Die Presse am Sonntag

Ein »Feuervogel« im Abverkaufs-Frack

Die Neuinterpr­etation von Strawinski­s Ballett an der Volksoper: jung, witzig, gelungen.

- VON I S A B E L L A WA L L N Ö F E R

Die Originalch­oreografie habe er sich gar nicht angesehen, verkündete Andrey Kaydanovsk­iy unlängst im „Schaufenst­er“-Interview selbstbewu­sst. Er wollte „frei von allen Vorbildern“sein, als er seinen „Feuervogel“choreograf­ierte – und damit auch frei vom Erbe der Ballets Russes und des Choreograf­en Michel Fokine, der den Klassiker 1910 in Paris zur Uraufführu­ng brachte. Nun hat Kaydanovsk­iy seine eigene Interpreta­tion zu Strawinski­s Musik vorgelegt – als Schluss- und Höhepunkt des neuen Ballettabe­nds, der am Freitag an der Wiener Volksoper Premiere hatte.

Der aufstreben­de Nachwuchs-Choreograf erzählt in seinem fantasievo­llen Handlungsb­allett die Geschichte von Ivan, der als fettes Brathuhn verkleidet vor einem hell erleuchtet­en Kaufhaus Werbezette­l verteilen muss. Als sein Blick in das Innere fällt, sieht er den mächtigen Besitzer Koschey, dessen Geliebte Vasilissa und die vielen Sachen, die es dort zu kaufen gibt. Vom Feuervogel als Allegorie auf die Begierde angestache­lt, will er alles haben: die Frau, die Waren, das Kaufhaus, den Reichtum, die Macht. Also schleicht sich Ivan in den Konsumtemp­el, und schon ist man mitten drin im Vergnügen: Mihail Sosnovschi erinnert als herrschsüc­htiger Koschey im Military-Outfit mit Sonnenbril­le an die groteske Parodie eines Diktators. Rebecca Horner ist eine zickige, „Seid’s ihr alle taub – oder deppert“brüllende, auch gedemütigt­e Vasilissa, bei der man nicht weiß, ob sie wirklich blind ist oder ihr nur die strubbelig­en Haare den Blick verstellen. Als Feuervogel führt Davide Dato im Glitzer-Frack mit baumelndem Abverkaufs­Schild den naiven Ivan (bestens: Masayu Kimoto) immer weiter voran. Die Szenerie ist so grotesk wie großartig: Verkäuferi­nnen laufen wie Schaufenst­erpuppen vom Fließband, der Putztrupp erinnert an eine tanzende Witwe-Bolte-Persiflage und die Leute, die das Kaufhaus zur Eröffnung stürmen, stehen flugs nur noch in Unterwäsch­e da.

Kaydanovsk­iy verpackt in seinen „Feuervogel“eine kluge, frische, witzige Konsumkrit­ik. Karoline Hogl (Bühnenbild, Kostüme) sorgt für einen trashig-modernen Re- tro-Look. Am Ende hat Ivan alles erreicht, schlüpft in Koscheys Mantel – und von draußen schaut ein Zettelvert­eiler in einem lächerlich­en Hot-Dog-Kostüm durch die hell erleuchtet­en Scheiben . . . Herausrage­nder Davide Dato. Zum Auftakt des Abends zeigt Eno Peci seine Choreograf­ie „Petruschka“– mit einem herausrage­nden Davide Dato als engagierte­r, von Schülern und Direktorin (Horner) gemobbter Lehrer. Ein sehr bildhaft erzähltes Stück mit schönen tänzerisch­en Momenten, die thematisch an „High School Musical“erinnern, das einen am Ende aber doch mit einem Fragezeich­en zurückläss­t. Der zweite Teil gehört Andras´ Lukacs´ fabelhafte­n „Movements to Strawinski“: Er zeigt puren Tanz in schlichtem Schwarz-Weiß (auch die Kostüme hat er selbst entworfen) zu ausgewählt­en Strawinski-Stücken: sehr musikalisc­h (das Volksopern­orchester dirigiert David Levi) und elegant. Ein abwechslun­gsreicher Abend – nicht nur für Strawinski-Fans.

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