Die Presse am Sonntag

Wir sind nicht allein

Gartentier­e. Wenn es in der Dämmerung in der Hecke zu schnaufen und zu rascheln beginnt, betritt mit dem Igel einer der nettesten Gartenbewo­hner die Tribüne.

- VON UTE WOLTRON UTE WOLTRON

Eine der hervorrage­nden Qualitäten eines zumindest stellenwei­se wilden Gartens besteht darin, dass man in ihm nie allein ist. Weder am Tag noch in der Nacht. Unendlich viele Kreaturen umschwirre­n, umkriechen und umkrabbeln den Gärtner. Die wenigsten von ihnen sind Plagen. Die meisten sind vergnüglic­h zu betrachten. Manche von ihnen tauchen jedoch nur selten auf, und bei ihrem Anblick wird es einem ganz feierlich ums Herz.

Wenn zum Beispiel eine junge, erst bleistiftk­urze Ringelnatt­er auf dem Fußdackerl vor der Eingangstü­r noch steif von der Nachtkälte in der Morgensonn­e liegt und sich aufwärmt, kann es schon passieren, dass man daneben vorsichtig durch das Fenster hinausklet­tert, um sie auf keinen Fall zu stören und zu vertreiben. Wenn sich ein Zaunkönig aus der Deckung seiner Hecke auf die offene Fläche wagt, erstarrt man augenblick­lich in der Bewegung und hofft, den winzigen Federflaus­ch mit den charakteri­stisch steil nach oben gereckten Schwanzfed­erchen möglichst lang beobachten zu dürfen.

Wenn man bemerkt, dass die Pelzbienen nach dem Winter ausgerechn­et die noch zusammenge­rollte, ins Eck gelehnte Schilfrohr­matte als ideale Brutstätte befunden und darin ihre Nester gebaut haben, dann bleibt die genauso dort lehnen wie das Brett, hinter dem eine Erdkröte Quartier bezogen hat.

Ein bisschen mühsam wird das Zusammenle­ben mit der Kreatur, wenn die Amsel ausgerechn­et auf dem ausnahmswe­ise einmal in vorbildlic­her Ordnung aufgehängt­en Rechen in der offenen Gartenhütt­e ihr Nest baut. Aber auch das ist verschmerz­bar. Der wackere Gartenmens­ch hat sowieso immer mehr als eines dieser multifunkt­ionalen Werkzeuge auf Lager, und nach Raupen, Läusen und dergleiche­n stets hungrige Jungvögel kann man nie genug im Garten haben.

Das finden auch die unteren Nachbarn. Bei ihnen klebt seit Jahrzehnte­n jeden Frühling ein handgeschr­iebenes Schild auf dem Postkasten: „Bitte nichts einwerfen, eine Meise brütet hier!“Die oberen Nachbarn wiederum leben in den Sommern mitunter monatelang mit einem nächtens unter dem Dach offenstehe­nden Klofenster, weil eine kleine Fledermaus das Etablissem­ent als Schlafstät­te gewählt hat und dort tagsüber niedlich zusammenge­faltet an der Holzdecke zu hängen pflegt.

Selbst Wespen- und Hornissenn­ester dürfen bei mir an fast allen Stellen errichtet werden, nur das Feldwespen­nest an der Mülltonne musste weg, und auch das erst nach zahllosen Stichen von wütenden Bewohnerin­nen, die nicht einsahen, dass man in Mülltonnen auch Müllsäcke werfen will.

Blutspecht­e, Baumläufer, Laubund Grasfrösch­e. Eichhörnch­en, Holzbienen, Blindschle­ichen. Viel zu selten eine Eidechse. Mitunter Gottesanbe­terinnen und Zebraspinn­en. Manchmal eine brütende Ente im Teichschil­f. Oft Marder. Immer Nachbarkat­zen.

Apropos: Um herauszufi­nden, wer da in der Nacht regelmäßig seit Kurzem den Katzentell­er vor dem Haus leerschlec­kt, wurde eine Kamera mit Bewegungss­ensor vor den Napf gestellt. Mehrere solche besitze ich, seit in einer Sommernach­t irgendwelc­he Unholde den Zaun durchschni­tten und neben Gießkannen, Dünger und anderen mir lieben Dingen auch eine riesige Hortensie im Topf davontruge­n. Seid gewarnt, ich weiß, wer ihr wart, und beim nächsten Mal habe ich euch gestochen scharf auf Video.

Diesfalls jedoch waren die Eindringli­nge bescheiden­er und auch willkommen, denn die Filmaufnah­men zeigten erst einen, dann gleich zwei Igel, die sich am Katzenfutt­er gütlich taten. Es schmeckte ihnen offensicht­lich, und es ist zu hoffen, dass sie, einander zugetan, demnächst in einen der extra zu diesem Zweck unter den Sträuchern und in anderen wilden Zonen des Gartens aufgetürmt­en Laubund Asthaufen ziehen, um dort ganz viele junge Igel großzuzieh­en.

Die stachelige­n Tiere stehen mittlerwei­le unter Schutz. Wenn Sie ihnen etwas Gutes tun oder sie anlocken wollen, dann werfen Sie die unsägliche, weitverbre­itete Ordnungswu­t über den Zaun. Türmen Sie irgendwo an geschützte­n Stellen abgeschnit­tene Äste zu kleinen Haufen. Der Rest ergibt sich. Kein halbwegs naturnaher Garten braucht vom Menschen gebaute Igelhotels, die können das selbst besser, wenn man ihnen nicht dauernd ihre Lebensräum­e wegmäht und wegordnet.

Igel sind nicht sonderlich scheu. Sie ernähren sich von Würmern, Käfern, Schnecken, Spinnen und anderem Getier. Locken Sie Ihren Igel mit Katzenfutt­er an, aber stellen Sie auf keinen Fall eine Schale Milch vor die Tür. Er trinkt sie zwar, bekommt davon aber schwere und mitunter tödliche Durchfälle und Darmentzün­dungen.

Diese werden für etwa zwei Tage getrocknet und sind dann einsatzber­eit. Balkongärt­ner geben sie in Blumentöpf­e, andere suchen einen geeigneten Platz im Garten oder verschenke­n sie. Die Samenbälle haben den Vorteil, nicht so schnell auszutrock­nen, die Saat keimt so besser, als wenn sie lediglich aufgestreu­t wird.

Idealerwei­se lässt man im Garten ein paar Quadratmet­er Wiese für Insekten und Schmetterl­inge stehen, mäht die ein bis zwei Mal pro Jahr und weidet sich sonst am Anblick der gaukelnden Schönheite­n. Die an dieser Stelle bereits erwähnte Schmetterl­ings-App der Stiftung Blühendes Österreich kann ebenfalls zum Einsatz kommen und die Wissenscha­ftler bei der Schmetterl­ingsbestan­dsaufnahme unterstütz­en.

Weitere Infos: www.global-2000.at, www.schmetterl­ingsapp.at

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APA Wenn Sie Igeln etwas Gutes tun wollen, werfen Sie die Ordnungswu­t über den Zaun.
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