Hüter des Hauses
Überall im Körper sind Makrophagen, das sind Zellen, die im Immunsystem entdeckt wurden, aber allerorten für Ordnung sorgen, auch im Herzen.
Ich habe scharfe Holzsplitter in Seesternlarven getrieben und konnte am nächsten Tag sehen, wie eine Menge beweglicher Zellen um den Fremdkörper herum eine dicke Schicht gebildet hatte. Die Analogie zu der Entzündung, die wir bekommen, wenn ein Holzsplitter in die Haut gerät, ist außerordentlich.“Das Experiment unternahm der russische Biologe Ilja Metschnikow Anfang der 1880er-Jahre in der Zoologischen Station Messina, dann zog es ihn wieder in seine Heimat. Auf halbem Weg, in Wien, kehrte er beim deutschen Zoologen Carl Claus ein, der fand einen Namen für das Phänomen bzw. die Akteure: Phagozyten, Fresszellen.
Lange hielt es Metschnikow nicht in Russland, er zog weiter nach Paris, dort gab ihm Louis Pasteur ein Institut. Er hatte viel mitgemacht, seine erste Frau an Tuberkulose verloren – sie musste zur Hochzeit in die Kirche getragen werden –, seine zweite an Typhus. Und wie es in den Wissenschaften zugehen kann, hatte er auch erfahren: Als er noch als Student in Gießen einen wichtigen Fund machte, publizierte sein Professor den unter seinem Namen, der des Schülers fand gerade noch in einer Fußnote Platz.
Aber das war nichts gegen den Gegenwind, den Metschnikow mit den Phagozyten entfachte: Er postulierte, dass sie den Körper nach außen schützen – gegen alle Eindringlinge, Bakterien ebenso wie Holzsplitter –, und dass sie ihn innen im Gleichgewicht halten, etwa dadurch, dass sie abgestorbene Zellen entsorgen.
Letzteres regte niemanden auf, aber in Fragen des Immunsystems waren viele Autoritäten seiner Zeit, vor allem die in Deutschland um Robert Koch und Paul Ehrlich, auf einer ganz anderen Spur: Für sie stammten die Abwehrwaffen des Körpers nicht aus dem Arsenal der Biologie, sondern aus dem der Chemie: Hoch spezialisierte Moleküle binden Krankheitserreger an sich und neutralisieren sie. Dabei setzte man zunächst auf Gifte – wie das von Ehrlich gefundene Salvarsan gegen Syphilis –, später erweiterte man auf Antikörper. Die lernen sich ein, wann immer ein Antigen auftaucht – so heißt Körperfremdes, mit Genen hat es nichts zu tun –, und jedes Antigen zieht einen spezifischen Antikörper auf sich. Die fallen nicht wahllos über alles und jedes her wie Metschnikows gefräßige Zellen.
Pasteur konnte denen etwas abgewinnen, die Auseinandersetzung zwischen Paris und Berlin wogte hart bis untergriffig, noch grundiert von der Erinnerung an den deutsch/französischen Krieg 1870/71. Frieden stiftete Stockholm, der Medizinnobelpreis 1908 ging an Ehrlich und Metschnikow: Das Immunsystem hat beide Äste – das Angeborene der Freßzellen, das Erworbene der Antikörper –, und sie spielen zusammen. So sieht man das auch heute, aber die Antikörper zogen lange das Hauptinteresse auf sich, sie waren mit traditionellen Mitteln der Chemie zu erkunden, Phagozyten brauchten neue Instrumente der Molekularbiologie: Zwar zeigte die Histologie schon lange, dass sie nicht nur im Blut, sondern in allen Geweben sind, in unterschiedlichen Größen – Mikro- und Makrophagen – und vielfältigen Formen. Aber was eint sie, und was leitet sie alle? Entsorgen und Rezyclieren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie erkennen, was dem Körper fremd ist. Woran? Die Signatur besteht aus Genen bzw. Proteinen der MHC-Gruppe. Körpereigenes hat die passenden, Fremdem fehlt sie, auch Eigenem kommt sie abhanden, wenn es altert oder stirbt. Dann machen sich Makrophagen über den Müll her, entsorgen ihn, bei Bedarf rezyklieren sie ihn auch. Mit Ersterem fördern sie die Wundheilung – schaffen tote Zellen beiseite, rufen Ersatz herbei –, mit Letzterem hüten sie eines der knappsten Güter, Eisen: Das wird vor allem in roten Blutzellen gebraucht – es ist im Häm, das Sauerstoff transportiert –, sie leben um die 120 Tage, dann kommen Makrophagen, fressen die Zellen – 2 x 1011 pro Tag –, retten das Eisen, drei Kilo im Jahr (Nat Rev Immunol. 8, S. 958) .
Und sie halten Ordnung nicht nur im fertigen Körper, sie bringen sie in den, der erst wird: Auch im Gehirn gibt es Makrophagen, sie heißen Mikroglia und schalten sich insofern in die Entwicklung ein, als sie in frühen Phasen Verbindungen zwischen Neuronen – Synapsen – stutzen: Sie schalten viele aus und stärken damit die verbliebenen, Cornelius Gross (Moterondono) hat das „synaptic pruning“erkundet und bringt ein Defizit in Zusammenhang mit Autismus: In diesen Gehirnen vermutet er zu viele zu schwache Verbindungen und damit zu geringe Konzentration der Informationsflüsse (Nature Neuroscience 17, S. 400).
Sie entsorgen den Müll und rezyklieren seine Wertstoffe, das Eisen vor allem. Sie stutzen das Gehirn so zurecht, dass Informationen konzentriert laufen.
Vieles schaffen Makrophagen also weg, alles nicht: Antikörper bringen Antigene völlig aus dem Körper hinaus, Makrophagen halten sie nur in Schach, im besseren Fall. Im Ärgeren finden Erreger Zuflucht in ihnen – vor Antikörpern –, dazu gehören in böser Ironie die beiden, die Metschnikow zum Witwer machten, die Erreger von Tuberkulose und Typhus. Auch dazu gehört HIV, Victor Garcia (University of North Carolina) hat eben bemerkt, dass das Virus in Makrophagen überwintert, wenn es mit antiviralen Therapien aus seinen Hauptangriffspunkten vertrieben wird, anderen Mitgliedern des Immunsystems, T-Zellen (Nature Medicine 17. 4.).
Auch bei anderen Leiden können Makrophagen mitspielen, etwa bei der Bildung von Plaques in Herzkranzgefäßen, die bringen Arteriosklerose und Infarkt (Pnas 100, S. 4736). Wird Gewebe dadurch verletzt, eilen sie wieder als Helfer herbei, kitten zerrissenes Gewebe zusammen (Immunity 44, S. 1162). Aber sie sitzen auch in ganz gesunden Herzen, in der Verbindung zwischen oberen und unteren Kammern, was tun sie da? Sie helfen im Verbund mit den Muskelzellen beim Schlagen, sorgen auch so für Gleichgewicht bzw. Gleichmaß, Matthias Nahrendorf (Harvard) hat es bemerkt (Cell 20. 4.).
Alles regeln können sie in unserem Haus aber doch nicht: Diese Geschichte hätte warm und schlank enden sollen, damit, dass Makrophagen auch weißes Fett, das Energie speichert, in braunes umwandeln, das Energie verschleudert, dass sie uns also vor Verfettung schützen, darauf hoffte man seit 2011 (Nature 480, S. 104). Nun winkt Timo Müller (München) ab (Nature Medicine 17. 4.): „In diesem Stoffwechsel spielen Makrophagen keine Rolle.“