Zu Pfingsten regnet es Rosen
In der Wiener Michaelerkirche wird am Ende des Pfingstgottesdienstes der Rosenregen begangen – ein altes katholisches Ritual, das vor allem aus dem Pantheon in Rom bekannt ist.
Sie bleiben sitzen. Nicht wie sonst, wenn Pater Peter den Schlusssegen erteilt und die Menschen nach und nach von den Bänken aufstehen und zum Ausgang der Michaelerkirche strömen. Diesmal wandern ihre Blicke nach oben, hinauf zu der Öffnung im Gewölbe. Von dort, aus dem schwarzen Loch dort oben, tanzen langsam Tausende Rosenblüten hinab in das Kirchenschiff. So wie auch am Ende manches Rockkonzerts unzählige glitzernde Alustreifen über den Köpfen des Publikums herabsegeln. Als finaler Höhepunkt, als Abschluss mit einem letzten bombastischen Effekt, als Element der Inszenierung, das noch einmal für aufgerissene Augen und Münder sorgt.
Liturgie ist Show. In der römischkatholischen Pfarrkirche nahe der Hofburg wird dieses Element zu Pfingsten besonders zelebriert. Es muss 2005 oder 2006 gewesen sein, meint Pater Peter, als er hier den Rosenregen wiederbelebt hat. Dieses alte katholische Ritual, das die Gläubigen an das Brausen des Heiligen Geistes erinnern soll, so wie es in der Bibel beschrieben wird. Wie ein Sturm, der das Haus erfüllt. Ein Ritual, das die Bedeutung von Pfingsten verständlich machen soll. So wie das Kind in der Krippe zu Weihnach- ten, so wie die Kerze zu Ostern. „Nur wie willst du einen Geist darstellen?“Als Taube vielleicht. Als Feuerzungen. Oder eben als Rosenregen.
Im Blütenregen verschwindet die Distanz zwischen dem Priester an der Front und den Gläubigen. Wenn alle nach oben schauen, die Hand nach einem fallenden Blatt ausstrecken, Kinder Blüten vom Boden aufsammeln und sie den Erwachsenen auf den Bänken bringen. „Plötzlich“, meint der Pater, „sind alle miteinander.“Es ist ein Brauch, den der niederländische Pater in Rom kennengelernt hat, wo er einige Jahre verbrachte. Im Pantheon wird jedes Jahr zu Pfingsten die „Pioggia delle Rose“zelebriert. Durch das Himmelsauge werfen Feuerwehrleute minutenlang Rosenblüten in den Kirchenraum. Ein Ritual, das ihm gefiel. Und das er, als er in Wien stationiert wurde, auch hier begehen wollte. Die Michaelerkirche bot sich dafür an. Auch wegen des Heiliggeistlochs im Gewölbe, durch das die Blüten auf die Reise ins Kirchenschiff geschickt werden können. Kisten im Dachstuhl. Vom hellen Kirchenraum aus wirkt es wie ein schwarzes Loch. Von oben ist es umgekehrt. Das Licht von unten blendet durch die ovale Öffnung. Oben am Rand hockt Gustav Bergmeier und deutet auf einen Querbalken. „Da steht eine Kiste, da drüben noch eine.“Er ist so etwas wie der Zeremonienmeister. Der Mann, der dafür sorgt, dass am Pfingstsonntag die Inszenierung funktioniert. Von An- Der Blick nach unten: Die Rosenblüten landen im Kirchenschiff. fang an hat er mit Pater Peter die Zeremonie organisiert. Zunächst einmal dafür gesorgt, dass man an die Blüten kommt. Bei einem Blumengroßhändler holt Bergmeier einige Hundert Rosen ab – Blumen, die nicht verkauft wurden. Als Spende. Vier bis fünf Kisten räumt er dann in sein Auto und führt sie in die Kirche, je später, desto besser. Die Blüten müssen halbwegs trocken sein, aber noch nicht braun.
Mit zwei Helfern trägt er die Kisten dann hinauf, über Wendeltreppen, in den Dachstuhl, der noch im Original
Im Blütenregen verschwindet plötzlich die Distanz zwischen Priester und Gläubigen. Exakt choreografiert werden die Blüten geworfen. Die Stoppuhr läuft mit.
aus dem Jahr 1525 erhalten ist. Alles wird vorbereitet, damit am Sonntag zum richtigen Zeitpunkt nur noch die Rosen durch das Loch geworfen werden müssen. Exakt choreografiert, genau nach dem Schlusssegen, und dann läuft die Stoppuhr. Mindestens zweieinhalb Minuten lang sollen die Blätter zu Boden gleiten. Diesmal getaktet nach der Bach-Kantate zum ersten Pfingsttag. Und natürlich wird alles von einer geheimnisvollen Aura umweht. Wenn zu Beginn der Messe nur eine Handvoll Rosen am Altar gesegnet wird – und plötzlich aus dem Nichts so viele herabsegeln. „Wir sind alle schwarz angezogen“, sagt Bergmeier, „sonst würde man von unten etwas erkennen.“Die Blüten werden so geworfen, dass von unten keine Hand zu sehen ist. Es geht um das Mystische, das soll nicht durch die Realität gestört werden.
Und dies funktioniere auch, meint Pater Peter. Auch noch lange nach der eigentlichen Zeremonie. Dann, wenn das große Leintuch, mit dem viele der Blüten am Boden aufgefangen wurden, zum Altar gezogen wird. Und sich die Menschen, die die Kirche besuchen, eine Blüte mitnehmen – als eine Reliquie, eine Erinnerung an die blumige Zeremonie. Am Pfingstmontag jedenfalls, erzählt er, sind alle Blüten weg.