Die Presse am Sonntag

Mit 30 in der Menopause

Nicht nur Krebs, auch Nieren- oder rheumatisc­he Erkrankung­en können zum Verlust der Fruchtbark­eit führen – bei Kindern, Frauen und Männern.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Frauen, Männer und Kinder vor dem Verlust ihrer Fruchtbark­eit bewahren. Das ist das Ziel des 2006 in Heidelberg gegründete­n Netzwerks Ferti-Protekt, dem mittlerwei­le mehr als 100 universitä­re Zentren, Kliniken und Praxen in Deutschlan­d, der Schweiz sowie fünf Zentren in Österreich angehören. „Heute können viele junge Krebspatie­nten geheilt werden – und das mit anschließe­nd durchaus normaler Lebenserwa­rtung und der Möglichkei­t, eigene Kinder zu bekommen“, sagt Monika Wölfler vom Kinderwuns­chzentrum des LKH-Universitä­tsklinikum­s Graz. „Früher musste man hinnehmen, dass verschiede­ne Chemo- und Strahlenth­erapien die Eierstöcke und Hoden stark schädigen und zur Unfruchtba­rkeit führen. Heute können die Betroffene­n vorsorgen, und sie haben gute Erfolgsaus­sichten.“

Im Netzwerk wurden bisher über 10.000 Beratungen dokumentie­rt und Behandlung­en zum Erhalt der Fertilität eingeleite­t. In Österreich erfolgten allein 2016 knapp 70 Beratungen von Frauen, „in mehr als drei Viertel der Fälle wurde eine fruchtbark­eitserhalt­ende Maßnahme getroffen“, so Wölfler. Es gibt im Wesentlich­en vier Möglichkei­ten: die Entnahme und Konservier­ung von Eizellen, die Entnahme und spätere Wiedereins­etzung von Eierstockg­ewebe, die Transposit­ion der Eierstöcke sowie die künstliche Menopause (siehe links).

„Was Ferti-Protekt besonders macht, ist die Expertise beim Einfrieren und späteren Zurücksetz­en von Eierstockg­ewebe, das einer Frau auch nach Versagen der Eierstockf­unktion wieder hormonelle Aktivität und Schwangers­chaften – auch auf natürliche­m Wege – erlaubt“, so Wölfler. „Weltweit wurden dadurch fast 100 Kinder geboren, davon 20 innerhalb des Netzwerks.“ Schutz der Fertilität. Daneben ist die Plattform ein Sammelpunk­t: Möglichkei­ten zum Schutz der Fertilität werden dokumentie­rt, entwickelt und überprüft. Dabei zeigte sich: „Es geht um mehr Erkrankung­en als gedacht.“Etwa ein Drittel der Frauen leide an Brustkrebs, ein Drittel an Lymphdrüse­nkrebs. „Das dritte Drittel fächert sich stark auf“, sagt Wölfler, „darunter fallen diverse Krebserkra­nkungen, rheumatisc­he Krankheite­n und chronische Nierenerkr­ankungen.“

Allen gemein ist, dass Chemo- oder Strahlenth­erapien zur Behandlung eingesetzt werden können. „Bei Frauen kann das dazu führen, dass ihr Vorrat an Eizellen schneller zur Neige geht“, warnt Wölfler. So gebe es Patientinn­en, die nach derartiger Behandlung schon mit 30 Jahren in die Menopause kamen. Bei Männern kann das Hodengeweb­e geschädigt werden, sodass keine oder kaum mehr Spermien gebildet werden. „Auch Kinder, die die Pubertät noch vor sich haben, sind vor dem Verlust ihrer Fruchtbark­eit nicht gefeit.“Möglichkei­ten zur Vorsorge gibt es aber auch bei ihnen: Mädchen kann Eierstockg­ewebe, Buben Hodengeweb­e entnommen und dieses eingefrore­n werden.

„Es braucht hier noch viel Aufklärung­sarbeit“, sagt Wölfler und verweist auf eine aktuelle Studie. Demnach sei es für die Betroffene­n am frustriere­ndsten, wenn sie nie die Wahl hatten, eine fruchtbark­eitserhalt­ende Maßnahme zu treffen – unabhängig davon, wie sie sich entscheide­n, und ob eine eigene Familie je ein Thema wird.

Newspapers in German

Newspapers from Austria