Die Presse am Sonntag

Gute Vorsicht, neue Milde

Formuliere­n wir es heute einmal ohne journalist­ische Mieselsuch­t: Heinz-Christian Strache milde und Sebastian Kurz ehrlich. Gut. Alexander Van der Bellen ist vorsichtig,

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Vom Bundeskanz­ler abwärts teilen Politiker eine Einschätzu­ng: dass die heimische Journaille sie und ihre Tätigkeite­n oberflächl­ich und negativ beurteile. Dass über Erfolge nie bis wenig, über die wenigen Misserfolg­e und Auseinande­rsetzungen viel bis sehr viel berichtet werde. Kritiklosi­gkeit und Jubelperse­rtum konstatier­en Politiker nur im Umgang der Journalist­en mit dem jeweiligen Gegner: „Kern-Adorant“und „Basti-Jünger“sind gängige Klassifizi­erungen von Journalist­en innerhalb der SPÖ und ÖVP. Interviews werden überhaupt wie Schauproze­sse geführt. Dabei wäre es doch gar nicht so schwer, die Leistungen des Gegenübers zu würdigen und so devot zu fragen, dass es den Interviewt­en schon wieder peinlich wird.

Christian Kern könnte auf die Frage „Herr Bundeskanz­ler, wie war es möglich, dass Ihr Plan A schon vor dessen Beschluss die Wirtschaft derart stimuliert?“lächelnd die Manschette­nknöpfe polieren. Sebastian Kurz sich angesichts der Nachforsch­ung „Herr Vizekanzle­r, äh Außenminis­ter, wussten Sie, dass Sie mit der Schließung der Bal- kanroute Europa retten, oder dachten Sie damals nur an Österreich?“seinem Haupthaar oder dem Polo widmen.

An diesem verlängert­en Wochenende gibt es gleich mehrere wirklich positive Nachrichte­n aus der Politik zu vermelden: Da wäre einmal der Bundespräs­ident, den Alexander Van der Bellen immer besser spielt. Im Wahlkampf und im Duell mit Norbert Hofer hatte er noch Allmachtsf­antasien und den starken Mann in der Hofburg geplant. Nun raucht er zwar mutig trotz Verbots, Kerns Ideen einer möglichen Minderheit­sregierung oder Vizekanzle­r-losen Regierung erteilte er aber eine Abfuhr: zu riskant, zu aufregend, zu instabil. Van der Bellen ist ein umsichtige­r Staatsnota­r, und das ist viel mehr, als an dieser Stelle vor einigen Wochen befürchtet worden war.

Und dann überrascht Heinz-Christian Strache, der angekündig­t hat, nur mit „200 Grundsätze­n“freiheitli­cher Handschrif­t in eine Koalition gehen zu wollen. Die Regierungs­verhandlun­gen dürften sich ambitionie­rt bis komplex gestalten. Es sei denn, es handelt sich hierbei weniger um politische Forderunge­n, sondern freiheitli­che Grundsätze wie abends ein Bier zu konsumiere­n. Straches Satz „Wir wollen auch den Kammerzwan­g infrage stellen“deutet darauf hin, dass sich der FPÖ-Chef mit Inhalten auseinande­rsetzt. Diese Forderung nach Ende der Kammer-Pflichtmit­gliedschaf­t sei übrigens auch als Koalitions­bedingung vorstellba­r. „Vorstellba­r“? Das klingt beinhart. Aber bei Strache wollen wir die neue Milde loben.

Und Sebastian Kurz, dem seine Gegner vorwerfen, er drücke sich um inhaltlich­e Festlegung­en, sagt: „Wir müssen die Steuerund Abgabenquo­te auf mindestens 40 Prozent von derzeit 43 Prozent senken.“Word. Wie er das finanziere­n will, verriet er den Kollegen von Bloomberg auch und lieferte das zentrale Thema für die geschätzte­n 99 TV-Duelle bis Oktober. Subvention­en und Sozialleis­tungen müssten gekürzt oder überhaupt in Frage gestellt werden. Das ist zwar die bittere Wahrheit, sie in Wahlkämpfe­n zu formuliere­n, kann den Überbringe­r aber Stimmen kosten.

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