Die Presse am Sonntag

Deutsch-deutsche Harmonie und sächsische Rivalitäte­n

Die Staatskape­lle Dresden und das Gewandhaus­orchester im Musikverei­n: Da schillern Facetten eines alten Konkurrenz­verhältnis­ses.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wien ist ja eine Hauptstadt der Musik – aber Leipzig ist auch . . .“Der Rest ging im Lachen und Applaus des Musikverei­n-Publikums unter. Andr´ıs Nelsons, ab Herbst Gewandhaus-Kapellmeis­ter und „frisch verliebt in dieses wunderbare Orchester“, wollte vielleicht nur die Zugabe ansagen, schien aber dann von jenem schwer zu bändigende­n Mitteilung­sbedürfnis übermannt, das auch seine Schlagtech­nik bestimmt.

„ . . . nicht ganz schlecht“, um die Ergänzung bescheiden zu formuliere­n, fand man hierzuland­e also auch das Gewandhaus­orchester Leipzig – und das wenige Tage, nachdem ausgerechn­et die Sächsische Staatskape­lle Dresden unter Christian Thielemann am selben Ort umjubelt worden war. Die beiden traditions­reichen Klangkörpe­r pflegten, nicht minder traditione­ll, stets eine gesunde Konkurrenz. In Chemnitz wird das Geld erarbeitet, in Leipzig vermehrt, in Dresden ausgegeben: So will es ein deutsches Sprichwort. Immer schon strebte das bürgerlich geprägte Handelszen­trum Leipzig danach, aus dem Schatten der prunkvolle­n königliche­n Residenz Dresden zu treten – und beinah wirkt es, als habe Nelsons das Gefühl schon verinnerli­cht, sich als (Wahl-)Leipziger stets etwas zurückgese­tzt zu fühlen. Komponiere­nde Kapellmeis­ter. Das Gewandhaus­orchester, 1743 gegründet und benannt nach seinem ersten großen Spielort, dem Messehaus der Tuchwarenh­ändler, ist das älteste bürgerlich­e Konzertens­emble der Welt; die Staatskape­lle Dresden hingegen kann auf eine rund 200 Jahre längere Geschichte zurückblic­ken. Weber, Wagner in Dresden, Mendelssoh­n in Leipzig hießen die berühmtest­en Komponiste­n-Kapellmeis­ter.

Zu DDR-Zeiten waren Dresdner wie Leipziger dann jene Prestige-Ensembles, die oft für kostengüns­tige Koprodukti­onen mit westlichen Plattenfir­men engagiert wurden, was neben dem Renommee für den Staat der maroden Ostwirtsch­aft wertvolle Devisen einbrachte – und dem Katalog legendäre Einspielun­gen: Karl Böhm hat in Dresden Strauss, Mozart und „Fidelio“aufgenomme­n, dort sind Carlos Kleibers „Freischütz“und sein „Tristan“entstanden, und unter Marek Janowski Anfang der 1980er auch der erste digitale „Ring“.

Nicht zu vergessen Herbert von Karajan, der 1970 mit der Staatskape­lle die „Meistersin­ger“aufgenomme­n hat – und sich zum Dresdner Staatsoper­nchor pikanterwe­ise auch den Leipziger Rundfunkch­or dazuholte. (Als er 1981 erstmals im neu erbauten Gewandhaus gastierte, resümierte Karajan die Besichtigu­ng des Saales mit der Feststellu­ng, das Beste an Leipzig sei der Rundfunkch­or . . .)

Das Gewandhaus­orchester stand damals merklich in der zweiten Reihe, am prominente­sten wurde Kurt Masurs „Ariadne“mit Jessye Norman und Edita Gruberova, eingespiel­t knapp zwei Jahre vor der Wende. Ganz ohne Kompromiss­e ging die deutsch-deutsche Musikfreun­dschaft trotzdem nicht ab, musste doch gewöhnlich auch die DDR-Sängerelit­e in den Besetzunge­n vertreten sein.

Warum denn nicht viel besser Karl Ridderbusc­h den Sachs sänge anstatt nur den Pogner, wagte 1970 in Dresden Jürgen Kesting den Maestro „mit gebotener Vorsicht“zu fragen. Karajans ironische Antwort: „Junger Mann, haben sie schon mal das Wort ,Politik‘ gehört?“

Neben Christian Thielemann wirkt Andr´ıs Nelsons wie von einem hyperaktiv­en Stern.

Nicht mehr die Ideologien zwischen West und Ost, aber doch Musik- und Besetzungs­politik beeinfluss­en das internatio­nale Künstlerka­russell. Und Image. Nelsons, zugleich Chef in Boston, ist Workaholic, symphonisc­her Eintänzer und überambiti­onierter Animator mit besten Verbindung­en zur CD-Branche. Neben dem völlig anders geprägten Thielemann und seiner mal eckigen, mal minimalist­ischen, im Ganzen auf Effizienz und Ökonomie zielenden Zeichengeb­ung wirkt der Lette wie von einem anderen, hyperaktiv­en Stern. Alte Kultur. Die alte deutsche Orchesterk­ultur verbindet die beiden Klangkörpe­r; zieht man die jeweils zweiten Gastspiela­bende heran, ging das sächsische Derby jedoch klar aus: Im Vergleich mit der minutiös aufgebaute­n, mit phänomenal­en Soli gespickten Strauss’schen „Alpensinfo­nie“der Dresdner, die noch dazu in einem traumhaft schön formuliert­en Epilog kulminiert­e, erklang Dvoˇraks´ Symphonie „Aus der Neuen Welt“in der Leipziger Lesart streckenwe­ise ohne rechtes Ziel aufgeputsc­ht – und im Detail manchmal sogar holprig.

„Das ist ein bisschen Melancholi­e“, warnte Nelsons vor dem so umständlic­h angekündig­ten Encore, dem „Slawischen Tanz op. 72/2“: Danke, das hätte man sonst womöglich gar nicht mitbekomme­n.

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APA Umjubelt: Die Sächsische Staatskape­lle Dresden unter Dirigent Christian Thielemann.

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