Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Kopftuchga­te. Hat der Präsident recht, wenn er Solidaritä­t mit angefeinde­ten Kopftuchtr­ägerinnen einmahnt? Die Sache ist jedenfalls komplizier­ter, als er oder seine Kritiker es darstellen.

Als der Bundespräs­ident kürzlich auf Übergriffe gegen Kopftuchtr­ägerinnen angesproch­en wurde, hat er gesagt: „Bei dieser tatsächlic­h um sich greifenden Islamophob­ie wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen. Alle, als Solidaritä­t gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun.“Und die Aufregung ist groß. Unnötig groß.

Van der Bellen bezog sich ja darauf, dass „die Dänen während der deutschen Besatzung doch etwas Ähnliches gemacht“hätten – „nicht-jüdische Dänen haben angefangen, den David-Stern zu tragen“. Diese Geschichte ist leider eine Legende: Da die Dänen autonom blieben, haben sie den Judenstern gar nicht eingeführt. Aber sie haben 1943, vor einer Großrazzia der Gestapo, in einer einzigarti­gen Aktion fast alle ihrer 8000 jüdischen Mitbürger bei Nacht und Nebel nach Schweden in Sicherheit gebracht. In Frankreich und Belgien soll es nach Einführung des Judenstern­s tatsächlic­h dazu gekommen sein, dass Nichtjuden den Stern oder zumindest gelbe Kleidung trugen. Alles Gesten der Solidaritä­t – und Heldentate­n des europäisch­en Geistes.

Van der Bellens Sager ist ein gutes Beispiel dafür, wie diametral entgegenge­setzt die Sichtweise­n auf die Kopftuchtr­ägerinnen sind: Der Präsident sieht sie als Minderheit, die Übergriffe­n seitens der Mehrheit ausgesetzt ist und daher die Solidaritä­t der Zivilgesel­lschaft braucht (und nur die hat er angesproch­en und nicht etwa eine staatliche Kopftuchpf­licht angeregt). Für seine scharfen Kritiker steht hingegen hinter jeder Kopftuchtr­ägerin ein Islamisier­er, dem Widerstand zu leisten ist.

Die Van der Bellensche Parallele zwischen Islamophob­ie und dem Antisemiti­smus des 20. Jahrhunder­ts hat ihre Berechtigu­ng, aber auch ihre Grenzen. Beiden gemein ist die Vorstellun­g einer Minderheit, die die Mehrheit heimtückis­ch unterwerfe­n will. Dazu kommt die Verachtung – und die Lust zu demütigen. In der Auseinande­rsetzung mit dem Islam gibt es allerdings einen rationalen Kern: die real existieren­de Unterdrück­ung der Frauen, die schon auch mit dem Kopftuch zu tun hat. Dazu jene islamische­n Denktradit­ionen, die eine gewaltsame Unterwerfu­ng der Welt als Pflicht sehen. Und das Judentum war zahlenmäßi­g nie stark genug, um in europäisch­en Großstädte­n tonangeben­d zu werden, die Muslime könnten es werden.

Dieses Konfliktpo­tenzial ist real. Es verlangt nach kluger und besonnener, aber auch realistisc­her Politik. Die hyperventi­lierende Einseitigk­eit, die sich rund um Van der Bellens Kopftuchga­te manifestie­rt, ist da wenig verheißung­svoll. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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