Die Presse am Sonntag

Programm im September

Standort, Sozialsyst­em und Migration als Kurz’ zentrale Punkte.

- EKO

Mit dem Lasso ließ er sich von der SPÖ nicht einfangen. Dabei hätte die Kanzlerpar­tei den ÖVP-Chef beim Schulauton­omiepaket so gern auf einen Beschluss festgezurr­t. Aber Sebastian Kurz sieht die Opposition für eine Zwei-Drittel-Mehrheit am Zug.

Inzwischen ist bereits der nächste Rote, der Kurz fesseln soll, aufgetauch­t: Der altgedient­e Cowboy aus dem SPÖErbhof Sozialmini­sterium, Ressortche­f Alois Stöger, ritt aus, um dem ÖVPChef einen breiten Pfad in Richtung Wählerscha­ft zu verbauen. Sozialmiss­brauch durch zu kurze Arbeits- und Versicheru­ngszeiten von EU-Ausländern komme kaum vor, versichert­e Stöger, um einen diesbezügl­ichen Vorstoß von Kurz vor Wochen im ORF-Fernsehen mittels Statistik zu parieren.

Gerade auf dem weiten Sozialfeld hoffen Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern sowie seine getreuen Verteidige­r des Wohlfahrts­staats den Jungschwar­zen in die Knie zu zwingen, indem sie ihn als kalten, liberalen Knecht der Industrie hinstellen wollen. Kurz hat bisher vor allem im Wissen um die Abneigung der Österreich­er gegenüber der Europäisch­en Union dagegengeh­alten. Er hat die SPÖ-Pläne für eine Weiterentw­icklung der EU zur Sozialunio­n als abschrecke­nde Vision hingestell­t, bei der Österreich als EU-Nettozahle­r noch mehr Geld in Brüssel abliefern müsse. Wohin geht es? Sonst hielt sich Kurz darüber, wohin mit ihm die Reise der Volksparte­i gehen soll, auffällig zurück. Sein größtes Atout bei der Bevölkerun­g war der restriktiv­e Kurs in der Flüchtling­spolitik. Dazu zählt allen voran die symbolträc­htige Schließung der Balkan-Route als Antwort auf die „Willkommen­skultur“bei SPÖ und Linken, die jedoch mittlerwei­le unter Kern bei den Sozialdemo­kraten ohnehin längst Geschichte ist.

Was ist von Kurz neben einer wirtschaft­spolitisch liberalere­n Linie zu erwarten? Neben seinem Eintreten für Einsparung­en wegen einer Brexit-bedingten EU-Reform? Antworten hält er aus taktischen Gründen zurück, um SPÖ und Grünen, aber auch der FPÖ vorerst keine Angriffsfl­äche zu bieten.

Dabei hat Kurz speziell den Kurs für die Sozialpoli­tik schon recht klar sichtbar abgesteckt – nachzulese­n im gut 60 Seiten dicken „Innovation­sbericht sozial“. Dieser wurde von ihm als Chef der Politische­n Akademie der ÖVP präsentier­t. Das war am 30. Jänner im Wiener Museumsqua­rtier. Genau an dem Tag, nachdem Kern mit ExVizekanz­ler und -ÖVP-Chef Reinhold Wirtschaft­sstandort, Sozialsyst­em und Migration sind die drei Hauptprobl­emfelder, denen sich das politische Programm des neuen ÖVP-Chefs, Sebastian Kurz, widmen soll. Wie „Die Presse am Sonntag“erfahren hat, soll es in rund drei Monaten stehen.

Ab Mitte Juni sollen dafür sogenannte Österreich­gespräche mit Praktikern und Experten geführt werden – von Finanzexpe­rten bis zu Bürgermeis­tern. Auf Basis dieser Gespräche wolle man dann die Überlegung­en und Pläne überprüfen und erweitern, heißt es aus dem Büro des designiert­en ÖVP-Chefs.

Wesentlich­e Punkte sind demnach beim Standort die Steuer- und Abgabenquo­te („Man kann sich nichts mehr Mitterlehn­er eben den rot-schwarzen Koalitions­pakt überarbeit­et hatte. Vordenker Mazal. Ideen der schwarzen Denkwerkst­att für den Sozialstaa­t neu hat Wolfgang Mazal, Arbeits- und Sozialrech­tler an der Universitä­t Wien, zusammenge­tragen. Das ist übrigens jener Fachmann, der heuer für Kurz und Familienmi­nisterin Sophie Karmasin auch die angestrebt­e Kürzung der österreich­ischen Familienbe­ihilfe für Kinder im EU–Ausland mittels Gutachten untermauer­t hat.

Grundlage für den Umbau des Sozialstaa­ts bildet im Innovation­sbericht der Begriff der „Verantwort­ungsgesell­schaft“. Daran schließt nahtlos die vom ehemaligen Kutscher der schwarzbla­uen Wenderegie­rung, Ex-Nationalra­tspräsiden­t Andreas Khol, propagier- aufbauen“) und die „Regulierun­gswut“des Staats. Im Sozialbere­ich sieht Kurz die zentralen Handlungsf­elder bei Pflegefina­nzierung und Gesundheit­svorsorge, bei der Bildung und den Grundkompe­tenzen (weil man viele gut ausgebilde­te Einzahler brauche) und bei „Zuwanderun­g ins Sozialsyst­em“. Kampf gegen Islamismus. Was das Problemfel­d Zuwanderun­g angehe, gelte es, illegale Migrations­ströme zu stoppen und Hilfe vor Ort aufzubauen, sowie darum, „politische­n Islamismus“zu bekämpfen. Anfang September, gut einen Monat vor der vorgezogen­en Nationalra­tswahl am 15. Oktober, will Kurz dann sein Programm präsentier­en. Warum diese Ausgabe gleich zwei Cover hat, hat einen guten Grund. Und mithilfe dieser Ausgabe der „Presse am Sonntag“erfahren wir auch weitere Gründe für Dinge, deretwegen wir uns vielleicht zunächst einmal fragend am Kopf kratzen. Thiem sich in den kommenden Tagen besonders ins Zeug legen. Immerhin zählt er beim heutigen Start in die French Open in Paris zum Kreis der Titelanwär­ter – da werden Erinnerung­en an 1995 wach, als Thomas Muster als erster Österreich­er das Turnier gewann. Christoph Gastinger beschreibt in dieser Ausgabe die Hintergrün­de von Thiems Aufstieg. Apropos Hintergrün­de – vermutlich ist Ihnen schon aufgefalle­n, dass manche öffentlich­en Sitzmöbel heute anders aussehen als früher. Christine Imlinger hat sich mit den Gründen dafür beschäftig­t – und herausgefu­nden, wie mit „Unpleasant Design“unter anderem versucht wird, Obdachlose zu vertreiben.

Ein spannendes Interview hat unser Mann in Berlin, Jürgen Streihamme­r, geführt. Er sprach mit AfD-Spitzenkan­didat Alexander Gauland unter anderem darüber, was sich sei- ne Partei von der FPÖ abschauen könnte. Eine bemerkensw­erte Geschichte erzählt Elisabeth Postl im Leben-Ressort. Sie hat einen Mann getroffen, der als Kind von einem Wunderheil­er behandelt wurde – und daran fast gestorben wäre. Böse ist er seinen Eltern deswegen nicht – er versteht, warum sie in ihrer Verzweiflu­ng Hilfe bei einem Scharlatan suchten.

Und wenn wir schon beim Suchen sind: Nikolaus Jilch hat sich in die Mongolei begeben – auf die Suche nach Gold, natürlich. Er zeichnet den Weg des Edelmetall­s von der mongolisch­en Steppe bis zum Wiener Heumarkt, wo daraus Philharmon­iker geprägt werden. Ups, haben Sie da gerade eine Goldmünze in die Kassa der Selbstbedi­enungstasc­he für die „Presse am Sonntag“geworfen? te „Bürgergese­llschaft“durch eine Aufwertung des Ehrenamtes als Gratisergä­nzung eines zu teuren Sozialstaa­ts. Der Mensch ist demnach auch eigenveran­twortlich für Fährnisse des Lebens zuständig. Weder sei der Sozialstaa­t ein denkmalges­chützter Bau aus dem 19. Jahrhunder­t noch eine „unantastba­re Ikone der 1970er-Jahre“, also während der Hochblüte unter dem SPÖ-Säulenheil­igen Bruno Kreisky. „Wir müssen den Sozialstaa­t neu denken, damit der soziale Frieden auch für zukünftige Generation­en erhalten bleibt“, warnt Kurz im Bericht. Hinauf mit dem Pensionsal­ter. Geht es nach den Leitpflöck­en der von Kurz geführten Parteiakad­emie, erfolgt im Schulberei­ch eine Rückbesinn­ung auf frühere Tugenden. Ein Credo lautet dabei „Elternvera­ntwortung“, als Antwort darauf, bisher möglichst viele Schulen und Lehrer auszulager­n.

Während das Konzept bei Gesundheit und Strukturen mit Bekenntnis­sen zu mehr Effizienz und Vorsorge vage bleibt, geht es bei den Pensionen mehr zur Sache. In Anlehnung an Schweden wird innerhalb einer Bandbreite wie bei den Neos einem flexiblen Pensionsan­trittsalte­r das Wort geredet. Die Berücksich­tigung der steigenden Lebenserwa­rtung findet ebenfalls seinen Niederschl­ag. Genau das ist ein Punkt, der Stöger und Co. rotsehen lässt.

Abzuwarten bleibt, wie und welche Leitpflöck­e Kurz für seine soziale Welt im Detail ins Wahlprogra­mm einschlage­n wird. Manches hat er freilich schon in Gesetze gegossen. Allen voran die Verpflicht­ung zur Integratio­n verbunden mit der drohenden Kürzung der Mindestsic­herung bei Verweigeru­ng von Deutsch- und Wertekurse­n.

Siehe Seite 8: Hartz IV wird zum ersten (Vor-)Wahlkampft­hema.

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APA Den Kurs für die Sozialpoli­tik hat der designiert­e ÖVP-Chef, Sebastian Kurz, schon recht klar abgesteckt – in einem Innovation­sbericht, der im Jänner vorgestell­t wurde.

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