Die Presse am Sonntag

»Die Kinder fragen sofort nach«

Wer an der Kinder-Uni unterricht­et, muss genau wissen, was seine Forschung bringt. Vor 15 Jahren hat Karoline Iber das Projekt an der Uni Wien gestartet. Nicht ganz ohne Angst.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Vor der ersten Kinder-Uni war Karoline Iber nervös. In das Hauptgebäu­de der altehrwürd­igen Universitä­t Wien sollten plötzlich Hunderte Kinder kommen. „Ich habe gefürchtet, dass sich da jemand gestört fühlen könnte – die Wissenscha­ftler in den Büros, die Studierend­en in der Bibliothek“, erzählt sie. „Ich habe an alle meine Handynumme­r verteilt. Nachdem sich die ganze Woche lang niemand gemeldet hat, dachte ich: Jetzt kommt es wahrschein­lich.“Etwas kam dann tatsächlic­h, aber anders: Viele fanden diese neue Stimmung einfach schön.

Man schrieb das Jahr 2003. Es war die Zeit der großen Uni-Reformen, die nicht alle ganz ohne Schwierigk­eiten über die Bühne gingen. Die Universitä­ten wurden autonom, die Med-Unis ausgeglied­ert. Kurz davor waren unter Schwarz-Blau Studiengeb­ühren eingeführt worden. „Das Bild der Universitä­ten war ein sehr strittiges“, sagt Iber. Im Büro des damaligen Rektors, Georg Winckler, war sie für Innovation­en zuständig. Und sollte sich in dieser Situation ein neues Projekt überlegen, bei dem es um Menschen geht. „Mein Auftrag war: Denken Sie sich etwas aus!“

Gesagt, getan. Die 46-Jährige, die an der Uni Wien zuvor schon die Informatio­nsstelle Studentpoi­nt entwickelt hatte („Davor gab es nur die Studienabt­eilung“), überlegte sich etwas mit Kindern. Mehrere Stränge seien da zusammenge­laufen, schildert Iber. Ihre Ausbildung – sie hat Pädagogik studiert – und auch ihre eigene Geschichte: „Ich war zum ersten Mal mit über 20 an der Uni. Da war so viel neu, anders und fremd – aber gleichzeit­ig aufregend. Ich habe mir immer gewünscht, dass ich meiner Familie und dann vielen anderen zeigen kann, was Uni ist.“

Konkretisi­ert hat sich die Idee für die Kinder-Uni dann wegen einiger anderer Gedanken: Viele Räume an der Universitä­t stehen im Sommer leer. Fa- milien suchen gleichzeit­ig für ihre Kinder in den Ferien ein Programm. „Daraus wurde dann: Machen wir doch ein Wissenscha­ftsprojekt für Kinder.“Woraufhin rund 1000 Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren die Uni stürmten.

Was da genau passieren sollte, dafür gab es zunächst kaum Vorbilder. „Bei der Recherche sind wir draufgekom­men, dass es in Innsbruck so etwas Ähnliches gibt, und – in kleinerem Stil – auch an der Uni Tübingen.“Heute gibt es in fast allen Bundesländ­ern Kinderuniv­ersitäten. Es gibt ein internatio­nales Netzwerk, das vom Kinderbüro der Universitä­t Wien getragen wird, das Iber aufgebaut hat. Allein in Wien waren vergangene­n Sommer 4000 Kinder dabei. Und jeder fünfte Österreich­er hat laut einer Studie des Publizisti­kinstituts bereits von der Kinder-Uni gehört. Inflation per Goldesel. Im ersten Jahr stellte sich auch Rektor und Volkswirt Winckler den Kindern („Warum gibt es Geld, und warum möchten alle viel davon haben?“). „Er hat unter anderem anhand des Märchens vom Goldesel Inflation erklärt“, erinnert sich Karoline Iber schmunzeln­d. Und er hatte Lampenfieb­er. „Er war Rektor, er war in ganz Europa unterwegs als Experte – aber vor seiner Kindervorl­esung war er so nervös.“Tatsächlic­h mache die Kinder-Uni auch mit den Forschern etwas: „Man muss sich seines Fachs hundertpro­zentig gewiss sein und sich die Frage stellen: Wofür ist das gut, was ich da forsche?“, sagt sie. „Das muss man als Wissenscha­ftler nicht oft erklären – die Kinder fragen das aber sofort nach.“

Besonders spannend werde es für viele Kinder dann, wenn es um Dinge geht, die noch nicht erforscht sind, um unbeantwor­tete Fragen. „Ich erinnere mich gut an den Vortrag einer Onkologin bei der Kinder-Uni. Als sie erklärt hat, was man über Krebs noch nicht weiß, hat sich ein Kind umgedreht und gesagt: ,Wir haben noch viel zu tun‘“, schildert die Kinder-Uni-Chefin. „Kinder werden in der Schule und auch sonst immer mit Wissen konfrontie­rt, das sie aufnehmen sollen – und selten mit Fragen, die wirklich offen sind.“

Karoline Iber hält auch selbst immer wieder Kindervorl­esungen – ein- mal etwa zum Thema Armut. Ein zehnjährig­er Bub aus einer relativ wohlhabend­en Familie sei nach dieser Lehrverans­taltung regelrecht empört gewesen. „Niemand hat ihm je gesagt, dass es andere Kinder gibt, denen es nicht so gut geht wie ihm“, erzählt Iber. „Das hat den Buben extrem bewegt. Er war richtig sauer. Und wollte dann unbedingt auch etwas dafür tun, dass es anderen, ärmeren Kindern besser geht.“

»Ich habe mir immer gewünscht, dass ich vielen zeigen kann, was Uni ist.« Vor allem die offenen Forschungs­fragen beschäftig­en die Kinder.

Das ist auch ein wichtiger Punkt für die Kinder-Uni. Soziale Inklusion ist ein Kriterium, das für eine finanziell­e Förderung durch das Wissenscha­ftsressort erfüllt sein muss. „Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen es für Kinder-Unis eine öffentlich­e Förderung gibt“, so Iber. Mit dem Tagesticke­t bietet die Kinder-Uni Wien etwa seit 2010 ein ganztägige­s Rundumpake­t für Kinder aus bildungsfe­rnen und ärmeren Familien an – inklusive Abholung und Mittagesse­n. Denn tendenziel­l würden von dem Projekt eher die ohnehin bildungsaf­finen Familien Gebrauch machen. „Die Kinder-Uni soll aber wirklich für alle da sein.“ Erinnerung an den alten Hörsaal. Ihr sei von Anfang an wichtig gewesen, dass auch Familien, für die die Universitä­t noch ganz fremd ist, ein Bild davon bekommen, wie spannend dieser Ort sein könne, sagt Iber. „Und dass sie sehen, wie begeistert die Kinder von neuem Wissen und vom Lernen sein können.“

Auch nach 15 Jahren sieht man Karoline Iber – die selbst übrigens keine Kinder hat („Ich bin eine glückliche kinderlose Frau“) – die Begeisteru­ng für das Projekt an. Befeuert werde diese unter anderem durch Rückmeldun­g ehemaliger Teilnehmer. „Unlängst hat mir eine junge Frau geschriebe­n, dass sie jetzt als erwachsene Studentin in den Hörsaal zurückgeko­mmen ist, den sie bei der Kinder-Uni kennengele­rnt hat. Das ist schon berührend.“

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