Die Presse am Sonntag

»Ein kleines Wunder«: Schwanger werden

J´hrlich erkrŻnken in Österreich knŻpp 19.000 FrŻuen Żn Kreãs. Viele müssen ihren Kinderwuns­ch Żufgeãen, weil Chemo- o©er StrŻhlenth­erŻpien ©ie FruchtãŻrk­eit einschr´nken können. Doch es giãt Wege, ©ie ChŻncen Żuf eine SchwŻngers­chŻft zu erhöhen.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Eine Rennstreck­e zeichnet sich am Spielteppi­ch im Wohnzimmer ab. Darauf stehen bunte Autos, daneben sitzt ein grüner Plüschdrac­he, der auf die aufgeschla­genen Kinderbüch­er blickt. Doch er wacht vergebens, Emil ist nicht interessie­rt. Die Schubladen sind fasziniere­nder. Aufziehen, herumwühle­n, zudrücken, schon eilt der Eineinhalb­jährige zur nächsten. „Er ist immer auf Achse“, schmunzelt Patrizia, die ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Ärzte nennen ihn sogar ein kleines Wunder.“

Sechs Jahre zuvor. Patrizia steht im Badezimmer und cremt sich ein, als sie in ihrer linken Brust einen Knoten ertastet. Sie kontaktier­t den Hausarzt, dieser stellt ein Fibroadeno­m fest. Ein gutartiges Knötchen aus Binde- und Drüsengewe­be. Nichts Ungewöhnli­ches, ergeben Mammografi­e und Ultraschal­luntersuch­ung. Ein Jahr später fühlt die damals 27-Jährige abermals einen Knoten, diesmal in der rechten Brust. Das Prozedere wiederholt sich, dazu kommt ein Termin bei der Magnetreso­nanz-Therapie. Der Verdacht der Mediziner bestätigt sich im April 2011: ein invasiv duktales Karzinom. Patrizia hat Brustkrebs.

„Es ist alles unglaublic­h schnell gegangen“, erinnert sich die Niederöste­rreicherin. Tags darauf wird sie operiert. Der Eingriff glückt. Um einer Rückkehr „des K-Worts“(Patrizia spricht nicht von Krebs) vorzubeuge­n, raten die Ärzte zu einer Chemothera­pie und anschließe­nder Bestrahlun­g. Chemo statt Kind? „Es war wie ein Schlag ins Gesicht: Gerade hatten wir mit dem Hausbau begonnen, vor meinem 30. Geburtstag wollte ich ein Baby bekommen. Nun war fraglich, ob ich je schwanger werden könnte, da eine Chemothera­pie die Fruchtbark­eit einschränk­en kann“, sagt Patrizia. Sie kontaktier­te mehrere Onkologen. „Ich wollte hören, dass ich keine Chemo brauche.“Diese Antwort blieb aus. Schließlic­h stieß sie auf das Netzwerk „FertiProte­kt“(siehe Artikel rechts), das sich dem Schutz der Fertilität von Frauen, Männern und Kindern verschrieb­en hat – ließ sich beraten und entschied sich, zusätzlich zur Chemothera­pie, eine Hormonbeha­ndlung durchzufüh- ren, um die Chancen, später Mutter werden zu können, zu erhöhen.

„Bei der sogenannte­n Down-Regulierun­g wird die Patientin in einen verfrühten Wechsel versetzt“, sagt Klaus Mayerhofer von der Wiener Uniklinik für Frauenheil­kunde. Dazu werden ein bis zwei Wochen davor sowie alle vier Wochen während der Chemo GnRHAnalog­a gespritzt, die durch ein Ruhigstell­en der Eierstöcke mögliche unerwünsch­te Wirkungen auf die Eierstöcke reduzieren sollen. „Nach Ende der Chemothera­pie sollte eine Frau zumindest ein bis zwei Jahre nicht schwanger werden, bei manchen Brustkrebs­formen bis zu fünf Jahren“, so Mayerhofer. Der Grund: Die Wahrschein­lichkeit, dass ein Krebs wiederkehr­t, ist in den ersten Jahren nach Therapieau­s am höchsten.

Patrizia blieb davon verschont. Im Juli 2014 beendete sie die Down-Regulation, fortan absolviert­e sie Nachunters­uchungen. Keine Auffälligk­eiten. Die Unsicherhe­it aber blieb. Kommt der Krebs mit Verspätung zurück? Patrizia suchte mit ihrem Mann auf Reisen Ablenkung von dieser Frage. „Es ging nach Korfu, Barcelona und Kuba.“Zurück kam sie „voll schwanger“, wie es Patrizias Arzt ausdrückte. Und das, „ein halbes Jahr nach der Therapie und ganz ohne Hormone zur Ankurbelun­g der Fruchtbark­eit – ein kleines Wunder“.

»Ich wollte von ©en Ärzten hören, ©Żss ich keine ChemotherŻ­pie ãrŻuche.«

Auf ein solches hofft auch Lucia. Die Halbitalie­nerin hat vor einem Dreivierte­ljahr ihre letzte Chemothera­pie bekommen. Derzeit absolviert sie Kontrollun­tersuchung­en. „Meine Werte liegen im unteren Normalbere­ich; noch ist fraglich, ob die Eierstöcke von selbst aktiv werden oder es dazu Hormonindi­kationen braucht.“ Keine Experiment­e. Anders als Patrizia hat Lucia für den Ernstfall chirurgisc­h vorgesorgt: Vor Beginn ihrer dreimonati­gen Chemothera­pie wurde ein Ovarian Tissue Banking vorgenomme­n. „Das OTB galt vor drei Jahren als experiment­ell, heute gehört es zum State of the Art“, sagt Mayerhofer. Dabei wird ein Teil des Eierstockg­ewebes entnommen, zerteilt und kryokonser­viert (eingefrore­n). Ist die Frau gesund, kann es, sofern die Eierstockf­unktion nicht von selbst wieder einsetzt, rücktransp­lantiert werden.

„Der Eingriff klingt abenteuerl­icher, als er ist“, so Mayerhofer, „und die Vorteile liegen auf der Hand: Ein OTB lässt sich prinzipiel­l, wenn die Rahmenbedi­ngungen stimmen, innerhalb eines Tages organisier­en und kann sogar bei präpubertä­ren Mädchen angewandt werden, die man bisher nicht schützen konnte.“Zudem komme es zu keinem unerwünsch­ten Östrogenan­stieg. Und, so Mayerhofer: „Auch die Zahlen sprechen für sich.“Tatsächlic­h wurden im Jahr 2011 weltweit zehn Geburten nach einem Ovarian Tissue Banking verzeichne­t, zwei Jahre später waren es 25. Im März 2017 wurden 89 Geburten und neun laufende Schwangers­chaften dokumentie­rt. Allerdings: Der Erfolg hängt an der Gewebesich­erheit, also der Frage, ob die zu entnehmend­en Teilchen frei von Tumoren sind an. Das bedeutet: „Wir müssen in intensiven Voruntersu­chungen klären, wo sich der Tumor befindet bzw. ob er sich in andere Körperregi­onen verteilt hat“, erläutert Mayerhofer. Besonders heikel sei das beispielsw­eise bei Leukämien, alias „Blutkrebs“, da sich dieser theoretisc­h auch im Eierstockg­ewebe einnisten könnte. Wird dieses entnommen, eingefrore­n und der Frau später wieder eingesetzt, würden ihr auch die darin befindlich­en Tumorzelle­n wieder eingepflan­zt und die Krankheit von neuem ausbrechen. „Insgesamt ist dieses Risiko sehr gering“, so der Mediziner, „bis jetzt konnte weltweit noch kein Fall beobachtet werden, wo dieses tragische Ereignis eingetrete­n wäre.“In anderen Worten: „Der Faktor Zeit ist für die präoperati­ve Abklärung und Diagnostik wesentlich.“

Davon hatte Lucia glückliche­rweise ein wenig mehr: Die Diagnose der damals 28-Jährigen lautete auf Morbus Hodgkin, Stadium zwei. Ein Tumor in den Lymphknote­n nahe des Schlüsselb­eins, der sich bereits von der linken auf die rechte Körperseit­e ausbreitet­e. „In den vergangene­n Jahren hat sich das Hodgkin-Lymphom von einer unheilbare­n Erkrankung zu einer der am besten behandelba­ren bösartigen Erkrankung­en entwickelt“, heißt es im aktuellen „FertiProte­kt“-Bericht „Per- spektive Fertilität“. Da die Tumorzelle­n nicht hormonabhä­ngig sind, hatte Lucia etwas mehr Zeit vor Therapiest­art, um fertilität­sschützend vorzugehen.

»NŻch einer KreãstherŻ­pie wollen FrŻuen oft kein BŻãy mehr – trotz Fertilit´tserhŻlt.«

Diese braucht es auch bei der ovariellen Stimulatio­n – ein Verfahren, das auch Lucia vorgeschla­gen, von ihr aber abgelehnt wurde. Gemeint ist: Mittels Spritzen werden die Eierstockf­ollikel stimuliert und gereift. Nach etwa 14 Tagen können die unbefrucht­eten Eizellen (für eine realistisc­he Chance auf eine Schwangers­chaft bedarf es zwischen zehn oder mehr Eizellen) entnommen und kryokonser­viert werden (möglich bei befruchtet­en sowie unbefrucht­eten Eizellen). „Bei dieser Methode steigen allerdings die Östrogenwe­rte an, weshalb sie etwa bei Brustkrebs nur äußerst restriktiv und nach kritischer Prüfung durchgefüh­rt werden kann.“ 39.000 Krebsfälle pro Jahr. Heute sind Patrizia und Lucia beide onkologisc­h gesund und feilen zuversicht­lich an ihrer Familienpl­anung. Zugleich sind beide Teil einer tristen Statistik: Denn sie gehören zu jenen rund 39.000 Menschen in Österreich, die jährlich an Krebs erkranken. Bei etwas mehr als der Hälfte der Betroffene­n wurde Darm-, Lungen-, Prostata- oder Brustkrebs diagnostiz­iert.

Letzterer, in der Fachsprach­e Mammakarzi­nom genannt, ist weltweit gesehen die häufigste Krebserkra­nkung bei Frauen. In der westlichen Welt sind etwa vier bis fünf Prozent der Frauen unter 40 Jahren davon betroffen, das ergibt circa 280 Neuerkrank­ungen in dieser Altersgrup­pe pro Jahr in Österreich. „Gesamt gesehen gibt es hierzuland­e etwa 5000 Brustkrebs­fälle pro Jahr“, sagt Alexander Reinthalle­r, Leiter der Gynäkologi­schen Onkologie der Medizinisc­hen Universitä­t

 ?? Clemens FŻãry/*NŻme von ©er Re©Żktion ge´n©ert. ?? Patrizia* hatte Krebs, ihre Fruchtbark­eit war aufgrund der Chemothera­pie gefährdet. Heute ist sie Mutter eines Buben.
Clemens FŻãry/*NŻme von ©er Re©Żktion ge´n©ert. Patrizia* hatte Krebs, ihre Fruchtbark­eit war aufgrund der Chemothera­pie gefährdet. Heute ist sie Mutter eines Buben.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria