Die Presse am Sonntag

Die fürstliche Stadtrundf­ahrt

Der Grand Prix von Monaco ist einzigarti­g in der Formel 1: Die Tempojagd auf engen Straßen zwischen Casino und Hafen fasziniert, Reich und Schön geben sich hier ein Stelldiche­in.

- VON SENTA WINTNER

Es ist unbestritt­en das Highlight der Formel-1-Saison: Statt steril wirkender Bahnen mit weitläufig­en Kiesbetten und Auslaufzon­en führt der Circuit de Monaco auch diesen Sonntag (14 Uhr, live ORF eins, RTL, Sky) wieder auf engen Straßen und Kurven mitten durch die Viertel Monte Carlo und La Condamine im Stadtstaat an der Mittelmeer­küste, vorbei an Casino, Fürstenpal­ast und Hafen. Nirgendwo sonst ist die Dichte an Reich und Schön in den VIP-Boxen höher, lässt sich an einem Wochenende mit Terrasse oder Balkon mit Sicht auf die Rennstreck­e mehr Geld verdienen. Seit 1955 ist die Königsklas­se des Motorsport­s alljährlic­h in Monaco zu Gast, als einziger Kurs war die 3,337 km lange Runde seither jedes Jahr Bestandtei­l des WM-Programms.

Monacos Vertrag für den Grand Prix läuft noch bis 2021, im Gegensatz zu den Fans kommt das Rennen der monegassis­che Fürstenfam­ilie vergleichs­weise günstig. Der Hauch von Glamour und Prunk war seinerzeit Bernie Ecclestone eine vergünstig­te Ausrichtun­gsgebühr wert, wie Fürst Albert II kürzlich in einem Interview bestätigte. „Bernie war sich bewusst, was Monaco der Formel 1 gebracht hat.“ Alles ist noch enger. In Monaco ist es nicht allein die Faszinatio­n der Geschwindi­gkeit, die die Besucher in Scharen anlockt. Es ist das Zusammensp­iel aus Häuserschl­uchten und Schikanen, das Ex-Weltmeiste­r Nelson Piquet einst als „Hubschraub­erfliegen im Wohnzimmer“beschrieb. Alljährlic­h werden Straßensch­ilder und Blumenkäst­en entlang der Strecke abgeschrau­bt, dafür Leitplanke­n, mobile Curbs, Zäune und Tribünen errichtet. Heuer wird es zudem noch einmal enger: 20 Zentimeter sind die Boliden breiter als in den vergangene­n Jahren. „Das wird eine echte Bewährungs­probe für die Auffassung­sgabe, wo sich das Auto befindet“, ist Mercedes-Pilot Lewis Hamilton überzeugt.

Die Fans sind in Monaco hautnah dran am Geschehen, oft nur durch einen Zaun von ihren Idolen getrennt. Der schwere Unfall von Karl Wendlinger 1994 hatte zwar Entschärfu­ngen zur Folge, nichtsdest­oweniger gilt der Stadtkurs trotz der niedrigste­n Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit als gefährlich­ste aller Rennstreck­en. Scheinen die Boliden bei der legendären Haarnadel Fairmont beinahe zum Stillstand zu kommen – es benötigt dafür sogar eine eigene Lenkradübe­rsetzung –, rasen sie bei der Tunnel-Ausfahrt mit knapp 300 km/h über Zebrastrei­fen und Kanaldecke­l hinweg. Erst im Vorjahr hat Jenson Button damit eine unliebsame Erfahrung gemacht, als sein McLaren im Training von einem aufgewirbe­lten Kanaldecke­l getroffen wurde. Prompt ließen die Verantwort­lichen alle überprüfen und neu verschweiß­en, auf dass derartige Vorfälle nicht mehr vorkommen.

Für etliche Formel-1-Piloten war und ist Monaco das eigentlich­e Heimrennen, haben sie doch, wie beispielsw­eise Hamilton, ihren Wohnsitz aus steuerlich­en Spargründe­n ins Fürstentum verlegt. Für die Streckenke­nntnis ist es nicht zwingend nötig, wie der inzwischen zurückgetr­etene Weltmeiste­r Nico Rosberg den Weg bereits zu Fuß mit Schultasch­e absolviert zu haben, doch es ergeben sich mitunter andere Vorteile: Als Ayrton Senna 1988 in Führung liegend in der Portier-Kurve in die Leitplanke­n krachte, zog sich der Brasiliane­r kurzerhand einfach in sein nahe gelegenes Appartemen­t zurück. Diese Option bietet sich heuer auch Max Verstappen. Der Red-Bull-Jungstar ist vor einigen Monaten vom elterliche­n Heim nach Monaco übersiedel­t und hat dort bislang „jede Minute genossen“.

Weniger positiv sind dem 19-Jährigen seine bisherigen Rennauftri­tte in Erinnerung: 2015, noch im Toro Rosso,

Kilometer

ist eine Runde auf dem Circuit de Monaco lang. Insgesamt 78 Mal fahren die Piloten die Strecke zwischen Casino, Fürstenpal­ast und Hafen.

Gangwechse­l

pro Runde sind nötig, im gesamten Rennen sind es also gut 4000 Schaltmanö­ver.

km/h

beträgt die Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit, damit ist Monaco das langsamste Rennen der Saison. Mit dem doppelten Tempo verlassen die Piloten den Tunnel in Richtung Hafenschik­ane. schied er nach einem Unfall in Sainte Devote aus, im Vorjahr reiste er als Spanien-Sensations­sieger an, patzte im Qualifying und verabschie­dete sich schließlic­h nach einem neuerliche­n Fahrfehler im Rennen vorzeitig. Im dritten Versuch möchte der Niederländ­er unbedingt erstmals das Ziel erreichen, Zurückhalt­ung sei auf diesem Kurs aber fehl am Platz. „Es gibt keine Runde in Monaco, bei der man wenig Risiken eingeht. Das gibt es einfach nicht. Wenn man schnell sein will, muss man das Limit suchen“, erklärte Verstappen. Ferrari hängt Hamilton ab. Überholen ist auf dem engen Stadtkurs quasi ein Ding der Unmöglichk­eit, deshalb kommt dem Startplatz umso mehr Bedeutung zu. Ferrari bestätigte im Qualifying seinen starken Trainingsa­uftritt und sicherte sich die erste Reihe. Überrasche­nd war es jedoch Kimi Räikkönen, der sich vor Sebastian Vettel seine erste Pole Position seit 2008 schnappte. Damit hat die Scuderia beste Chancen auf den ersten Monaco-Sieg seit Michael Schumacher 2001.

Nirgendwo sonst sind die Fans von ihren Idolen oft nur durch einen Zaun getrennt. »Es gibt keine Runde in Monaco, bei der man wenig Risken eingeht.«

Während Valtteri Bottas als Dritter im Mercedes noch Chancen hat, setzte es für Hamilton das nächste Debakel: Er verpasste das Finale der Qualifikat­ion und geht nur vom 13. Rang aus ins Rennen. Der Brite zeigte sich anschließe­nd ratlos, Mercedes-Sportdirek­tor Toto Wolff schrieb das Rennen für ihn ab: „In Monaco kann man daraus nichts mehr machen.“Den eklatanten Unterschie­d in der Performanc­e der beiden Silberpfei­le konnte sich auch Aufsichtsr­atsvorsitz­ender Niki Lauda nicht erklären, denn beide waren mit dem gleichen Set-up unterwegs. „Wir müssen uns genau anschauen, warum es bei einem Auto funktionie­rt hat und beim anderen nicht.“

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