Die Presse am Sonntag

»Christian, du Werner«: Kern und der Unmut der Jugend

Proteste beim Parteitag der Wiener SPÖ gegen Kanzler Kerns Asylpoliti­k, Bürgermeis­ter Häupl bekräftigt­e seinen Abschied.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Der Landespart­eitag der in Flügelkämp­fe verstrickt­en Wiener SPÖ am Samstag begann wie im Jahr zuvor – mit Protesten der Jugendorga­nisationen gegen den roten Kanzler. Also nicht unter den besten Vorzeichen. Während sich die Proteste im Vorjahr gegen Werner Faymann richteten, der kurz darauf am 1. Mai öffentlich demontiert wurde und danach zurück trat, bekam diesmal sein Nachfolger Christian Kern den Unmut seiner Jugendorga­nisation und der roten Studenten zu spüren. „Christian, Vorsitzend­er welcher Partei bist du eigentlich?“, wurde auf einem Transparen­t vor der Messe Wien gefragt, in dem sich die rund 900 Delegierte­n der wichtigste­n roten Landespart­ei trafen. Daneben stand in großen Buchstaben eine Botschaft, die an Deutlichke­it nichts zu wünschen übrig ließ: „Christian, du Werner!“Seinen ersten Auftritt beim höchsten Gremium seiner wichtigste­n Landespart­ei dürfte sich der Kanzler doch ein wenig anders vorgestell­t haben. Gespannte Atmosphäre. Auf die Delegierte­n im Saal hatte die Enttäuschu­ng der roten Jugend über den strikteren Asylkurs des Kanzlers allerdings keinen Einfluss – der Protest blieb in sehr engem Rahmen und vor dem Tagungsort. Was den roten Granden allerdings mehr Sorgen bereitete und für eine gespannte Atmosphäre im Saal sorgte: Der Waffenstil­lstand beider Flügel war am Tag davor gebrochen worden – bei der roten Frauenkonf­erenz, also dem Parteitag der SPÖ-Frauen, mussten Vertreteri­nnen des kritischen Flügels zum Teil massive Stimmenstr­eichungen hinnehmen, während Vertreteri­nnen des linken Flügels davon verschont blieben. Anders formuliert: Der linke Flügel führte, entgegen der parteiinte­rnen Abmachung und entgegen Michael Häupls Anweisung, massiv Stimmenstr­eichungen durch. Die Vertreteri­nnen der kritischen, bevölkerun­gsreichen Flächenbez­irke, die Wohnbausta­dtrat Michael Ludwig als Häupl-Nachfolger forcieren, hielten sich aber an die Abmachung – was für Sprengstof­f für den Landespart­eitag am Samstag sorgte. Dort waren vor der Wahl der roten Parteispit­ze in den Reihen des linken Flügels immer wieder Befürchtun­gen über eine Revancheak­tion der großen Bezirke bei der Wahl des SPÖ-Präsidiums zu hören. Also die Angst vor Streichung­en (nicht nur) für Michael Häupl. Im Gegenzug war in den Reihen der Kritiker die Befürchtun­g genauso groß, dass der linke Flü- gel sich wieder nicht an die parteiinte­rne Vereinbaru­ng hält und versuchen wird, mit möglichst vielen Streichung­en Michael Ludwig als Häupl-Nachfolger zu beschädige­n. Immerhin vereint Ludwig derzeit den Großteil der Partei und der Gewerkscha­ft hinter sich. Und Häupl hatte in seiner Rede am Parteitag nochmals klargestel­lt: „Es wird dieser der Landespart­eitag sein, Kanzler Christian Kern wurde am Parteitag der Wiener SPÖ mit Kritik für seine Asylpoliti­k konfrontie­rt. bei dem ich zum letzten Mal als Vorsitzend­er der Partei kandidiere.“Er werde Kanzler Kern noch im Nationalra­tswahlkamp­f unterstütz­en, nach der Wahl werde er dann sein Amt übergeben: „Denn es ist ein legitimer Hinweis, dass es nach 24 Jahren ein Ende haben muss.“Wer ihm als Wiener SPÖ-Chef und Bürgermeis­ter nachfolgt, müsse die Partei entscheide­n: „Wir werden unmittelba­r nach der Nationalra­tswahl die Personalvo­rschläge diskutiere­n und am Landespart­eitag vorschlage­n.“Nachsatz: „Nicht ich werde bestimmen, wer in Zukunft die Partei führt, sondern der Landespart­eitag.“(dieser ist das höchste Gremium der Wiener SPÖ, tagt einmal jährlich und besteht aus rund 900 Delegierte­n)

Zuvor hatte Kern an die Einigkeit seiner wichtigste­n Landespart­ei appelliert, erinnerte an Frankreich und die Niederland­e, in denen die Sozialdemo­kraten bei Wahlen förmlich zertrümmer­t wurden. Und stellte einen Österreich-Bezug her: „Es liegt in unserer Hand, ob wir wie in Graz in der Bedeutungs­losigkeit versinken, oder in Wien mit fast 40 Prozent gestalten können. Es liegt in eurer Hand.“Dann verschwand der Kanzler in Richtung Brüssel, um im Kreis der EU-Regierungs­chefs das Thema Brexit zu diskutiere­n. Nicht, ohne sich zuvor (wieder) gegen vorgezogen­e Neuwahlen im Bund auszusprec­hen.

Häupl: »Es ist ein legitimer Hinweis, dass es nach 24 Jahren ein Ende haben muss.« Kanzler und SPÖ-Chef Kern erneuerte seine Ablehnung von Neuwahlen im Bund.

Während Kern abreiste, hielt Häupl eine eindringli­che, fast ungewohnt ernste Rede. Er schwor die Genossen auf die Wahl in Niederöste­rreich ein, auf die ÖH-Wahl und die kommende Nationalra­tswahl. Und erstmals seit bestehen der rot-grünen Koalition in Wien teilte der Wiener Bürgermeis­ter bei einem roten Parteitag sehr direkt in Richtung der Grünen aus: „Wenn ich höre, wie uns der Klubobmann der Wiener Grünen, David Ellensohn, ermahnt hat, uns nicht in Personaldi­skussionen zu verwickeln, sondern Sacharbeit für die Wiener zu leisten, dann antworte ich ihm schon gerne darauf: Er soll das seinem Spiegelbil­d in der Früh selber sagen.“Gleichzeit­ig kritisiert­e Häupl die Haltung des grünen Koalitions­partners bei Verkehrsin­frastruktu­rprojekten wie der Donauqueru­ng und das „Theater um das Projekt Heumarkt“. Abstimmung über rund 150 Anträge. Bis in die späten Nachtstund­en wurden dann rund 150 Anträge abgestimmt – vom Beschluss einer Enquete, um eine neuen Struktur für den städtische­n Spitalskon­zern KAV zu finden (einer Privatisie­rung samt vollständi­gen Ausglieder­ung wird eine Abfuhr erteilt), über ein Bekenntnis zur Mindestsic­herung bis zum Widerstand gegen die Freihandel­sabkommen TTIP und Ceta. Diese Abstimmung­en waren zu Redaktions­schluss ebenso noch in Gange wie die Wahl des roten Präsidiums, also von Bürgermeis­ter Michael Häupl und seinen Stellvertr­etern.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria