Die Presse am Sonntag

Kokain am Kanal, »Substi« am Karlsplatz? Das war einmal

Drogenumsc­hlagplätze gŻã es in Wien schon viele: KŻrlsplŻtz, Schwe©enplŻtz, StŻ©tpŻrk, VotivpŻrk ãis Gumpen©orfer StrŻße, L´ngenfel©gŻsse o©er StŻtionen ©er U4 o©er U6 generell. Rückãlick Żuf eine Szene in Bewegung.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Aber noch heute sind mehr Beamte im Drogen-Einsatz, als das vor den Problemen 2016 der Fall war. Der Handel hat sich jedenfalls stärker in die Nacht verlagert – eine Schätzung, wie groß die Szene der Straßenhän­dler in Wien ist, gibt es bei der Polizei nicht. Oberste Priorität sei, so Maierhofer, den Handel im öffentlich­en Raum zu unterbinde­n. Dahinter laufen Strukturer­mittlungen, um größere Player auszuforsc­hen. Weniger Elend, besser betreut. „Eine Millionens­tadt ohne Drogen, das werden wir alle nicht mehr erleben“, sagt Dressel. Aber auch das Ziel des Drogenkoor­dinators ist es, zumindest den Handel zu unterbinde­n. „Der gehört nicht in den öffentlich­en Raum, das ist eine potenziell­e Gefährdung labiler Jugendlich­er.“

Der Drogenkons­um ist in Wien, entgegen aller Verfallsth­eorien, die die Debatten um Problemen wie an der U6 oder anderen „Hotspots“stets begleiten, aus dem öffentlich­en Raum weitgehend verschwund­en. Größere Gruppen beobachtet man bisweilen rund um den Gumpendorf­er Gürtel, Standort des Jedmayers, des Zentrums der Suchthilfe Wien. Aber eine Szene wie am Karlsplatz etwa gibt es nicht mehr, „Suchtkrank­e halten sich nicht mehr auf der Straße auf, es gibt in Wien fast keinen Suchtkrank­en mehr, der nicht an eine Betreuungs­stelle angedockt ist.“

Im Gegensatz zu früher seien Suchtkrank­e heute weniger verelendet und oft sei es gelungen, diese gut zu integriere­n, sagt Dressel. Überhaupt ist die Lage, wenn es um den Konsum illegaler Drogen geht, in Österreich relativ stabil: Die einzige Substanz, bei der laut Suchtmitte­l-Monitor ein Anstieg beobachtet wird, sei Cannabis. Rund 30.000 Risiko-Konsumente­n. Laut dem Drogenberi­cht 2016 gehen Fachleute davon aus, dass in Österreich zwischen 29.000 und 33.000 Menschen einen risikoreic­hen OpioidKons­um aufweisen. Das sind vor allem Menschen mit Heroingebr­auch. Die Zahl von rund 30.000 ist seit Jahren stabil. Bei Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n ist der Risiko-Konsum demnach markant zurückgega­ngen. Trotzdem, Besorgnis erregt eine andere Zahl: 2015 wurden wieder 153 Drogentote registrier­t. 2014 gab es mit 122 Todesfälle­n in direkter Verbindung mit Suchtgift ein Minimum, 2009 waren es noch 206 Todesfälle. Vor allem ältere und nicht im Substituti­onsprogram­m betreute Drogenkran­ke waren betroffen. Derzeit werden etwa 60 Prozent der Suchtkrank­en mit Opioid-Medikament­en behandelt. Darkweb statt Karlsplatz. Die höheren Zahlen von Drogentote­n könnten auch mit den zunehmend konsumiert­en „neuen psychoakti­ven Substanzen“zusammenhä­ngen. Diese Substanzen, bekannt als Research Chemicals, Legal Highs oder Designerdr­ogen, gibt es in etlichen Varianten, Wechselwir­kungen und Gesundheit­srisken sind oft wenig bekannt. „Da müssen wir sehr alert sein“, sagt Dressel. Vor allem, weil der Konsum oft verdeckt stattfinde­t: Bezogen werden diese Substanzen aus dem Darknet (oder offen zugänglich­en Plattforme­n), auch der Konsumente­nkreis ist einer, den Suchthelfe­r schwerer erreichen: gut integriert, berufstäti­g, usw. „Es gab schon Todesfälle, bei den Drogentote­n in jüngerer Vergangenh­eit handelt es sich oft um so etwas“, sagt Dressel. Und während die Situation auf Wiens Straßen derzeit im Griff ist, wird der Handel im Internet da zu einem riesigen Problem. Es gab Zeiten in Wien, in denen man in der Innenstadt Heroinsüch­tige sehen konnte, die weggetrete­n in Parks oder auf Bänken lagen. Die Drogenszen­e vom Karlsplatz, die Junkies mit Schaum vorm Mund, die ausgemerge­lten Gestalten mit den von der Ersatzdrog­e Somnubene blauen Lippen oder das allgegenwä­rtige „Substi, Substi?“-Gezische derer, die ihre Substituti­onsmittel in der Passage verkaufen wollten, das hat wohl niemand vergessen, der diesen Ort irgendwann zwischen den 1980er-Jahren und 2010 passiert hat.

Eine verfestigt­e Drogenszen­e wie jene vom Karlsplatz gibt es in Wien seither nicht mehr. Zwar ist immer wieder die Rede von Hotspots, von Brennpunkt­en – aber es ist die klare Devise der Polizei, die Szene in Bewegung zu halten, ein Ansiedeln sofort mit Kontrollen und Razzien zu unterbinde­n. Als Umschlagpl­ätze in Verruf geraten sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n trotzdem viele zentrale Orte Wiens. Ein Rückblick. Orte mit langer Drogengesc­hichte. Lange Zeit galt der Karlsplatz als „das“Drogenzent­rum Österreich­s. Das ist mittlerwei­le ein paar Jahre her – und mitunter hängt ihm dieser Ruf noch nach. Im jüngsten Wien-Tatort etwa ließ Ermittleri­n Bibi Fellner wieder so eine Karlsplatz-Bemerkung fallen. Kein Wunder, hat der Platz – bzw. das ganze Areal vom Rondeau unter der Oper, der Passage bis zum Resselpark – eine jahrzehnte­lange Drogenverg­angenheit: 1978 wurde die Station Karlsplatz als U-Bahn-Station eröffnet (zuvor war diese eine Stadtbahns­tation), schon kurz darauf siedelte sich die Szene an: In den 1980er-Jahren galt der Karlsplatz als das „Wohnzimmer“der heimischen Drogenszen­e, erst war dort vor allem Heroin im Umlauf, später, mit Beginn des Substituti­onsprogram­ms Ende der 1980er-Jahre, blühte der Handel mit Opiat-Ersatzstof­fen, mit Aufputschm­itteln, Tranquiliz­ern oder Schlaftabl­etten. Die Suchtkrank­en wurden am Karlsplatz von Streetwork­ern oder in der Spritzenta­usch-Station betreut, 2010 wurde der „Karli“, der „KP“oder schlicht der „Plotz“, wie ihn die Szene nannte, schließlic­h geräumt.

Der Karlsplatz ist ein Sonderfall in der Drogengesc­hichte der Stadt, eine derart verortete Szene hat es anderswo oder seither nicht gegeben. Vielleicht den Schwedenpl­atz, aber das hatte andere Dimensione­n. Und wenn man heute den Praterster­n mit dem Karlsplatz vergleicht, halten Sozialarbe­iter entgegen, dass sich dort erstens seit jeher „marginalis­ierte Gruppen“aufhalten und es am Praterster­n eher um Alkohol, Obdachlose und Armut geht.

Die Drogenszen­e wandert indes durch die Stadt, wobei Konsum heute viel weniger sichtbar ist als früher. Heute ist es erklärtes Ziel, Konsumente­n weg von der Straße, aus der Obdachlosi­gkeit und in Betreuung zu bringen. Gehandelt wurde – zumindest mit „echten Drogen“– schon in der Zeit des Karlsplatz­es vor allem anderswo. Zum Beispiel am Gürtel. Die Gegend um die Station Gumpendorf­er Straße galt von den Achtziger bis in die Neunziger Jahre als ein zentraler Ort des Straßenhan­dels, dort wurde vor allem Heroin gehandelt, die dominante Substanz im Straßenhan­del in den Achtzigern.

Wi©er ©ie VerfŻllsth­eorien: In ©er Öffentlich­keit wir© wenig konsumiert, ©ie LŻge ist stŻãil. Kettenãrüc­kengŻsse, VotivpŻrk DonŻukŻnŻl: StŻtionen ©er Drogengesc­hichte ©er StŻ©t.

In den Neunzigern kam es rund um die Gumpendorf­er Straße zu massiven Kontrollen durch die Polizei – die Szene zog weiter. Zum Beispiel ein Stück weiter entlang der U6, zur Station Längenfeld­gasse. Die galt, inklusive dem anliegende­n Areal zum Wienfluss hinunter, lange Zeit als einer der berüchtigt­sten Drogenumsc­hlagplätze Wiens. Wie sich der Handel überhaupt entlang zentraler Verkehrsac­hsen und gut erreichbar­er Verkehrskn­oten entfaltet: In den 2000er-Jahren waren etwa die Stationen Dresdner Straße, Jägerstraß­e, Neue Donau, Handelskai, Philadelph­iabrücke, Reumannpla­tz oder der Gürtel rund um den Westbahnho­f immer wieder zentrale Umschlagpl­ätze, später auch der Margareten­gürtel, der Bruno Kreisky-Park oder die Station Kettenbrüc­kengasse. Katz-und-Maus entlang der U6. Der Naschmarkt ist nicht der einzige zentrale, touristisc­he und jetzt recht schicke Ort der Stadt, an dem einst der Drogenhand­el blühte, mitunter große Razzien stattfande­n und man, in U4-Stationen, bisweilen ein Spalier aus Dealern passieren musste. Ähnlich die Situation in den 2000er-Jahren am Donaukanal, besonders am berüchtigt­en Abgang Richtung Flex – bzw. überhaupt am Schottenri­ng und am Schwedenpl­atz. Dort im Umlauf: Vor allem Heroin, Kokain und zunehmend Cannabis. Eine Zeitlang hatte dann auch der Stadtpark oder der Votivpark den Ruf des Drogenumsc­hlagplatze­s. 2004 und 2005 war der Votivpark vor allem im Zusammenha­ng mit nigerianis­chen Dealern ein großes Thema.

Die Polizei aber hat in diesen Jahren in ihrem Kampf gegen den offenen Drogenhand­el massiv aufgestock­t: Nach Razzien wurde die Szene rasch zurückgedr­ängt – bzw. zog sie weiter. Das Katz-und-Maus-Spiel lief in den letzten Jahren besonders entlang der Stationen der U6.

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