Argentinien steht unter Wasser
Weite Teile des südamerikanischen Landes leiden unter Überschwemmungen. Ein Hauptgrund sind die negativen Folgen des Sojaanbaus. Doch das will niemand wahrhaben.
Die Verkehrsschilder sind gerade noch zu lesen. 60 steht dort, schwarz auf weiß mit rotem Rand. Doch nun verkehrt kein Fahrzeug mehr, dessen Geschwindigkeit zu begrenzen wäre. Die Straße ist ebenso verschwunden wie der Deich, auf dem sie angelegt wurde. Argentiniens Ruta Nacional 7, die von Buenos Aires bis zum Andenübergang nach Chile führt, ist ab Kilometer 384 unpassierbar, überflutet, versunken in einem Meer aus Regenwasser. Das ist kein neues Beispiel für die Konsequenzen des Klimawandels, zumindest nicht allein das. Es ist auch nicht allein die Folge von Korruption. Den Hauptgrund für die Überschwemmungen kennen Bauern ebenso gut wie Politiker. Aber niemand will ihn wahrhaben.
Coronel Villegas, im Mai: Tiefblau ist der Himmel, der sich in den Fluten spiegelt, die etwa die Hälfte der 726.000 Hektar des Gemeindegebietes bedecken. 3000 Menschen haben sich versammelt zum Protest an der Kreuzung der Nationalstraßen 33 und 188. Auf Transparenten steht: „Holt das Wasser hier raus!“Ein verständliches Verlangen nach 16 Monaten Land unter und zwei verlorenen Ernten. Das Wasser bedeckt Felder und Weiden. Es flutet Straßen und Wege, überschwemmt Investitionen und Lebensentwürfe.
Ans Rednerpult treten der Bürgermeister und der Subsecretario für Wasserbau. Der Stadtvater lamentiert über die Regenmengen, 2500 Millimeter pro Quadratmeter, seit Anfang 2016, in etwa so viel, wie Wien in fünf Jahren abkriegt. Und er klagt, dass auch aus den Nachbarprovinzen Wasser nach Villegas fließt, aber eben nicht mehr weg.
Dann verspricht der Provinzbeamte, Entwässerungskanäle zu vertiefen, Rohre zu verlegen, Pumpen zu installieren. Später, im kleinen Kreis, gesteht er ein, dass „der Spielraum sehr begrenzt“sei und dass „die Sicherung der Siedlungen Priorität hat“. Etwas Ähnliches muss er derzeit an vielen Orten erklären, denn an vielen Orten steht das Wasser auf den Feldern dieser Weltgegend, deren geografische Be- zeichnung Pampa Hu´meda lautet, übersetzt bedeutet das „feuchtes Feld“.
Der Name beschreibt die Realität, die einst die Conquistadores vorfanden: eine fast baumlose Steppe, flach und feucht. Stets hat es hier heftig gegossen, und das Wasser konnte nicht oder nur sehr langsam abfließen, weil es kaum Gefälle gibt. Der Regen fiel, versickerte, verdunstete. Und wenn es sehr stark regnete, dann schwollen die Tümpel an, die zu Tausenden in der Pampa Hu´meda liegen beziehungsweise lagen. Denn viele dieser natürlichen Rückhaltebecken wurden von den Bauern trockengelegt, mithilfe von Kanälen, die gern in die Nachbargemeinden führten oder sonstwohin, wo der jeweilige Grundbesitzer oder Bürgermeister nicht mehr zuständig ist. Ein regelrechter Krieg herrsche auf dem Land, berichten Hauptstadtmedien. Zwischen Gemeinden, Landkreisen, Provinzen, die einander das Wasser nicht ab- sondern zugraben. Versprechen vor Parlamentswahl. Es wird viel gejammert, gefordert und versprochen dieser Tage, denn Mitte Oktober sind Parlamentswahlen. Darum versprechen Kandidaten Kanäle, Röhren, Pumpen, gar eine Abwasserleitung bis zum R´ıo Parana.´ Kaum zu Wort kommt indes ein Mann, der weiß, warum die Pampa vollläuft. Nicolas´ Bertram forscht seit mehr als einem Jahrzehnt beim nationalen Technologieinstitut INTA, in dessen Außenstelle in Marcos Juarez,´ einer Kleinstadt, umringt von Feldern, die kürzlich abgeerntet wurden. Im Osten von Cordoba´ ist Soja im April reif. Im Osten von Cor-´ doba wächst nur Soja, jedes Jahr und überall, bis an die Straßenränder.
Bertram fand heraus, dass heute kaum mehr Wasser vom Himmel stürzt als früher. Es versickert schlicht weniger in der Erde. Und das hängt maßgeblich an der asiatischen Hülsenfrucht, die Viehweiden ebenso verdrängt hat wie Mais und Weizen, für deren Anbau Wälder gerodet und Tümpel trockengelegt wurden, die wesentlich weniger Wasser benötigt, als alles, was ehedem in der Pampa wuchs.
Bertram rechnet vor: Ursprünglicher Wald kann 300 Millimeter Regen pro Stunde absorbieren, Viehweiden immer noch 100, aber Sojafelder nur 30. Früher lag der Grundwasserspiegel in der Pampa in zehn Meter Tiefe, heu-
Millimeter
Niederschlag pro Quadratmeter hat die argentinische Gemeinde Coronel Villegas seit Anfang 2016 abbekommen. Die Hälfte des Gemeindegebiets ist überschwemmt.
Meter tief
lag ursprünglich der Grundwasserspiegel in der Pampa. Heute ist es nur noch ein halber Meter – solange es nicht regnet. te bei einem halben Meter. Solange es nicht regnet. „Die Böden sind saturiert, sie können nichts mehr absorbieren“, sagt der Forscher, den keiner fragt.
Das Wasser zerstört die Ernte und fließt nicht mehr von den Feldern ab. Fleischbedarf in Chinas Städten ließ Anbau von Soja in Argentinien boomen.
Es ist bizarr, wie Argentiniens Medien in ihren Berichten jedwede Kritik an der Produktionsweise umschiffen, die ihr Land nicht nur überschwemmt, sondern sukzessive vergiftet. Seit Argentinien 1996, nach nur 81 Tagen Prüfung, genveränderte Soja-Saaten genehmigte, wurde die Grassteppe zur permanent pestizidgeduschten Futtermittelfabrik. Chinas Boom produzierte Abermillionen neue Städter, die nun Fleisch im Supermarkt kaufen. Und das Proteinfutter für diese Schweine wächst im mittleren Westen der USA, in Brasilien und eben in der Pampa Humeda,´ deren Böden als die ertragreichsten der ganzen Welt gelten, zumindest wenn sie kein Wasser bedeckt. Grundbesitzer vermieten Felder. Soja ist Argentiniens Devisenquelle Nummer eins, die Regierung Kirchner verhängte gar eine Ausfuhrsteuer von 35 Prozent, was den Export nicht stoppte, aber einen Ultraintensivanbau erforderte. Auf 20,3 Millionen Hektar, also etwa 55 Prozent aller argentinischen Anbauflächen, wucherte im vorigen Sommer Soja, in den Kernzonen liegt der Anteil bei über 70 Prozent – und das seit zwei Jahrzehnten. Fruchtwechsel wollen sich wenige leisten, denn keine Kultur bringt bessere Renditen als Glycine max.
Die beige Bohne hat die Pampa verändert. Kleine und mittlere Grundbesitzer vermieten ihre Felder an Pflanzpools, die Subfirmen säen, spritzen und ernten lassen. Landwirtschaft in der Pampa ist ein Finanzgeschäft, gesteuert aus vollverglasten Hauptstadtbüros und betrieben von allen Mächtigen und Reichen an der Flussmündung, die längst in R´ıo de la Soja umbenannt hätte werden müssen. Forscher Bertram sagt: „Kein Kanal wird das Wasser aus der Pampa bekommen. Das ginge nur mit einer Veränderung des landwirtschaftlichen Modells.“Aber wer will das wahrhaben?