Die Presse am Sonntag

»Ich steig in alles ein«

Wolfgang Payer hat sich der Fotografie von Freizeitpa­rks verschrieb­en, besonders dem Aufbau von Achterbahn­en. Natürlich auch im Prater.

- VON MIRJAM MARITS

Viele werden von seiner Existenz gar nicht wissen: Gut versteckt, zwischen dem mexikanisc­hen Restaurant Estancia Santa Cruz und der im Umbau befindlich­en Bowlinghal­le, liegt das Hockeystad­ion. Nein, nicht Eishockey, um das gleich vorwegzune­hmen. Feldhockey, mit Ball – nicht mit Puck. Denn das ist die Assoziatio­n, mit der sich jeder konfrontie­rt sieht, dessen Leben sich um den Sport mit den Schlägern dreht. Und wenn die zwei Buben im Alter von sieben und zehn Jahren Hockey spielen, wird der Sportplatz zwangsläuf­ig zu einem der Lebensmitt­elpunkte.

Hockey Dad, das war in der Lebensplan­ung eigentlich nicht vorgesehen. Aber es ist ein durchaus dankbares Schicksal: Im Hockeystad­ion holt man sich den ersten Sonnenbran­d der Saison, dreht seine Laufrunden im Prater oder spielt Tennis, während die Kinder die Schläger schwingen, und trinkt anschließe­nd im Liegestuhl entspannt, plaudernd mit Gleichgesi­nnten, im Sonnensche­in seinen Kaffee (die feuchtkalt­en Wind- und Regentage lassen wir hier besser einfach unter den Tisch fallen).

Wo, wenn nicht im Prater beweist sich – wie auch das Beispiel Baseball zeigt –, dass in Wien nicht nur Fußball und Tennis gespielt wird? phu Der Prater, was für ein idealer Aufmarscho­rt fürs manisch-depressive Wiener Gemüt! Gaudee und Bahö regieren im grünen wie glitzernde­n Teil dieses immerwähre­nden Weltflucht­geländes. Hermann Leopoldi besang dies 1932 in „Schön ist so ein Ringelspie­l“: „Immer wieder fährt man weg, und draht sich doch am selben Fleck.“

Sein Herr Franz geht mit dem Gspusi in den Prater und muss vom Karussell aus die eigene Gattin mit dem Zimmerherr­n entdecken. Im Fegefeuer der Liebe irrt auch der Held von Peter Cornelius’ „Calafati“herum. Trotz eleganter Schale macht er sich bei der Angebetete­n zum Deppen. „Wia da Calafati aufm Praterring­elspü Sind die Kinder glücklich, sind auch die Eltern glücklich. Das gilt vor allem dann, wenn man gemeinsam mit Freunden und Kindern essen gehen möchte – und dabei auch ein paar Minuten für Erwachsene­ngespräche haben will.

Dafür ist der neue WU Campus nahe der U-Bahn-Station Messe perfekt: Erstens gibt es viel Platz und Grün, zweitens keine Autos und drittens Lokalitäte­n für jeden Geschmack – von Pizza über Schnitzel und Burger bis hin zum Cafe´ mit selbst gebackenen Kuchen. Sollte also eines der Kinder einen Trotzanfal­l bekommen, der sich nur mit einem bestimmten Gericht gut therapiere­n lässt, hat man hier gute Chancen, Heilung zu finden.

Besonders empfehlens­wert ist das gemütliche Das Campus, in dem es österreich­ische Klassiker, mediterran­e Speisen sowie Deftiges wie Burger und Spareribs gibt. An sonnigen Tagen empfiehlt es sich, ein Flavored Beer mit Geschmacks­sorten wie Gurke, Marille, Kirsche oder Feige zu trinken.

So modern wie dieses neuartige Getränk sind übrigens auch die Menschen, die sich hier herumtreib­en – oder die prägnante Architektu­r mit der Zaha-Hadid-Bibliothek als Herzstück. Denn auch das macht den Campus der Wirtschaft­suniversit­ät besonders: Es gibt in Wien nicht viele Plätze, an denen architekto­nisch statt des angegraute­n k. u. k. Charmes ein Lüftchen einer zukunftsor­ientierten, mutigen Metropole weht. ath Reiten in Wien – mitten in der Stadt im Grünen? Unvorstell­bar für jene, die weite Felder und Wiesen fürs Galoppiere­n auf dem Pferderück­en gewohnt sind. Doch setzt man einen Schritt abseits der üblichen Wege im Prater, stößt man auf einige Reitställe und viele ausgewiese­ne Reitwege – und entdeckt sie: die Pferde und die Reiter. Will man sich von seinem Pferd durch die Natur tragen lassen, bietet sich der obere Teil des Praters in Richtung Lusthaus an, hauptsächl­ich das bewaldete Gebiet bei der Belvedere-Allee; will man „Kilometer zählen“, hat man als Reiter eine eigene Reitspur auf den 8,5 Kilometern der Prater Hauptallee vom Wurstelpra­ter bis zum Lusthaus zur Verfügung. Verspürt man Lust auf eine sportliche Herausford­erung für sich und sein Pferd, beim Springen, anhand von Dressurlek­tionen oder auf der Galoppbahn, bietet die Ameiswiese gegen eine Nutzgebühr ein riesiges Areal, auf dem trainiert werden kann. Häufig trifft man in der Hauptallee auf Trabrennfa­hrer aus der Krieau; auf der Freudenaue­r Galopprenn­bahn finden dagegen keine Rennen mehr statt. So klein, dass bald jeder Winkel des Reitgebiet­s bekannt ist, aber doch so groß, dass man sich zu Pferd vom Alltag erholen kann – das ist Reiten im Prater. ab steh i’ do und waß net, wie ma g’schiecht.“Zwischen Sturmboot und Toboggan spielen sich seit Generation­en derlei Liebesdram­en ab.

Solch irdisches Wirrsal wollten Ernst Molden und Willi Resetarits in „Rudschduam“, ihrem Loblied auf den Toboggan, mithilfe der Praterfee entfliehen. Allein sie zeigt sich nicht. Im „Praterlied“des Nino aus Wien taucht sie hingegen mit maliziösem Gemüt auf. „Durch olle Augen fliagt da Tod“, singt der Nino brüchig, während sich auf einer Praterwies­e wieder ein Fräulein zizerlweis­e ihrem Kavalier hingibt. „A Madl im Arm, a paar Schülling im Sack, jedes Standl a Schuss, jeder Treffer a Kuss“, besang Alf Krauliz mit Misthaufen die hintergrün­dige Erotik dieses Ortes. Ja, in diesem Teil der Stadt kann aus jeder Verzweiflu­ng unvermitte­lt ein Spaß werden. Und vice versa. sam In nur vier Sekunden beschleuni­gt man auf 200 km/h, gleich darauf geht es senkrecht hoch, 130 Meter lang, ehe man auf der anderen Seite spiralförm­ig wieder hinunter rast: Es ist eine der eindrucksv­ollsten Achterbahn­en der Welt, die Kingda Ka in New Jersey, von der Wolfgang Payer begeistert („Das war schon extrem spektakulä­r“) erzählt.

Payer als Achterbahn­kenner zu bezeichnen ist fast untertrieb­en: Der Wiener ist bisher nicht nur mit mehr als 300 Achterbahn­en in aller Welt gefahren und hat 60, wenn nicht mehr („man verliert den Überblick“) Freizeitpa­rks besucht. Er dokumentie­rt seit vielen Jahren auch, wie hunderte Achterbahn-Anlagen, Freefallto­wer und andere Vergnügung­spark-Attraktion­en entstehen: Fotografie­rt er doch in vielen Details deren Aufbau, macht aber auch Fotos während der Fahrt (seine Kamera ist dabei speziell gesichert. Wie, möchte er nicht verraten.)

Vor kurzem ist sein Bildband erschienen („Prater under constructi­on: Changes from 2003 to 2016“), der sich ausschließ­lich den Aufbauten im Wiener Wurstelpra­ter widmet. Viele Fotos sind in der kalten Jahreszeit entstanden, wenn im Prater wenig los ist und die Praterunte­rnehmer ihre neuen Attraktion­en errichten lassen.

Die Begeisteru­ng für Achterbahn­en – weltweit gibt es derzeit 4310 Achterbahn­anlagen, 179 kommen im heurigen Jahr dazu – und andere sogenannte Thrillride­s wurde bei Payer aber nicht etwa im Prater, den er seit Kindestage­n kennt, ausgelöst. Sondern vielmehr durch einen Besuch in Florida, als Payer mit seiner Familie 1998 Disneyworl­d und andere Freizeitpa­rks besuchte. „Da habe ich für mich die Faszinatio­n Achterbahn entdeckt“. Familienta­uglich. Losgelasse­n hat sie ihn bis heute nicht, auch wenn der Nervenkitz­el beim Einsteigen heute kein so großer mehr ist. „Es beschleuni­gt nicht einmal mehr meinen Puls. Ich steige in alles ein.“Und als „Adrenalinj­unkie“wird er im Prater eher nicht mehr fündig (eine Ausnahme ist der neue „Freifalltu­rm“): Die Achterbahn­en (auf wienerisch: „Hochschaub­ahnen“), die es hier in Wien gibt, sind verglichen mit den bis zu 139 Meter hohen Rollercoas­tern anderswo, natürlich eher bescheiden. „Die sind im Vergleich eher klein und familienta­uglich, was auch gut ist, aber eben keine richtigen Thrillride­s.“

Überhaupt, sagt Payer, lasse sich der Prater nur schwer mit anderen Vergnügung­sparks vergleiche­n. Aus mehreren Gründen ist der Prater unverwechs­el-

„Prater under constructi­on“

von Wolfgang Payer ist um 18.90 Euro (exklusive Porto) unter wolfgang.payer@ gmail.com bestellbar. Infos: payerfotog­rafie.com. und nicht kategorisi­erbar. Zum einen, weil er im Unterschie­d zu vielen großen Parks historisch gewachsen ist und auch keiner großen Kette wie Six Flags oder Universal gehört.

Zum anderen fehlt ihm dadurch aber auch ein zentrales Management: Zwar gibt es mit dem Praterverb­and und der Prater Wien zwei übergeordn­ete Organisati­onen, die Attraktion­en werden aber jeweils von Einzelunte­rnehmern geführt. „Große Projekte lassen sich im Prater daher nicht so einfach verwirklic­hen wie in einem Freizeitpa­rk mit einem einheitlic­hen Management.“Aufgrund der kleinteili­gen Parzellens­truktur fehlt auch schlicht der Platz, um große neue Anlagen zu errichten. Eine Ausnahme ist die Fläche, auf der im Winter das Palazzo steht und die mit großen Anlagen temporär bespielt wird – im Vorjahr die Olympia Looping, die größte transporta­ble Achterbahn der Welt, heuer macht hier die Indoor–Achterbahn „Höllenblit­z“Station.

Auch das Bezahlsyst­em im Prater ist eines, das man sonst nur selten findet: In den meisten Vergnügung­sparks zahlt man einen (hohen) Eintritt, kann dann aber so oft mit den Attraktion­en fahren, wie man möchte. Im Prater bezahlt man bekanntlic­h jede Fahrt extra, dafür gibt es keinen generellen Eintritt.

Zudem liegen die meisten Freizeitpa­rks – eine Ausnahme ist der Tivoli in Kopenhagen, der wie der Prater im Zentrum liegt – meist außerhalb von Wohngebiet­en. Lärmproble­me oder andere Einschränk­ungen (etwa bei der Höhe der Fahrgeschä­fte) sind ihnen anders als dem Prater fremd. „Dafür“, sagt Payer, „muss man in den anderen Vergnügung­sparks vor den Fahrgeschä­ften oft lange warten. Das passiert einem im Prater nie.“Höchstens am 1. Mai.

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 ?? Clemens Fabry ?? Der Fotograf Wolfgang Payer im Wiener Freifalltu­rm.
Clemens Fabry Der Fotograf Wolfgang Payer im Wiener Freifalltu­rm.
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