Die bleierne Lady
Am Donnerstag finden in Großbritannien Unterhauswahlen statt. Theresa May, Premierministerin und Spitzenkandidatin der konservativen Tories, will den Brexit durchexekutieren und ihrer Partei ein sozialeres Image verpassen.
Eines muss man Theresa May zugestehen: Sie selbst wollte nie mit der „eisernen Lady“Margaret Thatcher verglichen werden, die von 1979 bis 1990 als erste Frau britische Premierministerin war und zur Säulenheiligen der Konservativen wurde. Stattdessen schmückt sich die zweite Tory-Politikerin in der Downing Street gern etwas kokett mit der Beurteilung ihres Parteikollegen Ken Clarke: „Sie ist eine verdammt schwierige Frau“. Der Wahlkampf für die britische Parlamentswahl am Donnerstag hat das eindrucksvoll bewiesen, freilich nicht zum Vorteil Mays. Sie entpuppte sich zuletzt als bleierne Lady.
Denn mit dem Verlassen der Machtzentrale in London verließ May offensichtlich auch ihre Komfortzone. Hinter einem Podium in der Downing Street oder am Rednerpult im Parlament dominiert die Premierministerin das Geschehen. Doch steht sie ungeschützt der Öffentlichkeit gegenüber, zerbricht dieser Schein. Sie wolle „mehr Zeit mit echten Wählern verbringen“, hatte May ihre Weigerung begründet, sich einer TV-Debatte mit Herausforderer Jeremy Corbyn (siehe unten) zu stellen. Das war ein doppelter Fehler. Nicht nur erschien sie damit unsicher, abgehoben und unehrlich. Auch konnte sie in den Begegnungen mit „echten Wählern“nicht punkten: Ihre Auftritte vor handverlesenem Publikum erinnern in gespenstischer Art an frühere Sowjetführer.
Hölzern, reizbar und roboterhaft wiederholt May immer wieder dieselben Phrasen. So wie sie monatelang „Brexit means Brexit“wiederholt hatte, war der Wahlkampf zunächst von dem Slogan „strong and stable leadership“dominiert. Eine ihrer „Bestleistungen“war ein Auftritt im schottischen Crates („vor Kindern und Bäumen“, wie der SNP-Politiker Angus Robertson spottete), bei dem May die Parole in zehn Minuten nicht weniger als zwölf Mal verwendete. Selbst als sie in einer Talkshow mit ihrem Mann Philip ihre private Seite paradieren wollte, rutschte May die Phrase in den Smalltalk: Ihre 37-jährige Ehe bezeichnete sie als, erraten, „strong and stable“. Immerhin erfuhr die Öffentlichkeit auch, dass Herr May im Haushalt die Aufgabe hat, den Müll vor die Türe zu stellen. Auf Distanz zu Cameron. Wegen dieser Art der Präsentation hört auch niemand mehr zu, was May eigentlich zu sagen hat. Bei ihrem Amtsantritt im vergangenen Juli nach dem Brexit-Referendum zeigte sie sich als Konservative mit sozialer Agenda: „Ich will ein Land, das für alle da ist“, versprach sie. Zu ihrem Vorgänger David Cameron ging sie in Inhalt und Stil auf Distanz. Wo Cameron die Welten der Finanz und der Medien hofierte, setzte May auf den hart schuftenden Arbeiter aus den West Midlands. Wo Cameron mit dem leichtfüßigen Charme der Oberklasse flunkerte, setzte May auf ihr Image der hart arbeitenden Pastorentochter.
Lange Zeit waren dabei die Karten gegen sie gemischt. Als die Tories 2005 einen Parteichef suchten, bewarb sich auch May – bloß bemerkte es niemand. „In zwei Jahren war Cameron nur dadurch, dass er auftauchte und die Füße auf den Tisch legte, weitergekommen als sie in sieben Jahren harter Arbeit“, schreibt der Politologe David Runciman. Neuer Parteichef wurde Cameron. Als er 2010 Premier wurde, machte er May zur Innenministerin. „Man brauchte dringend eine Frau“, schreibt ihre Biografin Rosa Prince.
Obwohl May damit eines der höchsten Ämter des Staates bekommen hatte, vergab sie Cameron nie. Das Innenministerium führte sie in strikter Abgrenzung zur restlichen Regierung, in Kabinettssitzungen krachte es regelmäßig (insbesondere mit Schatzkanzler George Osborne) und sie hörte ausschließlich auf einen handverlesenen Kreis von Beratern, die sie bis heute umgeben.
Für Typen wie Cameron, Osborne oder deren Studienfreund Boris Johnson hegt sie im Grunde Verachtung. Das mag kein unbekanntes Gefühl sein. Ihr Problem ist, dass sie es kaum zu verbergen vermag. Leicht und lo-
Theresa May setzt auf hart schuftende Arbeiter aus den Western Midlands. Im Gegensatz zu Margaret Thatcher hat May keine Mission, sondern eine Vision.
cker kann May nicht. Ebenso wenig Diskussion, Konsultation und Kompromiss: „Sie kennt nur einen Weg – ihren“, sagt ein Abgeordneter, der jahrelang mit May im Innenausschuss saß. Wer ihr widerspricht, bekommt den Todesblick.
Wo Cameron ein politischer Zocker war, der Großbritannien mit der EU-Volksabstimmung aus der Europäischen Union herausführte, ist May eine politische Pflichterfüllerin. Sie war nicht für den Brexit (auch wenn sie sich sehr still verhielt), aber nun, wo sie ihn „geerbt“hat, wird sie ihn durchziehen. Der ehemalige konservative Kommunalminister Eric Pickles, der 25 Jahre mit May arbeitete, sagt: „Sie ist keine Politikerin, die auf einen Handel eingeht. Sie nimmt eine Position ein und darauf besteht sie dann aus Prinzip.“
Anders als Thatcher hat May keine Mission. Aber sie hat eine Vision. 2002 schrieb sie ihrer Partei ins Stammbuch: „Manche nennen uns die fiese Partei“. May glaubt an eine sozial-konservative Politik, ihr Vorbild sind die 1950er-Jahre. Damals gab es noch Privatschulen mit kalten Duschen, die wenigen Ausländer im Land verlangten keine Rechte und die Krake EU hatte noch nicht ihre Tentakel ausgefahren. Es war eine bleierne Zeit. May träumt davon.