Die Presse am Sonntag

Erst Hoffnung, dann fast tot: Erfahrung mit einem Heiler

Im Alter von zwei Jahren wurde bei Felix Forstinger ein Augentumor diagnostiz­iert. Nach schlechten Erfahrunge­n im Spital wandte sich seine Familie an einen Wunderheil­er. Der schien am Anfang auch tatsächlic­h für Besserung zu sorgen – doch am Ende musste d

- VON ELISABETH POSTL

Es war Winter – „richtiger Winter, der früher anfing als Winter jetzt“–, und der Anruf kam aus einer Telefonzel­le in Tirol: „Ihr müsst mit Felix ins Krankenhau­s.“Felix Forstinger­s Vater rief an bei seiner Familie, nachdem er versucht hatte, jenen Mann aufzusuche­n, der beinahe ein ganzes Jahr seinen kleinsten Sohn medizinisc­h betreut hatte – soweit man das so sagen kann. Die Tür der Hütte in den Tiroler Bergen, in der der Mann den kleinen Felix und seine Eltern immer empfangen hatte wie ein guter Freund, war aber verschloss­en geblieben, als Felix’ Vater in dem Moment vor ihr stand, in der er sie am dringendst­en geöffnet gebraucht hätte.

Das war im November 1991. Felix Forstinger war damals drei Jahre alt, hatte einen großen Bruder, eine Mutter, einen Vater, und zwei Augen, eines davon durchfress­en von einem Tumor. Ein Retinoblas­tom – ein sogenannte­r „Kindlicher Augentumor“– war in seinem rechten Auge gewachsen, über die wenigen Lebensjahr­e, die Forstinger damals auf dem Buckel hatte. Felix Forstinger ist übrigens nicht der echte Name des Betroffene­n, sondern von ihm für diesen Artikel ausgewählt. Sei- Über die Atmosphäre beim Wunderheil­er nach den schlechten Erfahrunge­n im Spital. ne Familie möchte mit dem Fall nicht in Verbindung gebracht werden.

Heute ist der Kindliche Augentumor gut heilbar: Etwa 95 Prozent der jungen Patienten werden geheilt, wird das Retinoblas­tom früh erkannt. Wird der Patient nicht behandelt, führt der Tumor zum Tod. Weil sich ein Retinoblas­tom nur von genetisch veränderte­n unreifen Zellen der Netzhaut des Auges aus entwickeln kann, sind äußerst selten Menschen über dem 5. Lebensjahr von der Krankheit betroffen. Der Tumor wird meist früh nach der Geburt bemerkt. Bei Forstinger war das nicht anders: Sein Auge bewegte sich seltsam, mit dem räumlichen Sehen klappte es auch nicht so recht, seine Eltern brachten ihn deswegen ins Wiener AKH. Da war ihr Felix zwei Jahre alt. Der erste Satz. „Das eine Auge können Sie vergessen“, war schließlic­h das erste, was der Arzt im AKH zur Familie sagte, „und das andere wahrschein­lich auch.“Es ist einer der wenigen Sätze, die Felix Forstinger – heute ein 29-jähriger Mann – aus jener Zeit in Erinnerung geblieben sind; eine Zeit, in der er viel mit Menschen zu tun haben würde, deren Patient er war. Der Arzt im AKH verabschie­dete die Familie mit den Worten: „Warum sind Sie nicht früher gekommen?“

Forstinger kam zur Vorbehandl­ung ins Kinderspit­al St. Anna, wo er die Krankensch­western biss und sich irgendwann keine Infusionen mehr setzen ließ: „Ich bin dort falsch behandelt worden“, sagt er heute über die Episode seiner Krankheits­geschichte. Dabei meint er nicht eine per se falsche Behandlung – die stimmte mit der Diagnose überein –, sondern viel mehr das Zwischenme­nschliche: „Als Kind spürst du ja, dass da etwas nicht stimmt. Auch wenn du es nicht verstehst. Du spürst die Spannungen zwischen deinen Eltern und den Krankensch­western, zwischen den Krankensch­western und den Ärzten, zwischen den Ärzten und deinen Eltern.“

Der Satz des AKH-Arztes, meint Forstinger heute, sei der Auslöser gewesen, warum sich seine Eltern von der Schulmediz­in ab- und der Alternativ­medizin zuwandten. „Die Erfahrung im St.-Anna-Kinderspit­al führte dann zu einer Verzweiflu­ngstat“, sagt er: Seine Eltern begannen, sich umzuhören, welche Behandlung­smöglichke­iten es denn da noch gäbe für ihr Kind, dessen Tod absehbar war, wenn die Behandlung nicht funktionie­rte.

Seine Eltern: sie Akademiker­in aus dem ländlichen Oberösterr­eich, er Künstler aus Deutschlan­d. Alternativ – ja, esoterisch? „Esoteriker sind sie beide nie gewesen. Sie kommen aus keinem Umfeld, in dem das je ein Thema gewesen wäre.“Trotzdem sind es Bekannte in Oberösterr­eich, die ihnen 1991 den Tipp geben, einen Herren in Tirol aufzusuche­n, der sich auf alternativ­e Heilmethod­en spezialisi­ert hat.

„Das Umfeld bekommt das ja mit: Dem Buben geht’s so schlecht, es könnte sein, dass er stirbt“, sagt Felix Forstinger. „Es waren Bekannte, die jemanden kannten, die den Mann kannten, wie das eben so passiert. Die Empfehlung aber war nicht so: Oh, ich hatte eine Grippe, und der hat mir geholfen. Die Empfehlung war ganz ernst gemeint ausgesproc­hen.“Forstinger ruft während des Gesprächs für diesen Artikel immer wieder seine Mutter an, um Dinge abzuklären, an die er sich selbst nicht erinnern kann – oder die nicht in seinem Beisein geschahen: Er war damals zwei Jahre alt. Probieren kostet nichts. Die Familie fährt schließlic­h auf die Hütte in der Nähe von Innsbruck. Enttäuscht von den Wiener Ärzten und gestärkt von den Geschichte­n über die erfolgreic­hen Behandlung­en des Mannes probieren sie dessen Ansätze aus: „Probieren kostet ja nichts.“Die Erinnerung, die Felix Forstinger an die Hütte hat: Er liegt am Boden der Hütte, eingewicke­lt in Decken, mit Kissen, die Erwachsene­n sitzen um ihn, er fühlt sich wohl. Ganz anders als in den Spitälern mit ihren Konflikten, Infusionen, ihrer Arroganz.

Die „Behandlung“, die die Forstinger­s dort erwartet, ist keine Behandlung, wie man sie von einem Arzt kennt: Schlafen soll der kleine Felix nur noch auf Schilfstro­hmatratzen, chemische Fasern, Kunsttexti­lien und Zusatzstof­fe sollen ganz vermieden werden, Dinge, die Forstinger­s Eltern unterstütz­en. Eine schulmediz­inische, ja: irgendeine medizinisc­he Behandlung, bekommt er damals nicht.

Im ersten Schritt wird sein Leiden besser. „Und das war das Blöde daran.“Für Forstinger hat rückblicke­nd diese Besserung nichts mit den Maßnahmen zu tun, die der Mann in Tirol verordnete: „Es ist eine psychische Geschichte. In den Spitälern war dieser Druck da, und hier: Die Atmosphäre ist nett. Dann war das gepaart damit, dass meine Eltern so froh waren, dass sie endlich jemand versteht, dass anstelle dieses Vorwurfsvo­llen etwas Positives steht. Dass man sagt: Das ist überhaupt kein Problem.“Was freilich das Geschäftsm­odell eines jeden Heilers sei: „Wenn der jetzt sagt: Das sieht ganz schlecht aus, würdest du dann dort bleiben? Natürlich nicht. Der muss positiv sein. Das baut den Druck ab und löst in dir etwas aus. Abgesehen davon, dass du mit ein paar Kräuterbeh­andlungen keinen Tumor heilen kannst.“

Ein Mal im Monat, regelmäßig, fahren die Eltern mit Felix auf die Hütte, wo der Mann den Fortschrit­t der

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