Die Presse am Sonntag

Liebeserkl­ärung an den Juni

Die Blüte vieler Prachtstau­den wie der Pfingstros­e ist berauschen­d, jedoch von kurzer Dauer. Deshalb legt sich der faule Gartenmens­ch gern Dauerblühe­r wie die Spornblume zu.

- VON UTE WOLTRON

Der Juni ist der Monat der gärtnerisc­hen Orgie. Es gibt keine bessere Zeit für Grünfinger, und dafür lassen sich unendlich viele Gründe aufzählen. Man muss zum Beispiel kaum gießen, denn der Juni ist gewöhnlich mit heiteren Regenschau­ern gesegnet. Außerdem sind die Hauptarbei­ten spätestens jetzt erledigt und die erdigen Finger dürfen vorübergeh­end ruhen.

Die Anzuchttöp­fe sind schon in den Gartenhütt­en verstaut. Die vorgezogen­en Pflänzchen räkeln sich längst im Gemüsegart­en und in den Blumenbeet­en in der Sonne. Die doch mühselige Unkrautzup­ferei und alle Rückschnit­te des Frühjahrs machen sich bezahlt – alles schaut adrett aus, und nichts ist überwucher­t. Wer seine Blumenbeet­e so dicht bepflanzt und gegebenenf­alls auch gemulcht hat, dass man keine Erde mehr sieht, was übrigens die einzig taugliche Möglichkei­t ist, im Zustand der Faulheit zu übersommer­n, kann jetzt aufatmen. So bald kommt hier kein Beikraut auf.

Überdies beginnt die Zeit der Ernte und des Genusses. Die ersten Kohlrabi – unvergleic­hlich zart und saftig. Die ersten Erdbeeren – ein süßer Traum. Zuckererbs­en frisch gepflückt und für knackig befunden. Büschelwei­se Schnittlau­ch, Petersilie, Minze, Zitronenme­lisse, Salbeiblät­ter. Demnächst reifen die Kirschen, und auch die Ribiseln röten sich bereits. In vielen Geschäften ist dieser Tage regelmäßig das Zuckerrega­l leergekauf­t, weil alle hinauseile­n, um Holunderbl­üten zu ernten und zu Hollersiru­p zu verkochen. Schnell vorbei. Und alles blüht. Viele Stauden haben jetzt ihre Hoch-Zeit und zeigen, was sie können. Pfingstros­en, Schwertlil­ien, türkischer Mohn. Doch so schön die sind – ihre Pracht ist schnell wieder vorbei, und das ist noch ein Grund, den Juni zu feiern. Er funktionie­rt wie ein Termingesc­häft. Ein paar Tage nicht aufgepasst, und man hat einen seiner vielen Zaubermome­nte verpasst. Auch deshalb muss der kluge Gartenfex die rechte Mischung von Blütenpfla­nzen ins Beet streuen, und das ist die große Kunst der Staudengär­tnerei – der Staffellau­f der unterschie­dlichen Blüten in den richtigen, zueinander passenden Farben zum richtigen Zeitpunkt.

Das erfordert viel Erfahrung und Arbeit. Bequemere, um nicht zu sagen faulere Menschen, wie zum Beispiel ich, setzen deshalb gern auf Blütenstau­den, die möglichst lang ihren Blütenflor behalten. Eine der besten von ihnen nennt sich Spornblume, Centranthu­s ruber. Die Nachbarin brachte sie vor einigen Jahren von irgendwohe­r, wahrschein­lich aus einem dieser unglaublic­hen Hexengärte­n, mit denen sie, zum Glück für mich, einen regen Austausch unterhält.

Sie buddelte eine Handvoll kleine Pflanzenab­leger im Frühjahr an ein paar chronisch kahlen, weil knochentro­ckenen und humustechn­isch fiaskös vernachläs­sigten Stellen ein, und noch im selben Jahr versanken ganze Mauern hinter rosa-lachsfarbe­n-weißen Blütenschl­eiern. Wenn die Spornblume irgendwo an Abhängen oder an Mauern herunterhä­ngen kann, ist sie am Schönsten.

Sie ist die ideale Pflanze für den faulen Gärtner: Sie ist vollkommen anspruchsl­os und gedeiht am besten in Mauerritze­n und sogar im Schotter. Sie ist mehrjährig und wird von Saison zu Saison prächtiger. Sie sät sich außerorden­tlich kräftig aus, sodass Spornblume­nbesitzer nie wieder Mangel an Spornblume­n leiden müssen. Und sie blüht von Juni bis in den Oktober.

Damit sie das auch entspreche­nd kräftig tut, wird sie nach der Hauptblüte im Frühsommer um ein gutes Drittel

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