»Das ist keine normale Saison«
ÖFB-Legionär Martin Hinteregger, 24, spricht über die Brutalität des Abstiegskampfes mit dem FC Augsburg und outet sich als Fan von Kleinstädten – sowie Mats Hummels.
Sie spielen mit Augsburg in der deutschen Bundesliga um den Klassenerhalt. Was bedeutet denn eigentlich der Abstiegskampf für Sie als Spieler, für den Verein? Martin Hinteregger: Bislang kannte ich aus Salzburg nur den Kampf um den Meistertitel, aber Abstiegskampf ist etwas viel Brutaleres. Es geht im Grunde um die Entwicklung eines Vereins, einer gesamten Fußballregion. Steigst du ab, fließt weitaus weniger Geld. Und in Deutschland wieder aufzusteigen, ist brutal schwierig. Ist Fußball im Abstiegskampf ein anderes Spiel, eine mentale Zerreißprobe? Es geht eigentlich nur noch um Kampf und Mentalität, darum, nicht den ersten Fehler im Spiel zu machen. Wer das erste Gegentor kassiert, der verliert das Spiel wahrscheinlich. Deswegen sind die meisten Spiele im Abstiegskampf auch nicht schön anzusehen, das wird am Sonntag gegen Hamburg wohl nicht anders sein. Freut man sich in solchen Phasen auf das Wochenende, auf diese Spiele? Ich würde es nicht Vorfreude nennen. Es ist eher die Hoffnung, am Wochenende das Spiel zu gewinnen. Niemand ist während der Trainingswoche locker, jeder ist konzentriert, so etwas spürst du in der Kabine. Das zieht sich wirklich durch die ganze Woche. Da gibt es keine Lockerheit, nur Anspannung. Lässt Sie dieses Gefühl als Privatmensch los, enden Probleme vor der eigenen Haustür? Nein, das sicher nicht. Deshalb haben wir als Mannschaft nach dem letzten Spiel in Frankfurt (1:3) einen Tag freibekommen. Ich bin nach Going zum Stanglwirt gefahren, musste einfach mal runterfahren und schauen, dass ich die Birne freibekomme. Wenn du dich immer in der Nähe des Stadions aufhältst oder in der eigenen Wohnung, bekommst du diese plagenden Gedanken über das letzte, das nächste Spiel nie aus deinem Kopf. Du denkst nach, was du besser machen kannst, was passieren würde, wenn du absteigst. Du musst die gewohnte Umgebung manchmal kurzzeitig verlassen. Sie haben nach dem Frankfurt-Spiel einige Ihrer Teamkollegen medial scharf kritisiert, sie aufgefordert, „im Abstiegskampf die Zähne zusammenzubeißen“. Das habe ich aus der Emotion heraus direkt nach dem Spiel gesagt. Aber ich stehe auch dazu. Ich hatte in diesem Spiel einfach das Gefühl, dass es ein schlechtes Zeichen dem Gegner gegenüber ist, wenn mehrere Spieler runter müssen. Aber es lagen ja auch Verletzungen vor, so dass wir auf dem Zahnfleisch gingen. Haben Sie eigentlich den Schritt von Salzburg nach Augsburg je bereut? Sie hätten ja auch zu Leipzig wechseln können, der Klub hat als Aufsteiger alle überrascht. Nein, nie. Allerdings habe ich mir den Abstiegskampf nicht so extrem vorgestellt, das muss ich ehrlich sagen. Du musst wirklich um jeden einzelnen Punkt kämpfen, aber du wächst mit der Aufgabe. Und was ich alles in diesem einen Jahr Augsburg an Erfahrungen sammle, habe ich in sechs Jahren Salzburg nicht erfahren. Beeindruckt Sie der Leipziger Erfolgslauf? Natürlich, die haben das wirklich richtig gut gemacht. Wenngleich man bedenken muss, dass vermeintliche Champions-League-Anwärter wie Leverkusen, Schalke und Wolfsburg jetzt mit uns gegen den Abstieg spielen. Das ist sicherlich keine normale Saison in der deutschen Bundesliga. Nächstes Jahr wird sich erst zeigen, wie stark Leipzig wirklich ist. Sie gelten als sehr familiärer und heimatverbundener Typ, haben kein Faible für Großstädte. Ist Augsburg auch gerade deshalb eine gute Adresse für Sie? Augsburg ist wie auf mich und meine Persönlichkeit zugeschnitten. Eine kleine Stadt, sehr familiär. Und sportlich gibt es in schlechten Zeiten nicht solche großen Krisen wie etwa auf Schalke, hier geht es sehr ruhig zu. Ich bin in zwei Stunden daheim in Salzburg, diese Nähe ist mir wichtig. Ich hätte es nicht besser erwischen können, kann mir auch vorstellen, über 2018 hinaus in Augsburg zu bleiben.
Martin Hinteregger
wurde am 7. 9. 1992 in Feldkirchen, Kärnten, geboren.
Salzburg
Hinteregger schloss sich Salzburg bereits als 13-Jähriger an und durchlief sämtliche Nachwuchsauswahlen. Zu seinen ersten Einsätzen in der Bundesliga kam der Innenverteidiger unter Trainer Huub Stevens in der Saison 2010/11. Drei Jahre ernannte ihn Roger Schmidt zum Abwehrchef.
Mönchengladbach
Im Jänner 2016 wurde Hinteregger bis Saisonende an die Borussia verliehen, die Kaufoption um neun Millionen Euro zogen die Gladbacher nicht.
Augsburg
Seit der laufenden Saison ist Hinteregger beim FC Augsburg engagiert, sein Vertrag läuft bis Sommer 2018. „Er hätte auch im Falle eines Abstiegs in der zweiten Bundesliga Gültigkeit.“
Heute
empfängt Augsburg im Abstiegs-Thriller HSV (15.30 Uhr, Sky).
Nationalteam
Erstmals das Teamtrikot trug er im November 2013 gegen USA (1:0). Seitdem brachte er es auf 24 Einsätze und ein Tor. Und wenn die Premier League einmal locken sollte? Sollte einmal ein wirklich großer Klub aus England, Italien oder Spanien Interesse an mir zeigen, dann muss ich sicher nicht lange überlegen. Aber der Klub müsste schon über Augsburg zu stellen sein, sonst bringt mich auch das Geld nicht auf die Insel oder sonst wohin. Warum konnten Sie sich im Vorjahr bei Mönchengladbach nicht behaupten? Wenn du im Jänner zu einem Klub stößt und weißt, dass Mitte April entschieden wird, ob die Option gezogen und für dich so viel Geld (neun Millionen Euro, Anm.) ausgegeben wird oder nicht, dann ist das eine besondere Drucksituation. Dann sitzt du noch in deinem Hotelzimmer und kennst eigentlich niemanden, das trägt beim ersten Auslandsengagement auch nicht zum Wohlbefinden bei. Ich habe in Gladbach sicherlich nicht meine volle Leistungsstärke zeigen können, aber die Erfahrung an sich war wichtig und cool. Ich würde diesen Schritt wieder machen, weil er mir heute in Augsburg weiterhilft. Wer war Ihr bislang unangenehmster Gegenspieler in Deutschland? Pierre-Emerick Aubameyang von Dortmund, oder Anthony Modeste vom 1. FC Köln. Sie haben ähnliche Spielanlagen. Wenn du ihnen im Strafraum ein, zwei Meter Raum lässt, dann bestrafen sie dich. Und sonst rennen sie dir davon. Gegen solche Stürmer die Konzentration über 90 Minuten hochzuhalten, ist brutal schwierig. Haben Sie eigentlich ein Vorbild auf der Position des Innenverteidigers? Jahrelang war es Gerard Pique,´ aber nachdem ich nun in der Bundesliga gegen Mats Hummels gespielt habe, bin ich von ihm am meisten beeindruckt. Hummels ist ein unheimlich cleverer Spieler, setzt seine Vorderleute mit Innen- und Außenristpässen perfekt ein. Und in der Verteidigung hat er die nötige Konsequenz. Ich versuche mir einiges abzuschauen.