Kern gegen Kurz unter Friendly Fire
Christian Kern erlebt gerade das erste Tief seiner einjährigen Kanzlerschaft. Sebastian Kurz hat ihm die Siegesgewissheit genommen. Alexander Van der Bellen hat ihn enttäuscht. Und seine Partei beschäftigt sich lieber mit der FPÖ.
Man soll die Dinge ja nicht überbewerten. Aber wenn sich die sozialdemokratische Prominenz bei der Präsentation einer von Robert Misik verfassten Kanzlerbiografie, noch dazu in der Kreisky-Villa in Wien-Döbling, auf Staatssekretärin Muna Duzdar und den Wiener Vizebürgermeister Michael Ludwig beschränkt, dann lässt das nicht viele Schlüsse zu: Entweder war die Veranstaltung am vergangenen Dienstag unzureichend organisiert. Oder der Name Christian Kern zieht im Moment auch in den eigenen Reihen nicht so. Oder Kern hat sie nicht eingeladen.
Man sollte allerdings auch die Umfragen nicht überbewerten. Die vorgezogene Nationalratswahl am 15. Oktober ist noch nicht entschieden, auch wenn das der Kurz-Fanklub innerhalb und außerhalb der angeblich neuen ÖVP gern glauben (machen) will. Aber eines ist Sebastian Kurz gelungen: Er hat der SPÖ die Siegesgewissheit genommen. Vorläufig.
Erstmals seit seinem Amtsantritt im Mai 2016 haben sich in der Partei Zweifel an Christian Kern eingeschlichen: Kann er gegen Kurz gewinnen? Und hat er in den vergangenen Wochen nicht auch einige Fehler gemacht?
Jedenfalls hätten sich nach Reinhold Mitterlehners Rücktritt viele Sozialdemokraten mehr Konsequenz von Christian Kern gewünscht. Der Kanzler hätte sofort in Richtung Neuwahl gehen müssen, heißt es in der Partei. Und wenn er der ÖVP schon eine Minderheitsregierung androhte, hätte er wenigstens daran festhalten müssen. So aber habe Kurz leichtes Spiel gehabt.
Besonders augenscheinlich wurde Kerns Unentschlossenheit rund um die Vizekanzlerfrage. Am Morgen des 16. Mai stellte er die Bedingung, dass Kurz sein Stellvertreter in der Regierung werden müsse – um zu Mittag dann doch Justizminister Wolfgang Brandstetter als Vizekanzler zu akzeptieren.
In der SPÖ schüttelten einige den Kopf darüber, andere waren verwirrt. Was viele nicht wussten: Kern war etwas dazwischengekommen – oder besser gesagt: jemand. Alexander Van der Bellen hatte hinter den Kulissen eine maßgebliche Rolle gespielt. Der Bundespräsident, der mit seiner ersten Regierungskrise konfrontiert war, wollte keine Minderheitsregierung und legte auch gegen den SPÖ-Plan, notfalls bis zum 15. Oktober ohne ÖVP-Minister weiterzuregieren, ein Veto ein. Außerdem teilte er Kern mit, dass er nicht wisse, warum er dem parteiübergreifend geschätzten Wolfgang Brandstetter das Vizekanzleramt verweigern sollte.
Schon vor Mitterlehners Abschied hatte Van der Bellen die Kanzlerpläne
Kern und Van der Bellen: Das klang nach einer Allianz, aber es sollte anders kommen.
durchkreuzt. Eigentlich wollte Kern Innenminister Wolfgang Sobotka austauschen. Der Bundespräsident aber hatte Bedenken, weil es unter den ÖVP-Politikern keine Mehrheit dafür gab. Einige Landeshauptleute, allen voran die Niederösterreicherin Johanna Mikl-Leitner, hatten sich quergelegt. Am Ende lenkte auch Mitterlehner ein.
Dem Kanzler müssen diese Einwände Van der Bellens, von Sobotka bis Brandstetter, wie Friendly Fire vorgekommen sein: Hindernisse, mit denen er nicht gerechnet hatte. Errichtet von einem Bundespräsidenten, dessen Wahl er mit persönlichem Einsatz unterstützt hatte. Natürlich nicht ganz uneigennützig. Ein roter Kanzler und ein (ehemals) grüner Bundespräsident: Das klang nach einer vielversprechenden Allianz. Es sollte anders kommen.
Erschwerend für Christian Kern kam zuletzt ein weiteres Problem dazu,