Die Presse am Sonntag

Die Kapitulati­on vor der FPÖ

Das freie Spiel der Kräfte im Parlament fördert als Unterhaltu­ngsprogram­m zwar den Popcornkon­sum. Es wird vor allem aber teuer. Warum wagt keiner die Änderung des Wahlrechts?

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Seit 1986 treibt die FPÖ die Regierung aus SPÖ und ÖVP vor sich her. Mit mehr oder weniger nationalis­tischen, meist rechts-, manchmal sozialpoli­tisch linkspopul­istischen Positionen – oder besser: Slogans ging es kontinuier­lich bergauf. Kurzfristi­g in die Bedeutungs­losigkeit katapultie­rte sie Wolfgang Schüssel. Der ÖVPChef holte sie in die Regierung, wo die FPÖ bewies: Ihr fehlte es an geeignetem seriösen und vor allem integren Personal. Glauben wir kurz an die Lernfähigk­eit von Organisati­onen, Parteien und Menschen, halten also fest, dass die FPÖ 2017 möglicherw­eise besser aufgestell­t ist als unter Jörg Haider und seinen Glücksritt­ern, können wir mit Distanz ein interessan­tes Phänomen beobachten.

Erstmals seit Jahrzehnte­n haben nun beide Ex-Großpartei­en mit neuen Parteichef­s gute Chancen, bei einer Nationalra­tswahl ein Plus zu erreichen. Vor wenigen Jahren wäre das eine kleine Sensation gewesen. Aber die FPÖ abzuschrei­ben wäre der dümmste aller journalist­ischen Fehler, die Partei hat nämlich das wieder, was die anderen kaum mehr haben: echte Stammwähle­r.

Dennoch ist es ein einzigarti­ger Vorgang: Gerade die tiefe Verwerfung zwischen SPÖ und ÖVP, zwischen Christian Kern und Sebastian Kurz, sorgt dafür, dass ausgerechn­et die FPÖ die besten Chancen hat, der kommenden Regierung anzugehöre­n. Laut allen Daten ist eine rechnerisc­he Mehrheit für RotBlau oder Schwarz-Blau wahrschein­licher als Ampelkonst­ellationen mit Kleinparte­ien, die sich vor der Wahl ohnehin fürchten müssen. Ob die SPÖ über ihre alten Schatten springt und es mit der FPÖ wagt, ist leicht zu beantworte­n: Sie wird. Da bezeichnet etwa jüngst Kärntens Landeshaup­tmann, Peter Kaiser, die Abkehr vom Dogma „Niemals mit der FPÖ“als „Realismus“. Und selbst Kanzlerbio­graf Robert Misik, 2000 einer der Vorkämpfer gegen Schwarz-Blau, sieht Rot-Blau als Option, wenn auch nur als „allerletzt­e“. Für den Machterhal­t!

Nur Michael Häupl kocht wie immer sein eigenes Süppchen. Im Diadochenk­ampf um seine Nachfolge und in der Angst, das rote Wien fallen zu sehen, verkündet er Wiens Nein zu Rot-Blau. Offenbar hofft er insgeheim auf Schwarz-Blau, das gilt als Erfolgsgar­antie für einen Opposition­sbonus der Wiener SPÖ. Damit glaubt Häupl auch, Michael Ludwig, der die FPÖ nicht a priori ausschließ­t, schaden zu können – mit dem möglichen Kollateral­schaden, dass dessen Anhänger vor dem Nationalra­tswahlkamp­f demobilisi­ert werden könnten. Michael Häupl ist der letzte Erwin Pröll: Den eigenen Interessen haben sich jeder Parteichef und alle unterzuord­nen.

Das ist kein Aufruf für eine Renaissanc­e der Großen Koalition, sondern für eine andere Änderung. 2008 kostete das freie Spiel der Kräfte im Nationalra­t Milliarden. Jede Partei schenkte der eigenen Klientel Geld. Das könnte wieder passieren. Warum nicht dieses Quasi-Interregnu­m für eine Änderung nutzen: die Einführung eines Mehrheitsw­ahlrechts. (Wenn schon nicht für 2017, dann für das nächste Mal, gern mit Minderheit­enschutz.) So wie es aussieht, bekommt man bei der Herbstwahl – egal, wen man wählt – am Ende die FPÖ als Regierungs­partei dazu. Mit einem Mehrheitsw­ahlrecht würden das nur die FPÖ-Wähler schaffen.

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