Putins liebster Spielplatz: Sporthochburg Sotschi
Olympia, Confed-Cup, Fußball-WM oder Formel 1: große Sportund Geldserien sind in Russland am Start.
Menschenrechte, Dopingprobleme, Ukraine-Krise, Krim-Konflikt, Terrorangst, Umweltfragen und das Dasein als Milliardengrab bzw. Geisterstadt nach den Winterspielen 2014: All diese Aspekte scheinen Russlands Riviera und dem Kurort Sotschi einfach nichts anhaben zu können. Hier läuft alles wie gewohnt, hier an der Schwarzmeerküste, an dem Ort, an dem schon Josef Stalin seine Datscha pflegte und rundum in der Region Krasnaja Poljana, in der auch Wladimir Putin sein Sommerhaus besucht. Dass für sein Prestigeprojekt Olympia über 50 Milliarden Euro ausgegeben, Autobahnen und Zugstrecken in die Wildnis geschlagen oder Hotelhochburgen in die Bergregion gebaut wurde, ist nicht mehr von Belang.
Die Frage der Nachhaltigkeit stellt sich jetzt ohnehin nicht mehr. Es waren wunderbare Spiele im Februar 2014, mit grandiosen Wettkämpfen und einzigartigen Wettkampfstätten. Doch der Schatten rund um den größten Dopingskandal der Sportgeschichte – die Weltantidopingagentur Wada legte dank Whistleblowern systematisches, offenbar staatlich gesteuertes und jahrezehntelang betriebenes Doping offen – hat nicht nur Sotschi eingehüllt, sondern den ganzen russischen Sport ins Tief gerissen. Leichtathleten bleiben weltweit ausgesperrt, zig Großevents wurden Russland entzogen. Der Weltfußballverband Fifa macht hingegen keinerlei Anstalten, seinen finanzstarken Partner vor dem Confederations Cup oder der Fußball WM 2018 zu verärgern; im Gegenteil. Man demonstriert Stärke, Gianni Infantino zeigt Nähe zu Putin, Sponsoren und Ausrüster applaudieren.
Nicht anders macht es an diesem Wochenende der Formel-1-Zirkus, der in Sotschi seine Runden dreht und dem unter dem Jahr zumeist leer stehenden ehemaligen Olympiaareal rund um Adler Bewegung und Einnahmen beschert. Grand Prix bis 2025. Seit 2014 hält der Tross hier bereits Station, diese finanzstarke Destination wurde von Bernie Ecclestone fürsorglich in den Kalender integriert, der Vertrag des für – vergleichsweise eigentlich günstigen – 260 Millionen Euro gebauten Sochi International Street Circuit jetzt sogar verlängert. Auch das US-Unternehmen Liberty Media sah keinerlei Anlass, nicht mehr in Russland zu starten. Der bis 2020 festgeschriebene Vertrag wurde bis 2025 verlängert, der jährliche Mitgliedsbeitrag beläuft sich auf 40 bis 50 Millionen Dollar. Russland soll neben Baku und Bahrain die höchsten Einzahlungen vornehmen. Über 300 Millionen Dollar rollen garantiert, es ist mehr als nur ein Zukunftsinvestment.
Die Formel 1 ist ein Geschäft, doch das auf Transparenz, Eigenständigkeit und konsumentenfreundliche Auftritte bemühte US-Unternehmen legte eigentlich bei seinem Einstieg gesondert Wert auf einen neuen Auftritt. Social Media, Onlineplattformen – vor allem aber kein direktes Mitwirken von Politikern, Diktatoren, Despoten. Dem wurde nun auch in Sotschi Rechnung getragen. Transparenz, ein PR-Gag. Bislang beglich Russlands Regierung die Rechnung für das Autodrom, sie zog sich offiziell zurück. Dass Chase Carey, er ist Ecclestones CEO-Nachfolger, die VTBGroup als neuen Geldgeber präsentierte, verwunderte nicht weiter. Das Finanzinstitut bezahlt auch Fußball- und Eishockeyklubs, es befindet sich zu 60 Prozent in Staatsbesitz. Der PR-Gag, den Sotschi-GP, der künftig als Nachtrennen veranstaltet werden könnte, aufgrund der Montage immenser Lichtquellen kurzerhand mit mehr Transparenz in Verbindung zu bringen, wurde noch nicht bemüht.
Beste Russland-Werbung auf Rädern, Sotschis »Autodrom« dient hierzu als Glanzstück.
Für eine Rennserie, deren Boxengasse und Anordnung der Motorhomes allerorts rund um den Erdball auf den Millimeter genau ident ist, womöglich selbst die Menüpläne, spielt es keine Rolle, was außerhalb der Rennstrecke geschieht, wenn es einzig und allein um Gewinn, Absatzzahlen der beteiligten Automobilhersteller und den simplen Ticketverkauf geht. 220 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit, 66 Schaltvorgänge pro Runde, seit 2014 durchwegs Mercedes-Siege und für Sonntag (Start 14 Uhr, ORF eins, RTL, Sky) die frische Rivalität zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel, der auf Pole Position steht. Hondas Update der Motoren, Slicks als beste Reifenwahl, kühles Wetter; solche Details bewegen. Alles andere abseits der Rennstrecke passt nicht ins Konzept – und wie das Internationale Olympische Komitee, die Weltfußballer oder andere große Sportserien mit globalem Bezug hält sich auch die Königsklasse des Motorsports samt ihrer Dachorganisation (FIA) mit Kommentaren zu Religion, Politik, und Wirtschaft außerhalb ihres Kosmos vollkommen bedeckt.
Der GP-Sieger wird Champagner verspritzen, Wladimir Putin wird mitfeiern – das PS-Karussell dreht sich.