Erst Hoffnung, dann fast tot: Erfahrung mit einem Heiler
Im Alter von zwei Jahren wurde bei Felix Forstinger ein Augentumor diagnostiziert. Nach schlechten Erfahrungen im Spital wandte sich seine Familie an einen Wunderheiler. Der schien am Anfang auch tatsächlich für Besserung zu sorgen – doch am Ende musste d
Es war Winter – „richtiger Winter, der früher anfing als Winter jetzt“–, und der Anruf kam aus einer Telefonzelle in Tirol: „Ihr müsst mit Felix ins Krankenhaus.“Felix Forstingers Vater rief an bei seiner Familie, nachdem er versucht hatte, jenen Mann aufzusuchen, der beinahe ein ganzes Jahr seinen kleinsten Sohn medizinisch betreut hatte – soweit man das so sagen kann. Die Tür der Hütte in den Tiroler Bergen, in der der Mann den kleinen Felix und seine Eltern immer empfangen hatte wie ein guter Freund, war aber verschlossen geblieben, als Felix’ Vater in dem Moment vor ihr stand, in der er sie am dringendsten geöffnet gebraucht hätte.
Das war im November 1991. Felix Forstinger war damals drei Jahre alt, hatte einen großen Bruder, eine Mutter, einen Vater, und zwei Augen, eines davon durchfressen von einem Tumor. Ein Retinoblastom – ein sogenannter „Kindlicher Augentumor“– war in seinem rechten Auge gewachsen, über die wenigen Lebensjahre, die Forstinger damals auf dem Buckel hatte. Felix Forstinger ist übrigens nicht der echte Name des Betroffenen, sondern von ihm für diesen Artikel ausgewählt. Sei- Über die Atmosphäre beim Wunderheiler nach den schlechten Erfahrungen im Spital. ne Familie möchte mit dem Fall nicht in Verbindung gebracht werden.
Heute ist der Kindliche Augentumor gut heilbar: Etwa 95 Prozent der jungen Patienten werden geheilt, wird das Retinoblastom früh erkannt. Wird der Patient nicht behandelt, führt der Tumor zum Tod. Weil sich ein Retinoblastom nur von genetisch veränderten unreifen Zellen der Netzhaut des Auges aus entwickeln kann, sind äußerst selten Menschen über dem 5. Lebensjahr von der Krankheit betroffen. Der Tumor wird meist früh nach der Geburt bemerkt. Bei Forstinger war das nicht anders: Sein Auge bewegte sich seltsam, mit dem räumlichen Sehen klappte es auch nicht so recht, seine Eltern brachten ihn deswegen ins Wiener AKH. Da war ihr Felix zwei Jahre alt. Der erste Satz. „Das eine Auge können Sie vergessen“, war schließlich das erste, was der Arzt im AKH zur Familie sagte, „und das andere wahrscheinlich auch.“Es ist einer der wenigen Sätze, die Felix Forstinger – heute ein 29-jähriger Mann – aus jener Zeit in Erinnerung geblieben sind; eine Zeit, in der er viel mit Menschen zu tun haben würde, deren Patient er war. Der Arzt im AKH verabschiedete die Familie mit den Worten: „Warum sind Sie nicht früher gekommen?“
Forstinger kam zur Vorbehandlung ins Kinderspital St. Anna, wo er die Krankenschwestern biss und sich irgendwann keine Infusionen mehr setzen ließ: „Ich bin dort falsch behandelt worden“, sagt er heute über die Episode seiner Krankheitsgeschichte. Dabei meint er nicht eine per se falsche Behandlung – die stimmte mit der Diagnose überein –, sondern viel mehr das Zwischenmenschliche: „Als Kind spürst du ja, dass da etwas nicht stimmt. Auch wenn du es nicht verstehst. Du spürst die Spannungen zwischen deinen Eltern und den Krankenschwestern, zwischen den Krankenschwestern und den Ärzten, zwischen den Ärzten und deinen Eltern.“
Der Satz des AKH-Arztes, meint Forstinger heute, sei der Auslöser gewesen, warum sich seine Eltern von der Schulmedizin ab- und der Alternativmedizin zuwandten. „Die Erfahrung im St.-Anna-Kinderspital führte dann zu einer Verzweiflungstat“, sagt er: Seine Eltern begannen, sich umzuhören, welche Behandlungsmöglichkeiten es denn da noch gäbe für ihr Kind, dessen Tod absehbar war, wenn die Behandlung nicht funktionierte.
Seine Eltern: sie Akademikerin aus dem ländlichen Oberösterreich, er Künstler aus Deutschland. Alternativ – ja, esoterisch? „Esoteriker sind sie beide nie gewesen. Sie kommen aus keinem Umfeld, in dem das je ein Thema gewesen wäre.“Trotzdem sind es Bekannte in Oberösterreich, die ihnen 1991 den Tipp geben, einen Herren in Tirol aufzusuchen, der sich auf alternative Heilmethoden spezialisiert hat.
„Das Umfeld bekommt das ja mit: Dem Buben geht’s so schlecht, es könnte sein, dass er stirbt“, sagt Felix Forstinger. „Es waren Bekannte, die jemanden kannten, die den Mann kannten, wie das eben so passiert. Die Empfehlung aber war nicht so: Oh, ich hatte eine Grippe, und der hat mir geholfen. Die Empfehlung war ganz ernst gemeint ausgesprochen.“Forstinger ruft während des Gesprächs für diesen Artikel immer wieder seine Mutter an, um Dinge abzuklären, an die er sich selbst nicht erinnern kann – oder die nicht in seinem Beisein geschahen: Er war damals zwei Jahre alt. Probieren kostet nichts. Die Familie fährt schließlich auf die Hütte in der Nähe von Innsbruck. Enttäuscht von den Wiener Ärzten und gestärkt von den Geschichten über die erfolgreichen Behandlungen des Mannes probieren sie dessen Ansätze aus: „Probieren kostet ja nichts.“Die Erinnerung, die Felix Forstinger an die Hütte hat: Er liegt am Boden der Hütte, eingewickelt in Decken, mit Kissen, die Erwachsenen sitzen um ihn, er fühlt sich wohl. Ganz anders als in den Spitälern mit ihren Konflikten, Infusionen, ihrer Arroganz.
Die „Behandlung“, die die Forstingers dort erwartet, ist keine Behandlung, wie man sie von einem Arzt kennt: Schlafen soll der kleine Felix nur noch auf Schilfstrohmatratzen, chemische Fasern, Kunsttextilien und Zusatzstoffe sollen ganz vermieden werden, Dinge, die Forstingers Eltern unterstützen. Eine schulmedizinische, ja: irgendeine medizinische Behandlung, bekommt er damals nicht.
Im ersten Schritt wird sein Leiden besser. „Und das war das Blöde daran.“Für Forstinger hat rückblickend diese Besserung nichts mit den Maßnahmen zu tun, die der Mann in Tirol verordnete: „Es ist eine psychische Geschichte. In den Spitälern war dieser Druck da, und hier: Die Atmosphäre ist nett. Dann war das gepaart damit, dass meine Eltern so froh waren, dass sie endlich jemand versteht, dass anstelle dieses Vorwurfsvollen etwas Positives steht. Dass man sagt: Das ist überhaupt kein Problem.“Was freilich das Geschäftsmodell eines jeden Heilers sei: „Wenn der jetzt sagt: Das sieht ganz schlecht aus, würdest du dann dort bleiben? Natürlich nicht. Der muss positiv sein. Das baut den Druck ab und löst in dir etwas aus. Abgesehen davon, dass du mit ein paar Kräuterbehandlungen keinen Tumor heilen kannst.“
Ein Mal im Monat, regelmäßig, fahren die Eltern mit Felix auf die Hütte, wo der Mann den Fortschritt der