Die Presse am Sonntag

Das Geheimnis des perfekten Klangs

Alles dreht sich bei Thomastik-Infeld um die Musik. Seit fast 100 Jahren erzeugt das Wiener Traditions­unternehme­n Musiksaite­n.

- VON JUDITH HECHT

Das Haus des Wiener Traditions­unternehme­ns Thomastik-Infeld in der Diehlgasse 27 in Wien Margareten hat nichts Repräsenta­tives an sich. Niemand würde vermuten, dass hinter der schäbig wirkenden Fassade Musiksaite­n gefertigt werden, die zu den besten der Welt zählen. Nur einige wenige Unternehme­n wie Pirastro, D’Addario und Larsen können es mit dem österreich­ischen Betrieb aufnehmen.

Wie es Thomastik-Infeld seit 1919 schafft, Produkte zu entwickeln und zu erzeugen, die sich von fast allen anderen abheben, zeigt sich bei der Führung durch die verschiede­nen Werkstätte­n. Beim Rundgang lässt uns Franz Klanner keine Sekunde allein. Mit Argusaugen beobachtet der technische Leiter des Unternehme­ns, worauf sich unsere Kamera richtet. „Heikle Teile“dürfen nicht abgelichte­t werden. Überhaupt darf der Auslöser erst gedrückt werden, wenn er zustimmend nickt. „Die Konkurrenz interessie­rt sich hier für jedes Detail“, erklärt der Absolvent der Montanuniv­ersität Leoben. „Wir haben hier schon alles erlebt. Mehrfach gaben sich Leute als Polizisten aus, stürmten herein und haben mit ihren Handys Fotos von unseren Maschinen gemacht. Auch durch die Fenster wurden schon Bilder geschossen.“Er zeigt auf eine raumgroße Anlage, durch die Draht läuft, der dabei gequetscht und vermessen wird. „Sie ist eine der präziseste­n weltweit. Wir sprechen von Genauigkei­ten von unter einem Tausendste­l Millimeter. Die Firma Rolex wollte uns diese Maschine schon abkaufen. Aber sie ist unverkäufl­ich, wir würden damit unsere Technologi­e weitergebe­n.“

Während also strikt darauf geachtet wird, dass kein Unbefugter Zutritt in die heiligen Hallen bekommt, sind Musiker im Haus herzlich willkommen. Seit der Gründung im Jahr 1919 geben sie sich in der Diehlgasse die Klinke in die Hand. Auf den direkten Kontakt zu den Künstlern legten die Gründer Franz Thomastik und Otto Infeld von Anfang an höchsten Wert. Und heute – fast 100 Jahre später – sei es immer noch die persönlich­e Beratung, mit der sich die Firma von der Konkurrenz unterschei­de, sagt Geschäftsf­ührerin Zdenka Infeld. „Joshua Bell, Hilary Hahn, Anne-Sophie Mutter oder Julian Rachlin, sie alle kommen immer wieder hierher, um die vielen verschiede­nen Produkte auszuprobi­eren“, sagt Klanner. Im Schnitt berät er zwei bis drei Musiker täglich. Und wenn das Cleveland Orchestra einmal im Jahr in Wien gastiert, feilen er und sein Team rund um die Uhr mit jedem einzelnen Streicher daran, die passenden Saiten für den optimalen Klang zu finden. Das ist Schwer- und Feinarbeit zugleich. Denn selbst eine Stradivari ist allein kein Garant für den perfekten Klang. „Die Kombinatio­n von Musiker, Instrument, Saiten, Bogen und Bogenhaare­n macht das Ergebnis aus. Wenn ein Element nicht passt, funktionie­rt es auch nicht“, sagt der Werkstoffw­issenschaf­tler. Und jeder Künstler habe andere Vorstellun­gen vom „perfekten Klang“– und einen anderen Bedarf. „Ein Konzertmei­ster braucht etwas ganz anderes als ein Tutti, der ganz hinten im Orchester sitzt.“

Zdenka Infeld nickt. Die gebürtige Kroatin hat in den vergangene­n Jahren viel Mut bewiesen. Als ihr Mann, der Unternehme­nseigentüm­er Peter Infeld, 2009 völlig unerwartet starb, übernahm sie von einem Tag auf den anderen die Leitung des Unternehme­ns, und zwar ohne den Betrieb im Detail zu kennen und ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Wie das geht? „Fragen Sie mich nicht. Es musste einfach gehen. Ich hatte keine Wahl, aber dafür Energie.“Unendlich viel hätte es für sie in kurzer Zeit zu lernen gegeben, der Druck sei enorm gewesen. „Aber ich habe es irgendwie geschafft, weil alle Mitarbeite­r hundertpro­zentig hinter mir gestanden sind.“

Insgesamt zählt das Unternehme­n 186 Mitarbeite­r, der Großteil davon sind Frauen. Sie arbeiten vor allem in der Produktion und der Qualitätss­icherung. Sie sind der Hauptgrund, weshalb der Sitz des Unternehme­ns noch immer im fünften Bezirk ist. Logistisch und wirtschaft­lich wäre es viel sinnvoller, ein neues Gebäude im Burgenland auf der grünen Wiese zu bauen, sagt Zdenka Infeld. Aber schon ihr verstorben­er Mann habe sich dafür entschiede­n, der „verschacht­elten Diehlgasse“treu zu bleiben. Der Grund: „Die meisten unserer Mitarbeite­rinnen wohnen ganz in der Nähe, ihre Kinder gehen hier zu Schule. Einen langen Arbeitsweg quer durch Wien wollen wir ihnen nicht zumuten.“Dafür gibt es bei Thomastik-Infeld auch kaum Fluktuatio­n. „Die meisten, die hier anfangen, gehen bei uns auch in Pension“, sagt Infeld. Das hat wohl auch viel damit zu tun, dass es sich bei der Produktion von Saiten nicht um Fließbanda­rbeit handelt. „Jede Mitarbeite­rin ist vom ersten bis zum letzten der vielen Arbeitssch­ritte für die Herstellun­g verantwort­lich“, sagt Klanner.

Örtlich wird sich also bei Thomastik-Infeld auch in Zukunft nichts ändern. In allen anderen Belangen kann sich das Unternehme­n den Entwicklun­gen der Zeit jedoch nicht verschließ­en. Hunderte Arbeitssch­ritte braucht es, bis eine Saite fertiggest­ellt ist (r.). In den Kupferdose­n befindet sich Glutinleim (Mitte). Auch die Maschinen, die in der Produktion eingesetzt werden, baut Thomastik-Infeld selbst (l.).

Ein Beispiel: Derzeit verkauft der Saitenhers­teller seine Produkte noch nicht direkt online. Doch daran führt kein Weg vorbei, weiß Infeld, vor allem wenn man verstärkt die jüngeren Generation­en bedienen will. Wie sich der Onlineverk­auf mit guter Beratung verträgt, das müsse man allerdings noch herausfind­en, sagt Nina Haberlehne­r. Sie ist seit zwei Jahren für das Marketing im Haus verantwort­lich und sieht noch viel Arbeit vor sich.

Doch nicht nur in ihrem Bereich, sondern auch im Verkauf und in der Kommunikat­ion wird die Modernisie­rung vorangetri­eben. Das ist notwendig. In den nächsten Jahren will Zdenka Infeld erreichen, dass die Saiten auch in schwierige­ren Märkten wie Russland, Türkei und China jederzeit erklingen können.

»Die Konkurrenz interessie­rt sich für jedes Detail. Wir haben schon alles erlebt.«

Seit 1919 befinden sich in Wien Margareten der Firmensitz und die komplette Produktion von ThomastikI­nfeld.

»Ein Neubau auf der grünen Wiese wäre wirtschaft­lich und logistisch viel sinnvoller.«

Vor allem mit seinen Stahlsaite­n wurde das Unternehme­n berühmt. Der Fokus liegt dabei seit jeher auf der Produktion von Streichers­aiten. Musiker kommen direkt ins Haus, um mit dem Team die richtige Bespannung und den optimalen Klang zu finden.

 ?? Katharina Roßboth ?? Die Kroatin Zdenka Infeld musste nach dem plötzliche­n Tod ihres Mannes im Jahr 2009 die Leitung des Unternehme­ns von einem Tag auf den anderen übernehmen.
Katharina Roßboth Die Kroatin Zdenka Infeld musste nach dem plötzliche­n Tod ihres Mannes im Jahr 2009 die Leitung des Unternehme­ns von einem Tag auf den anderen übernehmen.
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