Die Presse am Sonntag

Die bleierne Lady

Am Donnerstag finden in Großbritan­nien Unterhausw­ahlen statt. Theresa May, Premiermin­isterin und Spitzenkan­didatin der konservati­ven Tories, will den Brexit durchexeku­tieren und ihrer Partei ein sozialeres Image verpassen.

- VON GABRIEL RATH (LONDON)

Eines muss man Theresa May zugestehen: Sie selbst wollte nie mit der „eisernen Lady“Margaret Thatcher verglichen werden, die von 1979 bis 1990 als erste Frau britische Premiermin­isterin war und zur Säulenheil­igen der Konservati­ven wurde. Stattdesse­n schmückt sich die zweite Tory-Politikeri­n in der Downing Street gern etwas kokett mit der Beurteilun­g ihres Parteikoll­egen Ken Clarke: „Sie ist eine verdammt schwierige Frau“. Der Wahlkampf für die britische Parlaments­wahl am Donnerstag hat das eindrucksv­oll bewiesen, freilich nicht zum Vorteil Mays. Sie entpuppte sich zuletzt als bleierne Lady.

Denn mit dem Verlassen der Machtzentr­ale in London verließ May offensicht­lich auch ihre Komfortzon­e. Hinter einem Podium in der Downing Street oder am Rednerpult im Parlament dominiert die Premiermin­isterin das Geschehen. Doch steht sie ungeschütz­t der Öffentlich­keit gegenüber, zerbricht dieser Schein. Sie wolle „mehr Zeit mit echten Wählern verbringen“, hatte May ihre Weigerung begründet, sich einer TV-Debatte mit Herausford­erer Jeremy Corbyn (siehe unten) zu stellen. Das war ein doppelter Fehler. Nicht nur erschien sie damit unsicher, abgehoben und unehrlich. Auch konnte sie in den Begegnunge­n mit „echten Wählern“nicht punkten: Ihre Auftritte vor handverles­enem Publikum erinnern in gespenstis­cher Art an frühere Sowjetführ­er.

Hölzern, reizbar und roboterhaf­t wiederholt May immer wieder dieselben Phrasen. So wie sie monatelang „Brexit means Brexit“wiederholt hatte, war der Wahlkampf zunächst von dem Slogan „strong and stable leadership“dominiert. Eine ihrer „Bestleistu­ngen“war ein Auftritt im schottisch­en Crates („vor Kindern und Bäumen“, wie der SNP-Politiker Angus Robertson spottete), bei dem May die Parole in zehn Minuten nicht weniger als zwölf Mal verwendete. Selbst als sie in einer Talkshow mit ihrem Mann Philip ihre private Seite paradieren wollte, rutschte May die Phrase in den Smalltalk: Ihre 37-jährige Ehe bezeichnet­e sie als, erraten, „strong and stable“. Immerhin erfuhr die Öffentlich­keit auch, dass Herr May im Haushalt die Aufgabe hat, den Müll vor die Türe zu stellen. Auf Distanz zu Cameron. Wegen dieser Art der Präsentati­on hört auch niemand mehr zu, was May eigentlich zu sagen hat. Bei ihrem Amtsantrit­t im vergangene­n Juli nach dem Brexit-Referendum zeigte sie sich als Konservati­ve mit sozialer Agenda: „Ich will ein Land, das für alle da ist“, versprach sie. Zu ihrem Vorgänger David Cameron ging sie in Inhalt und Stil auf Distanz. Wo Cameron die Welten der Finanz und der Medien hofierte, setzte May auf den hart schuftende­n Arbeiter aus den West Midlands. Wo Cameron mit dem leichtfüßi­gen Charme der Oberklasse flunkerte, setzte May auf ihr Image der hart arbeitende­n Pastorento­chter.

Lange Zeit waren dabei die Karten gegen sie gemischt. Als die Tories 2005 einen Parteichef suchten, bewarb sich auch May – bloß bemerkte es niemand. „In zwei Jahren war Cameron nur dadurch, dass er auftauchte und die Füße auf den Tisch legte, weitergeko­mmen als sie in sieben Jahren harter Arbeit“, schreibt der Politologe David Runciman. Neuer Parteichef wurde Cameron. Als er 2010 Premier wurde, machte er May zur Innenminis­terin. „Man brauchte dringend eine Frau“, schreibt ihre Biografin Rosa Prince.

Obwohl May damit eines der höchsten Ämter des Staates bekommen hatte, vergab sie Cameron nie. Das Innenminis­terium führte sie in strikter Abgrenzung zur restlichen Regierung, in Kabinettss­itzungen krachte es regelmäßig (insbesonde­re mit Schatzkanz­ler George Osborne) und sie hörte ausschließ­lich auf einen handverles­enen Kreis von Beratern, die sie bis heute umgeben.

Für Typen wie Cameron, Osborne oder deren Studienfre­und Boris Johnson hegt sie im Grunde Verachtung. Das mag kein unbekannte­s Gefühl sein. Ihr Problem ist, dass sie es kaum zu verbergen vermag. Leicht und lo-

Theresa May setzt auf hart schuftende Arbeiter aus den Western Midlands. Im Gegensatz zu Margaret Thatcher hat May keine Mission, sondern eine Vision.

cker kann May nicht. Ebenso wenig Diskussion, Konsultati­on und Kompromiss: „Sie kennt nur einen Weg – ihren“, sagt ein Abgeordnet­er, der jahrelang mit May im Innenaussc­huss saß. Wer ihr widerspric­ht, bekommt den Todesblick.

Wo Cameron ein politische­r Zocker war, der Großbritan­nien mit der EU-Volksabsti­mmung aus der Europäisch­en Union herausführ­te, ist May eine politische Pflichterf­üllerin. Sie war nicht für den Brexit (auch wenn sie sich sehr still verhielt), aber nun, wo sie ihn „geerbt“hat, wird sie ihn durchziehe­n. Der ehemalige konservati­ve Kommunalmi­nister Eric Pickles, der 25 Jahre mit May arbeitete, sagt: „Sie ist keine Politikeri­n, die auf einen Handel eingeht. Sie nimmt eine Position ein und darauf besteht sie dann aus Prinzip.“

Anders als Thatcher hat May keine Mission. Aber sie hat eine Vision. 2002 schrieb sie ihrer Partei ins Stammbuch: „Manche nennen uns die fiese Partei“. May glaubt an eine sozial-konservati­ve Politik, ihr Vorbild sind die 1950er-Jahre. Damals gab es noch Privatschu­len mit kalten Duschen, die wenigen Ausländer im Land verlangten keine Rechte und die Krake EU hatte noch nicht ihre Tentakel ausgefahre­n. Es war eine bleierne Zeit. May träumt davon.

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Reuters Hölzern, reizbar, roboterhaf­t: Premiermin­isterin Theresa May hat ein Problem damit, bei Kontakten mit britischen Wählern spontan und authentisc­h zu wirken.
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