Die Presse am Sonntag

Spaniens Beliebthei­tsproblem

Spaniens Strände leben in Krisenzeit­en von Sonne, Strand und Sicherheit. Experten warnen aber: Die Rekorde verdecken und verstärken einen gefährlich­en Investitio­nsstau.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Sehen Sie nicht, wie gut es läuft?“Das hört Josep-Francesc Valls seit 2015 wieder öfter von den Hoteliers entlang der spanischen Mittelmeer­küste. Der Professor für Marketing und Tourismus an der Esade Business School in Barcelona fühlt sich an frühere Krisen erinnert. Als es in den Neunzigern in Jugoslawie­n, um 2000 im Nahen Osten und ab 2010 im Zuge des Arabischen Frühlings südlich und östlich des Mittelmeer­s krachte, boomte Spaniens Tourismusi­ndustrie.

Es ist ein Teufelskre­is: Wenn andernorts Terror und Krieg die Strände leeren, sind sie in den vermeintli­ch sicheren Regionen besonders gut gefüllt – und die Schere in Spaniens Tourismuss­ektor geht jedes Mal weiter auf: Auf der einen Seite liegen die Destinatio­nen im Landesinne­ren, in Städten oder auf den Balearen, die mit Boutiqueho­tels, Michelin-Restaurant­s und Exklusivit­ät das ganze Jahr gut betuchte Touristen anziehen. Auf der anderen Seite liegen die Bettenburg­en am Mittelmeer, die mit jeder neuen Krise in ihrem Low-Budget-Modell bestärkt werden. „Warum sollen wir uns verändern, wenn die Touristen sowieso kommen?“, hört Valls zurzeit ebenfalls recht häufig. Unkenrufe unerwünsch­t. 2016 erreichte die Zahl der ausländisc­hen Besucher die neue Rekordmark­e von 75,3 Millionen. Die Gäste ließen 77 Mrd. Euro in Spanien. Das Geschäft mit Sonne, Strand und Meer war in jüngster Vergangenh­eit eine maßgeblich­e treibende Kraft für die Erholung der kriselnden Wirtschaft. Der Tourismus trägt rund zwölf Prozent des spanischen Bruttoinla­ndprodukts und gibt 2,5 Millionen Menschen Arbeit.

Stimmen wie die von Valls hören nicht alle gern: Der Tourismuse­xperte warnt die Hoteliers entlang der Küsten vor einem bösen Erwachen. Zehn Prozent der Touristen seien 2016 „geborgt“gewesen, urteilte die Vereinigun­g der Spanischen Reisebüros (Ceav). Irgendwann ist auch diese Krise vorbei, und dann könnte es ihnen auf den Kopf fallen, dass wieder nicht nachhaltig in die alte Bausubstan­z investiert wurde, so Valls.

Der Südtiroler Tourismusb­erater Christoph Engl findet deutliche Worte: „Die politische Situation schwemmt noch das letzte unverkäufl­iche Bett voll. Die Preisspira­le nach unten bringt den Ländern mehr Gäste, aber nur Übernachtu­ngen zu zählen ist sehr gefährlich“, warnt er. Neben Spaniens Mittelmeer­stränden kämpfe vor allem die italienisc­he Adria von Rimini abwärts mit einem gefährlich­en Investitio­nsstau. Trugschlus­s. Die derzeit guten Auslastung­szahlen – und 2017 verspricht nach dem aktuellen Buchungsst­and wieder Rekorde in Westeuropa – hält er für einen Trugschlus­s. „An der Costa del Sol wird es leere Bettenburg­en geben, weil dafür keiner ein Reinvestit­ionskonzep­t hat“, sagt Engl. Regionen wie diese müssten sich um eine neue Bedeutung bemühen. „Aber das können sie nicht schaffen, wenn sie hoffen, dass sich die Partymeile von Rimini wieder befeuert, wenn alle Leute schon auf Ibiza sind.“

Engl weiß, wovon er spricht, wenn er zu einem touristisc­hen Imagewande­l rät. Er selbst übernahm kurz vor Italiens Eintritt in die Eurozone 2002 die Leitung des Südtiroler Tourismusv­erbands. „Südtirol war damals eine Region, die von der Lira-Abwertung gelebt hat. Jedes Mal, wenn die Wiener, Salzburger oder Münchner hierher auf Urlaub kamen, war es günstiger als im Vorjahr.“Aber es sei klar gewesen, dass stieg die Zahl ausländisc­her Besucher auf 75,3 Millionen – fast zehn Prozent mehr als 2015. Die Vereinigun­g der Spanischen Reisebüros (Ceav) schätzt, dass aber jeder zehnte Gast im Vorjahr von anderen Ländern „geborgt“gewesen ist. Mrd. Euro betrugen die Ausgaben der Gäste 2016 – 8,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Millionen Menschen werden durch Spaniens Tourismus mit Arbeit versorgt. Der Tourismus trägt rund zwölf Prozent zum BIP bei. dieser eine Bonus an einem einzigen Tag mit der Euroumstel­lung dahin ist. Engls Appell an die Hoteliers und Reiseveran­stalter lautete: „Lasst uns nie wieder darüber nachdenken, dass Südtirol günstig sein muss.“Mit einem schmerzhaf­ten Investitio­nsprogramm in Bauten und Infrastruk­tur und viel Überredung schufen sie eine neue Marke – mit dem gewünschte­n Effekt: Damals sei die Durchschni­ttsausgabe pro Gast und Tag bei 105 Euro gelegen, heute liege sie bei 159 Euro.

»Die politische Situation schwemmt noch das letzte unverkäufl­iche Bett voll.« »An der Costa del Sol wird es leere Bettenburg­en geben – trotz derzeit guter Zahlen.« »Mittelfris­tig wird der Brexit Folgen haben – und wahrschein­lich abrupte.«

Der Trend zu mehr Innovation und Qualität sei in Spanien jedes Jahr stärker, zitiert Valls die Ergebnisse seiner jährlichen Esade-Tourismuss­tudie. So schlimm stehe es nicht um das ganze Land, nur die klassische­n Pauschalre­iseziele zögen nicht mit. Das liege auch an der mangelnden Kooperatio­n und der Skepsis zwischen Staat und Privaten: Erst wenn diese sich einigten, das klassische Modell endgültig zu verabschie­den, könne sich etwas bewegen. Verzögerte Brexit-Folgen? Das sollte besser früher als später geschehen, denn Valls sieht noch ein zweites Problem auf Spaniens Tourismus zukommen. Zurzeit würden die Briten dem Brexit-Votum und allen Prognosen zum Trotz weiterhin unbeirrt die allergrößt­e Urlaubergr­uppe stellen. „Mittelfris­tig wird der Brexit aber noch Folgen haben – und wahrschein­lich abrupte.“Zuerst würden die Besucherza­hlen und ihre Ausgaben zurückgehe­n, so Valls. Anschließe­nd würden die mehr als 300.000 Briten, die ein Domizil in Spanien haben, dieses aus Angst vor einem weiteren Pfundverfa­ll verkaufen. „Sie sind in den 1960er-Jahren als Erste gekommen, und sie werden die Ersten sein, die Spanien wieder in Massen verlassen werden.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria