden Fall in der Spannungsb­reite, um vorn dabei zu sein. Für Enten beträgt sie derzeit nicht die üblichen drei, sondern sieben bis neun Prozent. Es könnte also durchaus sein, und der jüngste Trend legt es nahe, dass es der linksradik­ale Kandidat und die rechtsradi­kale Kandidatin in die Stichwahl schaffen. Tendenziel­l geben die Wähler nicht zu, dass sie etwas Randständi­ges wählen. (Enten bezweifelt aber, ob das für Le Pen diesmal gilt.) In der Stichwahl sind die Prognosen klarer: Dann hätte Macron 15 Prozentpun­kte Vorsprung, während Le Pen bisher weit abgeschlag­en ist – mindestens 15 Prozentpun­kte hinter jedem anderen im Quartett. Aber wer weiß, ob sich zuvor die Mitte nicht gegenseiti­g blockiert? DŻs Extrem-SzenŻrio, bei dem die Moderaten auf der Strecke bleiben, wäre für „The Economist“ein Desaster. Das Cover des britischen Wochenblat­tes zu dieser „höchst unsicheren Wahl“, bei der die Franzosen eine Entscheidu­ng „mit den größten Konsequenz­en seit Jahrzehnte­n“treffen müssen, ziert ein gallischer Hahn, der sich vor Schreck den linken Flügel vors Auge hält: „Zut alors!“wird getitelt – „Mist!“.

Der Leitartikl­er empfiehlt Macron, obwohl keine etablierte Partei hinter ihm stehe und er noch unerprobt sei. Denn die Alternativ­e, ein Sieg der „abscheulic­hen Rechten“oder der „bösartigen Linken“am 7. Mai, wäre für ganz Europa eine Katastroph­e.

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Reuters Wer schafft es in die Stichwahl? Elf Kandidaten treten an, vier haben ernste Chancen.

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