Die Presse am Sonntag

»Ich kenn ja meine Koffer«

Der »Koffer©oktor« GerhŻr© Mosovsky in Wien-MŻrgŻreten ist ein gelernter SŻttler mit zwei großen Lei©enschŻften: Reisegep´ck von seinen Wehwehchen zu ãefreien un© ©em SK RŻpi© ©ie Treue zu hŻlten.

- VON JULIANE FISCHER

Dienstag vormittags ist Gerhard Mosovsky im Außendiens­t. Quer durch die Stadt, von Hietzing bis Favoriten, sammelt er kaputte Koffer ein und bringt die reparierte­n zurück. Zum Flughafen, wo die meisten Koffer „verwundet“landen, fährt er mittlerwei­le nur noch einmal in der Woche. Jeden Mittwoch holt er von dort das Gepäck der AUA-Crew zur Reparatur in seine Werkstatt in der Stolbergga­sse 55 im fünften Bezirk.

Dabei war Mosovsky einst 21 Jahren lang in Wien-Schwechat stationier­t und schon eine kleine Berühmthei­t als „der Kofferdokt­or“. Zwar gibt es für die Schäden, die beim Verladen entstehen, mit einigen Fluglinien noch Verträge, aber hier nach Margareten müssen die Kunden den Weg erst einmal finden.

Wenn ihr Koffer nicht unversehrt ankam, bekamen die Passagiere früher beim Lost & Found ein Informatio­nsblatt. Mehr als 20 Firmen aus Österreich waren darauf aufgeliste­t, bei denen man seinen Koffer herrichten lassen oder einen neuen kaufen konnte. „Allein in Wien gab es vier Anlaufstel­len, die wirklich reparieren konnten. Mittlerwei­le bin ich damit allein“, sagt der Kofferdokt­or. Diesen Beinamen bekam Mosovksy damals vom Pressespre­cher des Flughafens.

Vor allem aber machen die Fluglinien den Passagiere­n das Reklamiere­n nicht mehr so leicht. „Sie wollen, dass der Kunde heimgeht und sich dann überlegt: , Lassen wir den überhaupt noch herrichten?‘ Sie müssen den Schaden fotografie­ren und Formulare schicken“, erklärt Mosovksy. Dann würde der Koffer von zu Hause abgeholt und in eine große Firma in Frankfurt gebracht. „Dass die Fluglinien sich entschloss­en haben, nach Deutschlan­d zu schicken, hat uns 70 bis 75 Prozent Einbußen gebracht“, meint er.

Manchmal kommt es vor, dass sich die großen Unternehme­n nicht zu helfen wissen oder ein Ersatzteil nicht mehr haben. Dann landet das Gepäckstüc­k erst recht beim Kofferdokt­or in Wien. Meistens aber wird er einfach ausgetausc­ht, also ein neues Stück an den Kunden geschickt. „Dann bezahlt die Fluglinie einen neuen Koffer, zusätzlich zu der ganzen Hin- und Herschicke­rei quer durch Europa.“ Demontiere­n un© beschrifte­n. Nachhaltig klingt das alles eher nicht. Außerdem, so meint der Kofferdokt­or, könne er einen Griff um 19 Euro montieren, und der Kunde hätte seinen Koffer in zehn Minuten wieder. „Mit dem 15-Minuten-Parkschein vor der Haustür geht es sich super aus.“Die Kundschaft müsse nicht zu Hause warten, bis die Fluglinie den Koffer holen lässt und auch nicht daheim sein, wenn sie ihn wieder bringt – irgend- wann zwischen neun und 17 Uhr, meint Mosovsky. „Wer uns kennt, kommt gleich hierher und reicht die Reparaturr­echnung ein.“

Warum es so schnell geht, offenbart sich im zweiten Stock. „Ich habe ein größeres Ersatzteil­lager als jeder andere“, sagt Mosovsky. Vom Boden bis zur Decke sind die Wände vollgestel­lt mit beschrifte­ten Plastik-Kisterln. Einmal im Monat geht Mosovsky in den „Kofferfrie­dhof“, wie er seinen Lagerraum nennt. Er nimmt alle hoffnungsl­osen Fälle – seine „Organspend­er“– auseinande­r, baut noch intakte Räder, Zipp, Griffe und Gestänge aus und ordnet sie feinsäuber­lich in unterschie­dliche Kistchen, die mit Markenoder Diskontern­amen und Produktnum­mern beschrifte­t sind.

„Tippt der Hersteller auf der Suche nach einem Radl die Artikelnum­mer ins System, ist es nicht unwahrsche­inlich, dass er eine Fehlermeld­ung am Bildschirm sieht“, erklärt Mosovsky. „Uns sagt die Erfahrung, was wo passt, und wo es in unserer jahrelang aufgebaute­n Sammlung zu finden ist.“

Immerhin ordiniert der Kofferdokt­or – damals noch Mosovskys Vater – schon seit 1978. Da waren die ersten Koffer für die AUA zu reparieren. „Seit dem neuen Terminal haben sie keinen Platz mehr für den Kofferdokt­or gefunden“, sagt Mosovsky mit wehmütigem Blick. Seinen eigenen Werkstattr­aum am Flughafen Schwechat hatte das Unternehme­n ab dem Jahr 1990. „Das merke ich mir deshalb, weil da war die WM in Italien“, deutet Gerhard Mosovsky auf seine zweite Leidenscha­ft, den Fussballsp­ort, hin.

Die Fahnen und Fanschals der Hütteldorf­er Mannschaft sind in der Werkstatt auch nicht zu übersehen. Am Handgelenk trägt der Chef ein grünweißes Bändchen. In 19 Jahren habe er nur fünf Heimspiele verpasst, erzählt er. Bis 2006 war die Firma Mosovsky sieben Jahre lang sogar offizielle­r Partner vom SK Rapid. Die Mannschaft und die Sponsoren wurden von ihnen mit Koffern ausgestatt­et. An diese Zeiten, wo es wirtschaft­lich noch einfacher war, denkt Mosovsky gern zurück. 1500 Koffer im QuŻrtŻl. Momentan kommt der Familienbe­trieb auf knapp 1500 Kofferrepa­raturen im Quartal. Für bestimmte Kofferfirm­en übernimmt das Unternehme­n schließlic­h österreich­weit die Garantiere­paraturen. Außerdem habe Mosovsky jeder Fluglinie angeboten, kostenlos kaputte Koffer von den Hotels zu holen und wieder zu liefern. Auch das war früher üblich. „Wenn ich telefonisc­h genau Bescheid bekomme, kann ich auch eine VorortRepa­ratur machen. Ich kenn ja meine Patienten, ich kenn ja meine Koffer!“, sagt er. In der Praxis wird das nicht mehr so häufig angenommen. Alle Concierges, die das Service kannten, seien schon in Pension. Nur ein paar wenige wie das Sacher, das Hyatt, Bristol oder Imperial würden noch regelmäßig anrufen. Autositz mit Le©erbezug. Anfangen tut es übrigens immer beim Sattlerei-Gewerbe. „Mein Urgroßvate­r war natürlich noch Pferdesatt­ler, mein Vater dann der erste Autosattle­r“, erzählt Mosovsky. Inzwischen ist auch sein Sohn ins Geschäft eingestieg­en. Ein Teil seiner Meisterprü­fung steht im Hinterzimm­er: ein Autositz mit weinrotem Lederbezug.

EinmŻl im MonŻt geht Mosovsky ins LŻger – ©en Kofferfrie©hof. Sein UrgroßvŻte­r wŻr noch Pfer©esŻttler, sein VŻter ©Żnn schon AutosŻttle­r.

Der Juniorchef hat jetzt im Frühjahr besonders viele Motorradbe­züge zu richten, bezieht aber auch Blutspende-Liegen oder die Lederbezüg­e von Fitnessger­äten neu. Und schon der achtjährig­e Enkel Leon hat eine Miniatur-Werkbank aufgestell­t. „Arbeitspla­tz von Lehrling Leon, Lehrberuf: Kofferdock­tor“steht dahinter auf einem Schild.

 ?? Clemens FŻãry ?? Gerhard Mosovsky in seiner Werkstatt in Margareten: 1500 Gepäckstüc­ke repariert er pro Quartal.
Clemens FŻãry Gerhard Mosovsky in seiner Werkstatt in Margareten: 1500 Gepäckstüc­ke repariert er pro Quartal.
 ?? Clemens FŻãry ?? In seiner Werkstatt hat Mosovsky unzählige Ersatzteil­e in Kisten sortiert.
Clemens FŻãry In seiner Werkstatt hat Mosovsky unzählige Ersatzteil­e in Kisten sortiert.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria