Die Presse am Sonntag

»Ich war so außerorden­tlich«

Mit seinen Aktionen empörte der steirische Künstler Günter Brus in den 1960er-Jahren die Öffentlich­keit und kassierte dafür sogar eine Haftstrafe. All das ist Vergangenh­eit. 2018 wird Brus 80 Jahre alt und fürchtet sich schon vor den vielen Feierlichk­eite

- VON JUDITH HECHT

Stimmt es, dass Sie auf der Akademie für angewandte­n Kunst in Wien nie eine Aufnahmepr­üfung machen mussten? Günter Brus: Ja, das stimmt. Ich habe im Sommer einen Packen von meinen Arbeiten aus der Kunstgewer­beschule in Graz dort hingeschic­kt. Und die fanden sie so gut, dass ich keine Prüfung machen musste. War Ihnen schon vorher bewusst, dass Ihre Arbeiten außergewöh­nlich gut sind? Innerlich schon irgendwie. Anderersei­ts war ich verunsiche­rt. Ich kam ja doch aus der Provinz – und Graz war damals noch viel mehr Provinz als heute. Es gab andere Bewerber, die kamen gerade aus Paris und weiß Gott woher. Da hab’ ich mir schon gedacht: Was bist du doch für ein armes Würstel! Anderersei­ts habe ich mich an meinen Erfolg in der Schule festgeklam­mert. Ich hatte ein Bomben-Abschlussz­eugnis für meine hervorrage­nden Leistungen. Haben Sie schon als kleines Kind gezeichnet? Ja, das war mir immer ein Bedürfnis. Auch das Schreiben. Ich hatte einmal ein richtiges Erfolgserl­ebnis in der Hauptschul­e. Da kam der Lehrer mit den Aufsatzhef­ten in die Klasse und legte sie auf den Tisch. Nur ein Heft hat er neben den Stoß gelegt. Da wusste ich, das ist meines. Dann hat er den Direktor extra kommen lassen und gesagt: „Leute, ich muss Euch sagen, wir haben einen Dichter in unserer Klasse“– und meinen Aufsatz vorgelesen. Da bin ich um ein paar Zentimeter gewachsen. Haben Ihre Eltern Sie gut gefördert? Nein, nicht unbedingt. Es ist ja auch etwas Furchtbare­s passiert: Meine ganzen Arbeiten und Sammlungen, die hat ein Bauer in seinem Hof „o’ghazt“. Was mich so getroffen hat, ist, dass meine Eltern, als sie von ihrem Dorf in der Steiermark nach München übersiedel­t sind, es nicht der Mühe wert befunden haben, meine Bilder und Schriften mitzunehme­n. Sie haben sie einfach zurückgela­ssen, sie waren ihnen nichts wert. Nicht einmal die Ölbilder, die ich ihnen zum Geburtstag gemalt habe. Haben Sie ihnen das je verziehen? Nein. Und sie auch nicht gefragt, wieso sie das gemacht haben? Nein, das war nicht mehr möglich, weil da sind sie mir schon weggestorb­en. Und wenn Sie heute an Ihre Eltern denken, was empfinden Sie da? Gespaltenh­eit, eine innige Beziehung hatte ich zu ihnen nie. Das mag daran gelegen haben, dass ich zuerst bei meinen Großeltern aufgewachs­en bin. Sie, aber vor allem meinen Großvater, mochte ich sehr. Er hat mich immer beschützt. Und bei den Großeltern gab es ein Radio, da ließ mich mein Großvater alles anhören, was mir mein Vater nie erlaubt hätte. Etwa Anton Webern. In der Schule waren Sie herausrage­nd, auf der Akademie sind Sie ohne Prüfung aufgenomme­n worden. Man könnte meinen, Sie waren ein Musterschü­ler. Ja, aber ich habe das weder hervorgeke­hrt noch so empfunden. Meinen Eltern war es wichtig, dass ich ein Gebrauchsg­rafiker werde, damit ich bald Geld verdiene. Ich sollte Schaufenst­er gestalten und Plakate machen. Darum bin ich auf der Akademie zuerst zu einem Professor gekommen, der das gelehrt hat. Aber das war nichts für mich, das habe ich gleich gemerkt. Was haben Sie dann gemacht? Ich bin in die Klasse von Eduard Bäu-

1938

wurde der österreich­ische Aktionskün­stler Günter Brus in der Steiermark geboren. In Wien studierte er an der Akademie für angewandte Kunst, schloss das Studium jedoch nicht ab. Er lernte Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkog­ler kennen, die mit ihm die bedeutends­ten Vertreter des Wiener Aktionismu­s wurden. Nach seiner Aktion „Kunst und Revolution“im Neuen Institutsg­ebäude im Jahr wurde Brus zu sechs Monaten Haft verurteilt.

1970 Mitte der 1970er

begann Brus auch lyrische Werke zu publiziere­n. Seit über 40 Jahren arbeitet Brus mit der

Galerie Heike Curtze

zusammen. Anlässlich seines 80. Geburtstag­s ist von

Februar bis Juni 2018 eine Günter-Brus-Retrospekt­ive im 21er-Haus

in Wien geplant. mer gewechselt, der war damals als Maler relativ bekannt. Ein Bekannter hatte mir gesagt, dass man bei ihm machen kann, was man will. Und Bäumer war ein ganz liberaler und toleranter Lehrer. Das hat aber alles nichts mehr genutzt, weil ich schon viel zu renitent war. Inwiefern? Welche Probleme? Ich weiß nie, was damit gemeint ist, wenn jemand sagt, er habe das Eigentlich­e oder gar zu sich selbst gefunden. habe sehr viel getrunken. Der Otto Mühl hat das bemerkt und mich mit dem Filmemache­r Kurt Krenn zusammen gebracht und wir haben einen Film über Selbstbema­lung gemacht. Über ihn bin ich mit Rudolf Schwarzkog­ler und Hermann Nitsch bekannt geworden. Dieses Zusammentr­effen mit den drei Aktioniste­n war sehr wohltuend. All das, und vor allem meine Frau, die unglaublic­h viel ertragen konnte, haben mich stabilisie­rt. Ihre Frau musste viel aushalten.

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J. J. Kucek Günter Brus: „Meine Eltern haben mich nicht unbedingt gut gefördert. Und es ist etwas Furchtbare­s passiert.“
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