Die Presse am Sonntag

Argentinie­n steht unter Wasser

Weite Teile des südamerika­nischen Landes leiden unter Überschwem­mungen. Ein Hauptgrund sind die negativen Folgen des Sojaanbaus. Doch das will niemand wahrhaben.

- VON ANDREAS FINK (BUENOS AIRES)

Die Verkehrssc­hilder sind gerade noch zu lesen. 60 steht dort, schwarz auf weiß mit rotem Rand. Doch nun verkehrt kein Fahrzeug mehr, dessen Geschwindi­gkeit zu begrenzen wäre. Die Straße ist ebenso verschwund­en wie der Deich, auf dem sie angelegt wurde. Argentinie­ns Ruta Nacional 7, die von Buenos Aires bis zum Andenüberg­ang nach Chile führt, ist ab Kilometer 384 unpassierb­ar, überflutet, versunken in einem Meer aus Regenwasse­r. Das ist kein neues Beispiel für die Konsequenz­en des Klimawande­ls, zumindest nicht allein das. Es ist auch nicht allein die Folge von Korruption. Den Hauptgrund für die Überschwem­mungen kennen Bauern ebenso gut wie Politiker. Aber niemand will ihn wahrhaben.

Coronel Villegas, im Mai: Tiefblau ist der Himmel, der sich in den Fluten spiegelt, die etwa die Hälfte der 726.000 Hektar des Gemeindege­bietes bedecken. 3000 Menschen haben sich versammelt zum Protest an der Kreuzung der Nationalst­raßen 33 und 188. Auf Transparen­ten steht: „Holt das Wasser hier raus!“Ein verständli­ches Verlangen nach 16 Monaten Land unter und zwei verlorenen Ernten. Das Wasser bedeckt Felder und Weiden. Es flutet Straßen und Wege, überschwem­mt Investitio­nen und Lebensentw­ürfe.

Ans Rednerpult treten der Bürgermeis­ter und der Subsecreta­rio für Wasserbau. Der Stadtvater lamentiert über die Regenmenge­n, 2500 Millimeter pro Quadratmet­er, seit Anfang 2016, in etwa so viel, wie Wien in fünf Jahren abkriegt. Und er klagt, dass auch aus den Nachbarpro­vinzen Wasser nach Villegas fließt, aber eben nicht mehr weg.

Dann verspricht der Provinzbea­mte, Entwässeru­ngskanäle zu vertiefen, Rohre zu verlegen, Pumpen zu installier­en. Später, im kleinen Kreis, gesteht er ein, dass „der Spielraum sehr begrenzt“sei und dass „die Sicherung der Siedlungen Priorität hat“. Etwas Ähnliches muss er derzeit an vielen Orten erklären, denn an vielen Orten steht das Wasser auf den Feldern dieser Weltgegend, deren geografisc­he Be- zeichnung Pampa Hu´meda lautet, übersetzt bedeutet das „feuchtes Feld“.

Der Name beschreibt die Realität, die einst die Conquistad­ores vorfanden: eine fast baumlose Steppe, flach und feucht. Stets hat es hier heftig gegossen, und das Wasser konnte nicht oder nur sehr langsam abfließen, weil es kaum Gefälle gibt. Der Regen fiel, versickert­e, verdunstet­e. Und wenn es sehr stark regnete, dann schwollen die Tümpel an, die zu Tausenden in der Pampa Hu´meda liegen beziehungs­weise lagen. Denn viele dieser natürliche­n Rückhalteb­ecken wurden von den Bauern trockengel­egt, mithilfe von Kanälen, die gern in die Nachbargem­einden führten oder sonstwohin, wo der jeweilige Grundbesit­zer oder Bürgermeis­ter nicht mehr zuständig ist. Ein regelrecht­er Krieg herrsche auf dem Land, berichten Hauptstadt­medien. Zwischen Gemeinden, Landkreise­n, Provinzen, die einander das Wasser nicht ab- sondern zugraben. Verspreche­n vor Parlaments­wahl. Es wird viel gejammert, gefordert und versproche­n dieser Tage, denn Mitte Oktober sind Parlaments­wahlen. Darum verspreche­n Kandidaten Kanäle, Röhren, Pumpen, gar eine Abwasserle­itung bis zum R´ıo Parana.´ Kaum zu Wort kommt indes ein Mann, der weiß, warum die Pampa vollläuft. Nicolas´ Bertram forscht seit mehr als einem Jahrzehnt beim nationalen Technologi­einstitut INTA, in dessen Außenstell­e in Marcos Juarez,´ einer Kleinstadt, umringt von Feldern, die kürzlich abgeerntet wurden. Im Osten von Cordoba´ ist Soja im April reif. Im Osten von Cor-´ doba wächst nur Soja, jedes Jahr und überall, bis an die Straßenrän­der.

Bertram fand heraus, dass heute kaum mehr Wasser vom Himmel stürzt als früher. Es versickert schlicht weniger in der Erde. Und das hängt maßgeblich an der asiatische­n Hülsenfruc­ht, die Viehweiden ebenso verdrängt hat wie Mais und Weizen, für deren Anbau Wälder gerodet und Tümpel trockengel­egt wurden, die wesentlich weniger Wasser benötigt, als alles, was ehedem in der Pampa wuchs.

Bertram rechnet vor: Ursprüngli­cher Wald kann 300 Millimeter Regen pro Stunde absorbiere­n, Viehweiden immer noch 100, aber Sojafelder nur 30. Früher lag der Grundwasse­rspiegel in der Pampa in zehn Meter Tiefe, heu-

Millimeter

Niederschl­ag pro Quadratmet­er hat die argentinis­che Gemeinde Coronel Villegas seit Anfang 2016 abbekommen. Die Hälfte des Gemeindege­biets ist überschwem­mt.

Meter tief

lag ursprüngli­ch der Grundwasse­rspiegel in der Pampa. Heute ist es nur noch ein halber Meter – solange es nicht regnet. te bei einem halben Meter. Solange es nicht regnet. „Die Böden sind saturiert, sie können nichts mehr absorbiere­n“, sagt der Forscher, den keiner fragt.

Das Wasser zerstört die Ernte und fließt nicht mehr von den Feldern ab. Fleischbed­arf in Chinas Städten ließ Anbau von Soja in Argentinie­n boomen.

Es ist bizarr, wie Argentinie­ns Medien in ihren Berichten jedwede Kritik an der Produktion­sweise umschiffen, die ihr Land nicht nur überschwem­mt, sondern sukzessive vergiftet. Seit Argentinie­n 1996, nach nur 81 Tagen Prüfung, genverände­rte Soja-Saaten genehmigte, wurde die Grassteppe zur permanent pestizidge­duschten Futtermitt­elfabrik. Chinas Boom produziert­e Abermillio­nen neue Städter, die nun Fleisch im Supermarkt kaufen. Und das Proteinfut­ter für diese Schweine wächst im mittleren Westen der USA, in Brasilien und eben in der Pampa Humeda,´ deren Böden als die ertragreic­hsten der ganzen Welt gelten, zumindest wenn sie kein Wasser bedeckt. Grundbesit­zer vermieten Felder. Soja ist Argentinie­ns Devisenque­lle Nummer eins, die Regierung Kirchner verhängte gar eine Ausfuhrste­uer von 35 Prozent, was den Export nicht stoppte, aber einen Ultrainten­sivanbau erforderte. Auf 20,3 Millionen Hektar, also etwa 55 Prozent aller argentinis­chen Anbaufläch­en, wucherte im vorigen Sommer Soja, in den Kernzonen liegt der Anteil bei über 70 Prozent – und das seit zwei Jahrzehnte­n. Fruchtwech­sel wollen sich wenige leisten, denn keine Kultur bringt bessere Renditen als Glycine max.

Die beige Bohne hat die Pampa verändert. Kleine und mittlere Grundbesit­zer vermieten ihre Felder an Pflanzpool­s, die Subfirmen säen, spritzen und ernten lassen. Landwirtsc­haft in der Pampa ist ein Finanzgesc­häft, gesteuert aus vollvergla­sten Hauptstadt­büros und betrieben von allen Mächtigen und Reichen an der Flussmündu­ng, die längst in R´ıo de la Soja umbenannt hätte werden müssen. Forscher Bertram sagt: „Kein Kanal wird das Wasser aus der Pampa bekommen. Das ginge nur mit einer Veränderun­g des landwirtsc­haftlichen Modells.“Aber wer will das wahrhaben?

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