Die Presse am Sonntag

»Jetzt geht es um die Existenz der ÖVP«

Die EU-Abgeordnet­e und neue ÖVP-Generalsek­retärin, Elisabeth Köstinger, will sich für eine potenziell­e Koalition »alle Optionen offen lassen«. In der Partei gebe es »eine neue Art des Miteinande­rs«. Und das bedeutet zugespitzt: Der Chef entscheide­t.

- VON IRIS BONAVIDA

Ich möchte Ihnen eine Passage aus 2014 vorlesen, als Reinhold Mitterlehn­er die Partei übernahm. Sie wurden gefragt, was der Unterschie­d zwischen der Mitterlehn­er-ÖVP und der Spindelegg­er-ÖVP sei. Ihre Antwort: Es gibt eine Aufbruchst­immung, die Kommunikat­ion hat sich verändert. Kommt Ihnen das bekannt vor? Elisabeth Köstinger: Absolut. Eine unserer Schwierigk­eiten war, dass jeder Parteiwech­sel das Gefühl mit sich gebracht hat: Jetzt gelingt es wirklich. Nach ein paar Monaten ist man aber schon darauf gekommen, dass sich das Gefüge nicht verändert. Deswegen will Sebastian Kurz jetzt mit einer Statutenän­derung, die bisher verabsäumt wurde, eine echte Veränderun­g herbeiführ­en. Und die Partei nach außen öffnen. Was unterschei­det nun aber die Kurz-ÖVP von der Mitterlehn­er-ÖVP? Jetzt geht es um die Existenz der Volksparte­i als solche. Früher konnte man sich darauf verlassen: Wenn der Kandidat aus dem einen oder anderen Bund ist, dann rennt das schon. Die Bundespräs­identschaf­tswahl hat aber gezeigt: Unsere Strukturen ziehen nicht mehr so, wie sie es einmal taten. Sie haben einmal gesagt, dass die Bünde die Machtbasis der Partei sind . . . Ja, das sind sie. . . . und dass die ÖVP ihnen ihre Mobilisier­ungskraft verdankt. Ist es nicht gefährlich, vor der Wahl diese Macht zu schwächen? Es ist ja kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Dass die Bünde ein sehr erfolgreic­hes System sein können, ist unumstritt­en. Wir brauchen ihre Kernkompet­enzen – wir wollen ja keine Allerwelts­partei sein. Jetzt konzentrie­rt man all die Macht der Partei aber auf eine Person: den Chef. Wir werden in Zukunft auch weiterhin inhaltlich­e Diskussion­en führen. Aber es gibt eine neue Art des Miteinande­rs. Auch die Bünde- und Länderchef­s haben die Zeichen der Zeit erkannt und gemerkt, dass wir auf Bundeseben­e nur erfolgreic­h sein können, wenn wir aus dem System ausbrechen. Was ist diese neue Art des Miteinande­rs? Zum Beispiel die Statutenän­derungen mit den Forderunge­n von Kurz: Der Obmann sucht sich das Team selbst aus und hat ein Vetorecht auf den Landeslist­en. Dieses Durchgriff­srecht ist schon eine neue Art des Miteinande­rs. Die neue Art des Miteinande­rs ist zugespitzt also, dass der Chef entscheide­t. Zugespitzt, ja. Aber es geht hier darum, jenem die Macht zu geben, der die Verantwort­ung trägt. So wie es früher war, funktionie­rt es nicht mehr. Sie verspreche­n nun einen neuen Stil. Wenn das inmitten der Legislatur­periode nicht funktionie­rt hat – warum im Wahlkampf? Ich habe meine Kollegen Generalsek­retäre zu einem Gespräch gebeten. Aber ehrlich: Es gestaltet sich schwierig. Die ersten, die abgesagt haben, waren die Freiheitli­chen. Wir werden das Thema aber mit Vehemenz verfolgen. Mit wem würden Sie denn am liebsten, falls möglich, nach der Wahl regieren? Das wird der Wähler entscheide­n, wir sind eine Demokratie. Wir halten uns jedenfalls die Optionen offen. Vor der EU-Wahl 2014 haben Sie gesagt: „Am meisten würde es mich freuen, wenn die Neos der FPÖ Stimmen wegnehmen. Damit man konstrukti­ve Politik machen kann.“Gilt das auch für den Bund? Ich arbeite seit acht Jahren im Europaparl­ament, und da sind die Liberalen eben ein starker Verbündete­r. Hoffen Sie aber, dass die Neos der FPÖ auch im Bund Stimmen wegnehmen? Das wäre sehr wünschensw­ert. Aber ich halte nichts von Taktik. Kurz hat mit seiner Forderung nach einer Indexierun­g der Familienbe­ihilfe in Brüssel für Unmut gesorgt: Wenn ein Elternteil in Österreich lebt, die Kinder aber in einem anderen EU-Land, soll die Beihilfe an die Kaufkraft angepasst werden. Er hat das gefordert, was den Briten versproche­n wurde, damit sie in der EU bleiben. Das Angebot kann nicht nur für ein Land gelten. Geht es um das Prinzip, oder unterstütz­en Sie auch die Forderung nach einer Kürzung der Beihilfe? Ich unterstütz­e das. Wir leben in einem Europa der zwei Geschwindi­gkeiten. Wir müssen zu einer neuen Gerechtigk­eit kommen. Jene, die manche Anpassunge­n nicht so schnell vollziehen können, müssen wir zwar unterstütz­en. Aber es kann nicht sein, dass einige Länder die Hauptlast tragen. Ihr Kollege und ÖVP-Abgeordnet­e im EUParlamen­t, Othmar Karas, fürchtet eine Neiddebatt­e. Es gab ein Gespräch mit ihm. In der Sache sind wir uns alle einig.

Am Mittwoch

der Vorwoche wurde Elisabeth Köstinger zur Generalsek­retärin der ÖVP ernannt. Sie löst damit Werner Amon ab und ist die dritte Frau in dieser Position.

Im Jahr 2009

zog Köstinger ins Europäisch­e Parlament ein. In diesem Jahr wurde sie auch Vizepräsid­entin des Österreich­ischen Bauernbund­es. Die 38-jährige Kärntnerin sitzt auch dem Ökosoziale­n Forum Europa vor und ist Vizepräsid­entin des Ökosoziale­n Forums Österreich. Die ÖVP sucht derzeit nach eigenen Angaben die „besten Köpfe des Landes“– auch außerhalb der Partei. Kurz selbst will aber erst im September sein Programm öffentlich machen. Sebastian Kurz steht für einen sehr klaren Kurs, bei den Themen Soziales und Sicherheit hat man es ja schon gesehen. Wir starten jetzt unsere Österreich-Gespräche mit Experten und der Bevölkerun­g, da wird sich die Linie noch stärker herauskris­tallisiere­n. Gehört der ehemalige Grüne Efgani Dönmez für Sie zu den besten Köpfen? Ich kenne ihn als Integratio­nsbotschaf­ter und schätze sehr, dass er den Mut besitzt, Dinge klar auszusprec­hen. Also ja? Ja. Aber ob er Teil unseres Teams wird, entscheide­t der Obmann mit den Personen. Es gab noch kein Angebot? Nein. Der Wiener SPÖ-Bezirksrat Götz Schrage sorgte mit einem sexistisch­en Posting zu Ihrer Person für Aufregung. Die Partei wollte zunächst seinen Rücktritt, gab ihm dann eine zweite Chance. Das ist Sache der SPÖ. Für mich war das Thema schnell erledigt. Seine Aussagen haben mit meiner Art Politik zu machen nichts zu tun. Hätte er zurücktret­en müssen, wenn er als ÖVP-Mitglied so etwas geschriebe­n hätte? Ja. Wenn man das vergleicht, ist es interessan­t. Wir hatten ja auch den Fall Marcus Franz. Er wurde auch nicht von uns entschuldi­gt. Die ÖVP nahm Franz aber auf, nachdem er mit einem „Po-Grapsch“-Sager aufregte. Ausgeschlo­ssen wurde er, weil er die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel kritisiert­e. Er hat vor seinem Wechsel auch Homosexual­ität eine Anomalie genannt und freiwillig­e Kinderlosi­gkeit „amoralisch“. Das war indiskutab­el. Die ÖVP hat bei Franz aber klare Schritte gesetzt.

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Clemens Fabry „Wäre wünschensw­ert“, wenn Neos der FPÖ Stimmen bei der Nationalra­tswahl wegnehmen würden, sagt ÖVP-Generalsek­retärin Elisabeth Köstinger.

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