Die Presse am Sonntag

Liebesgrüß­e aus Moskau

Russlands Fußballtea­m absolviert im Mai ein elftägiges Trainingsl­ager in Neustift. Für Teamchef und Ex-Tirol-Keeper Stanislaw Tschertsch­essow ist es ein Heimspiel.

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Moskau. Ein Foto mit DFB-Teamchef Joachim Löw steht auf einem Sims direkt bei seinem Schreibtis­ch im Moskauer Büro im Haus des Fußballs. Das Bild zeigt den deutschen Weltmeiste­rTrainer mit seinem ehemaligen Torhüter aus gemeinsame­n Innsbrucke­r Zeiten, Stanislaw Tschertsch­essow. Seit 2001 hat sich für beide im Weltfußbal­l aber alles verändert, Löw ist seit dem WM-Triumph 2014 an seinem Ziel angelangt, und „Stani“, weiterhin in Innsbruck daheim, ist seit Sommer 2016 Teamchef der Sbornaja. Dass er bei der WM 2018 in Russland den Titel gewinnt, ist nahezu ausgeschlo­ssen. Es wäre ein „Fußball-Wunder“, seinem Idol nacheifern wolle er aber. „Das Foto hängt nicht umsonst hier. Löw ist eine Respektspe­rson.“

Zusammen wurden Löw und Tschertsch­essow österreich­ischer Meister, Innsbruck war eine der erfolgreic­hsten Stationen in seiner Spielerkar­riere. Es ist also auch nicht weiter verwunderl­ich, dass Russland seine Vorbereitu­ng auf den Confederat­ions Cup (ab 17. Juni) in zwei Wochen in Neustift (Stubaital) und vor Tiroler Alpenpanor­ama unter die Beine nehmen wird. Elf Tage lang wird dann eisern trainiert, aller Beschaulic­hkeit zum Trotz. Dresden, Innsbruck, Moskau. Denn es gibt viel zu tun. Seit Monaten hagelt es in den Medien massive Kritik an der erfolglose­n Spielweise. Nur zwei von sieben Tests hat die Mannschaft gewonnen, seit Tschertsch­essow vergangene­n Sommer das Team nach dem blamablen, von Hooligan-Auftritten überschatt­eten EM-Auftritt übernommen hat. „Wir sind absoluter Außenseite­r unter den acht Mannschaft­en beim Confed-Cup“, sagt Tschertsch­essow. „Wir sind als Gastgeber das ein-

1963

wird Stanislaw Tschertsch­essow in Alagir, Russland, geboren. Er war Torhüter und ist seit Sommer 2016 Sbornaja-Teamchef.

Karriere als Aktiver

Bei Spartak Moskau (1986–1993) reifte er zum Teamkeeper, bis 1995 war er bei Dynamo Dresden, danach bis 2002 beim FC Tirol.

Trainersta­tionen

2003 begann er als Trainer, erste Station war Kufstein. Bis 2005 betreute er Innsbruck, danach Spartak, Sotschi, Grosny, Perm, Dynamo Moskau und Legia Warschau,

Erfolge

Er wurde 1987, 1989 und 1992 russischer Meister, 2000, 2001 und 2002 mit Tirol. Als Trainer führte er nur Warschau (2016) zum Titel. zige Team, das kein anderes Turnier gewonnen hat, um sich zu qualifizie­ren.“Trotzdem will der Russe das Maximum rausholen, wenn seine Heimat zum ersten großen internatio­nalen Fußballtur­nier lädt.

Dass Tschertsch­essow selbst ein Kämpfer ist, hat er zwischen 1993 und 1995 bei Dynamo Dresden bewiesen. In den ersten vier Spielen kassierte er 14 Tore, mehr als in einer ganzen Saison vorher bei Spartak Moskau, erinnert er sich. Von 1996 bis 2002 stand er in Innsbrucks Tor, 182 Spiele und drei Titelfeier­n später zog es ihn wieder nach Moskau. Auch in der Gegenwart muss sich der Keeper mit der Sbornaja von weit unten hocharbeit­en. Doch die Ziele scheinen zu hoch gesteckt. Top 10 der Welt, so die Vorgabe des Sportminis­teriums, soll man sein bis 2030. Auf Dauer, versteht sich. Im aktuellen Fifa-Ranking ist Russland 61.

Tschertsch­essow mahnt nur zur Ruhe, Fußball sei wie ein Hürdenlauf. Da könne man vorher auch nicht über die Ziellinie sprechen. Zuerst gelte es, bereit zu sein für Neuseeland, Europameis­ter Portugal und Mexiko. Da seien Siege Pflicht. Über von Experten angeprange­rte Probleme wollte er nicht sprechen. „Dieses Wort gibt es in meinem Wortschatz nicht. Ich sehe nur Herausford­erungen.“

Der stämmige 53-Jährige mit Glatze und Schnauzbar­t hält unvermitte­lt Zettel mit unleserlic­hen Notizen hoch. Jeden Tag ändere sich etwas für das Trainingsl­ager in Tirol. Teambuildi­ng, Taktik, Tore, nur darum gehe es. Dass Deutschlan­d Favorit sei, betonte er gesondert, Löw zuliebe. „Bei jedem Wettkampf sind die Deutschen vorn. Beim Confed-Cup und der WM werden sie eine starke Rolle spielen!“Und Russland? Der Wille ist da, nur es fehlt der Glaube an ein Sommermärc­hen.

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AFP Nicht Disneyland, sondern die F1-Rennstreck­e von Sotschi.
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