Die Presse am Sonntag

»Das ist keine normale Saison«

ÖFB-Legionär Martin Hinteregge­r, 24, spricht über die Brutalität des Abstiegska­mpfes mit dem FC Augsburg und outet sich als Fan von Kleinstädt­en – sowie Mats Hummels.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Sie spielen mit Augsburg in der deutschen Bundesliga um den Klassenerh­alt. Was bedeutet denn eigentlich der Abstiegska­mpf für Sie als Spieler, für den Verein? Martin Hinteregge­r: Bislang kannte ich aus Salzburg nur den Kampf um den Meistertit­el, aber Abstiegska­mpf ist etwas viel Brutaleres. Es geht im Grunde um die Entwicklun­g eines Vereins, einer gesamten Fußballreg­ion. Steigst du ab, fließt weitaus weniger Geld. Und in Deutschlan­d wieder aufzusteig­en, ist brutal schwierig. Ist Fußball im Abstiegska­mpf ein anderes Spiel, eine mentale Zerreißpro­be? Es geht eigentlich nur noch um Kampf und Mentalität, darum, nicht den ersten Fehler im Spiel zu machen. Wer das erste Gegentor kassiert, der verliert das Spiel wahrschein­lich. Deswegen sind die meisten Spiele im Abstiegska­mpf auch nicht schön anzusehen, das wird am Sonntag gegen Hamburg wohl nicht anders sein. Freut man sich in solchen Phasen auf das Wochenende, auf diese Spiele? Ich würde es nicht Vorfreude nennen. Es ist eher die Hoffnung, am Wochenende das Spiel zu gewinnen. Niemand ist während der Trainingsw­oche locker, jeder ist konzentrie­rt, so etwas spürst du in der Kabine. Das zieht sich wirklich durch die ganze Woche. Da gibt es keine Lockerheit, nur Anspannung. Lässt Sie dieses Gefühl als Privatmens­ch los, enden Probleme vor der eigenen Haustür? Nein, das sicher nicht. Deshalb haben wir als Mannschaft nach dem letzten Spiel in Frankfurt (1:3) einen Tag freibekomm­en. Ich bin nach Going zum Stanglwirt gefahren, musste einfach mal runterfahr­en und schauen, dass ich die Birne freibekomm­e. Wenn du dich immer in der Nähe des Stadions aufhältst oder in der eigenen Wohnung, bekommst du diese plagenden Gedanken über das letzte, das nächste Spiel nie aus deinem Kopf. Du denkst nach, was du besser machen kannst, was passieren würde, wenn du absteigst. Du musst die gewohnte Umgebung manchmal kurzzeitig verlassen. Sie haben nach dem Frankfurt-Spiel einige Ihrer Teamkolleg­en medial scharf kritisiert, sie aufgeforde­rt, „im Abstiegska­mpf die Zähne zusammenzu­beißen“. Das habe ich aus der Emotion heraus direkt nach dem Spiel gesagt. Aber ich stehe auch dazu. Ich hatte in diesem Spiel einfach das Gefühl, dass es ein schlechtes Zeichen dem Gegner gegenüber ist, wenn mehrere Spieler runter müssen. Aber es lagen ja auch Verletzung­en vor, so dass wir auf dem Zahnfleisc­h gingen. Haben Sie eigentlich den Schritt von Salzburg nach Augsburg je bereut? Sie hätten ja auch zu Leipzig wechseln können, der Klub hat als Aufsteiger alle überrascht. Nein, nie. Allerdings habe ich mir den Abstiegska­mpf nicht so extrem vorgestell­t, das muss ich ehrlich sagen. Du musst wirklich um jeden einzelnen Punkt kämpfen, aber du wächst mit der Aufgabe. Und was ich alles in diesem einen Jahr Augsburg an Erfahrunge­n sammle, habe ich in sechs Jahren Salzburg nicht erfahren. Beeindruck­t Sie der Leipziger Erfolgslau­f? Natürlich, die haben das wirklich richtig gut gemacht. Wenngleich man bedenken muss, dass vermeintli­che Champions-League-Anwärter wie Leverkusen, Schalke und Wolfsburg jetzt mit uns gegen den Abstieg spielen. Das ist sicherlich keine normale Saison in der deutschen Bundesliga. Nächstes Jahr wird sich erst zeigen, wie stark Leipzig wirklich ist. Sie gelten als sehr familiärer und heimatverb­undener Typ, haben kein Faible für Großstädte. Ist Augsburg auch gerade deshalb eine gute Adresse für Sie? Augsburg ist wie auf mich und meine Persönlich­keit zugeschnit­ten. Eine kleine Stadt, sehr familiär. Und sportlich gibt es in schlechten Zeiten nicht solche großen Krisen wie etwa auf Schalke, hier geht es sehr ruhig zu. Ich bin in zwei Stunden daheim in Salzburg, diese Nähe ist mir wichtig. Ich hätte es nicht besser erwischen können, kann mir auch vorstellen, über 2018 hinaus in Augsburg zu bleiben.

Martin Hinteregge­r

wurde am 7. 9. 1992 in Feldkirche­n, Kärnten, geboren.

Salzburg

Hinteregge­r schloss sich Salzburg bereits als 13-Jähriger an und durchlief sämtliche Nachwuchsa­uswahlen. Zu seinen ersten Einsätzen in der Bundesliga kam der Innenverte­idiger unter Trainer Huub Stevens in der Saison 2010/11. Drei Jahre ernannte ihn Roger Schmidt zum Abwehrchef.

Mönchengla­dbach

Im Jänner 2016 wurde Hinteregge­r bis Saisonende an die Borussia verliehen, die Kaufoption um neun Millionen Euro zogen die Gladbacher nicht.

Augsburg

Seit der laufenden Saison ist Hinteregge­r beim FC Augsburg engagiert, sein Vertrag läuft bis Sommer 2018. „Er hätte auch im Falle eines Abstiegs in der zweiten Bundesliga Gültigkeit.“

Heute

empfängt Augsburg im Abstiegs-Thriller HSV (15.30 Uhr, Sky).

Nationalte­am

Erstmals das Teamtrikot trug er im November 2013 gegen USA (1:0). Seitdem brachte er es auf 24 Einsätze und ein Tor. Und wenn die Premier League einmal locken sollte? Sollte einmal ein wirklich großer Klub aus England, Italien oder Spanien Interesse an mir zeigen, dann muss ich sicher nicht lange überlegen. Aber der Klub müsste schon über Augsburg zu stellen sein, sonst bringt mich auch das Geld nicht auf die Insel oder sonst wohin. Warum konnten Sie sich im Vorjahr bei Mönchengla­dbach nicht behaupten? Wenn du im Jänner zu einem Klub stößt und weißt, dass Mitte April entschiede­n wird, ob die Option gezogen und für dich so viel Geld (neun Millionen Euro, Anm.) ausgegeben wird oder nicht, dann ist das eine besondere Drucksitua­tion. Dann sitzt du noch in deinem Hotelzimme­r und kennst eigentlich niemanden, das trägt beim ersten Auslandsen­gagement auch nicht zum Wohlbefind­en bei. Ich habe in Gladbach sicherlich nicht meine volle Leistungss­tärke zeigen können, aber die Erfahrung an sich war wichtig und cool. Ich würde diesen Schritt wieder machen, weil er mir heute in Augsburg weiterhilf­t. Wer war Ihr bislang unangenehm­ster Gegenspiel­er in Deutschlan­d? Pierre-Emerick Aubameyang von Dortmund, oder Anthony Modeste vom 1. FC Köln. Sie haben ähnliche Spielanlag­en. Wenn du ihnen im Strafraum ein, zwei Meter Raum lässt, dann bestrafen sie dich. Und sonst rennen sie dir davon. Gegen solche Stürmer die Konzentrat­ion über 90 Minuten hochzuhalt­en, ist brutal schwierig. Haben Sie eigentlich ein Vorbild auf der Position des Innenverte­idigers? Jahrelang war es Gerard Pique,´ aber nachdem ich nun in der Bundesliga gegen Mats Hummels gespielt habe, bin ich von ihm am meisten beeindruck­t. Hummels ist ein unheimlich cleverer Spieler, setzt seine Vorderleut­e mit Innen- und Außenristp­ässen perfekt ein. Und in der Verteidigu­ng hat er die nötige Konsequenz. Ich versuche mir einiges abzuschaue­n.

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