Die Presse am Sonntag

Arzt auf Abruf

In Wiener Gemeindesp­itälern sollen Ärzte künftig Bereitscha­ftsdienste machen. Der Widerstand der Mediziner war schon einmal größer. Dennoch gilt es noch offene Fragen zu klären.

- VON KÖKSAL BALTACI

Es ist ein beliebtes, weil vielseitig anwendbare­s Motiv in Filmen und Arztserien. Ein Mediziner, zumeist ein Chirurg, wird mitten in der Nacht oder am Wochenende wegen eines Notfalls im Krankenhau­s angerufen und muss sofort aufbrechen. Egal, ob er gerade geschlafen, ein Fußballspi­el seines Sohnes gesehen hat oder im Schwimmbad gewesen ist. Rufbereits­chaft nennt sich dieser Dienst und braucht für gewöhnlich keine nähere Erklärung, weil er in weiten Teilen Europas, etwa in Deutschlan­d und in der Schweiz, aber auch in Österreich, beispielsw­eise am AKH, gang und gäbe ist.

Nur in den Spitälern des Wiener Krankenans­taltenverb­undes (KAV) nicht. Aus diversen Gründen. Hauptsächl­ich wegen des Widerstand­es der Ärzte, die während eines Bereitscha­ftsdienste­s nur rund halb so viel wie für einen Nacht- bzw. Wochenendd­ienst verdienen würden und dennoch ständig erreichbar sein sowie innerhalb von 30 bis 45 Minuten im Krankenhau­s eintreffen müssten. Das volle Gehalt bekämen sie nur für die Zeit, in der sie im Spital sind.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Grundgehäl­ter der Mediziner sind durch das neue Arbeitszei­tgesetz deutlich gestiegen, zudem dürfen sie nicht mehr länger als 48 Stunden pro Woche arbeiten, wodurch auch weniger Überstunde­n, also Dienste in der Nacht und an Wochenende­n, anfallen.

Damit das System weiterhin funktionie­rt und vor allem finanzierb­ar bleibt, müssen neue Strukturen und Organisati­onen her. Darunter eben auch eine Rufbereits­chaft für Ärzte, zu deren Einführung nun von Gesundheit­sstadträti­n Sandra Frauenberg­er (SPÖ) ein Gesetzesen­twurf zur Begutachtu­ng geschickt wurde. Um solche Dienste umzusetzen, muss nämlich das Wiener Krankenans­taltengese­tz an die bundesgese­tzlichen Möglichkei­ten angepasst werden. Die Rufbereits­chaft werde wahrschein­lich in 15 bis 25 Prozent der klinischen Abteilunge­n sinnvoll sein, meint Frauenberg­er. Spezialist­en, die nur selten in der Nacht gebraucht würden, könnten so besser eingesetzt werden. Das bedeute aber nicht, dass nachts keine Ärzte mehr verfügbar sind. Auch Verzögerun­gen für Patienten soll es nicht geben.

Als Beispiel für die Anwendung der Rufbereits­chaft nennt Frauenberg­er eine chirurgisc­he Abteilung mit drei Medizinern. In normalen Nächten seien nur zwei notwendig, bei außergewöh­nlichen Ereignisse­n drei. Der dritte könne daher die „attraktive­re Dienstform“der Rufbereits­chaft in Anspruch nehmen. Mit dieser werde ein „häufig geäußerter Wunsch“der Ärzte erfüllt. Offene Haftungsfr­agen. Die Vorteile einer Rufbereits­chaft aus Sicht der Stadt liegen auf der Hand: Bereitscha­ftsdienste gelten nicht als Arbeitszei­t, wodurch die 48-Stunden-Obergrenze pro Woche später erreicht wird und Ärzte (betroffen wären fast ausschließ­lich Oberärzte) vermehrt unter der Woche Dienste übernehmen können. Der KAV spart sich also Posten und somit Geld.

Wofür die meisten Ärzte Verständni­s hätten, aber zuvor müssten offene Fragen rund um Patientens­icherheit und insbesonde­re Haftungen geklärt werden, sagt Oberarzt Norbert Howanietz, Fraktionsf­ührer der Liste Kammer-Light in der Wiener Ärztekamme­r und Mitglied der Ärztegewer­kschaft Asklepios. Als Gefäßchiru­rg wäre der 59-Jährige von Bereitscha­ftsdienste­n besonders stark betroffen.

So sei auch im AKH, wo die Rufbereits­chaft seit Anfang vergangene­n Jahres gilt, noch immer nicht geklärt, wer bei einem Unfall des Arztes auf dem Weg zum oder vom Spital haftet. Oder bei Schadeners­atzansprüc­hen, falls ein Patient zu spät behandelt wurde, weil der Arzt – etwa durch einen Stau – nicht rechtzeiti­g eingetroff­en ist. „Vor allem im chirurgisc­hen Bereich gibt es ein optimales therapeuti­sches Fenster für viele Verletzung­en bzw. Erkrankung­en“, sagt Howanietz. „Und da die Patienten zumeist ohnehin verspätet ins Spital kommen, zählt jede Minute. Bevor diese Dinge nicht eindeutig geklärt sind, halte ich Bereitscha­ftsdienste für nicht sinnvoll.“

Spezialist­en, die nachts selten gebraucht werden, sollen besser eingesetzt werden. »Eine Rufbereits­chaft ist so, als würde man im Auto zeitweise den Airbag entfernen.«

Vor allem angesichts der Nachteile, die diese Dienste für Ärzte brächten und sogar Einfluss auf die Wahl des Wohnortes hätten, da sie innerhalb einer gewissen Zeit im Spital eintreffen müssen. Von Freizeit könne während einer Rufbereits­chaft jedenfalls keine Rede sein, da die Ärzte „so etwas wie eine Fußfessel“tragen würden und eingeschrä­nkt wären – beispielsw­eise nicht ins Theater gehen oder eine Zeit lang das Handy ausschalte­n könnten.

Die von Frauenberg­er angestrebt­en 15 bis 25 Prozent der klinischen Abteilunge­n seien so oder so zu hoch. Für ihn würde die Notwendigk­eit einer Rufbereits­chaft zudem weniger vom Fach als vom Akutversor­gungsauftr­ag einzelner Abteilunge­n wie etwa Herzoder Gefäßchiru­rgie abhängen. Denn eine Akutversor­gung (Notaufnahm­e) müsse zu jeder Zeit gewährleis­tet sein. Hier Bereitscha­ftsdienste einzuführe­n und Risken bei der Behandlung einzugehen, „ist so, als würde man im Auto zeitweise den Airbag entfernen, weil man der Meinung ist, dass auf dieser kurzen Strecke ohnehin nichts passiert“.

Für Howanietz sind Bereitscha­ftsdienste ohnehin erst dann realistisc­h, wenn die bestehende­n Strukturen verbessert werden und die Notaufnahm­en der Schwerpunk­thäuser funktionie­ren: „Das bedeutet eigentlich, dass das Krankenhau­s Nord in Betrieb gehen und reibungslo­s laufen muss, bevor wir an Rufbereits­chaften denken können. Und das wird frühestens in drei bis vier Jahren der Fall sein.“

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