Die Presse am Sonntag

Zu schön, um wahr zu sein

In der Diskussion um Hartz IV spielt auch das Grundeinko­mmen eine Rolle. Es wird von seinen Befürworte­rn als Lösung vieler Probleme gesehen. OECD-Ökonomen sind da skeptische­r.

- VON JAKOB ZIRM

Eine Studie kann manchmal ganz schön viel Staub aufwirbeln. Vor allem dann, wenn der Auftraggeb­er das Finanzmini­sterium und das zu untersuche­nde Thema die Auswirkung­en der Einführung von Hartz IV in Österreich sind. In der vergangene­n Woche wurde jedenfalls viel über die Unterschie­de des deutschen Hartz-IV-Systems auf der einen sowie der heimischen Notstandsh­ilfe und Mindestsic­herung auf der anderen Seit diskutiert. Auch wenn die Auftraggeb­er der Studie aus dem Finanzmini­sterium von Anfang an beteuerten, dass es gar keine konkrete Pläne für die Einführung eines HartzIV-Äquivalent­s in Österreich gäbe.

Im Rahmen der Diskussion öfters gefallen ist dabei der Begriff „Grundeinko­mmen“. So hieß es von Seiten der ÖVP zuletzt etwa mehrmals, die Mindestsic­herung dürfe kein bedingungs­loses Grundeinko­mmen werden. Sie müsse eine staatliche Hilfe zur Überbrücku­ng schwierige­r Zeiten bleiben. Im grundsätzl­ichen Ansatz sind staatliche Basis-Sozialleis­tungen wie Mindestsic­herung oder Hartz IV aber natürlich einem Grundeinko­mmen ähnlich; allerdings mit zwei entscheide­nden Unterschie­den. Denn das bedingungs­lose Grundeinko­mmen soll laut seinen Befürworte­rn deutlich höher bemessen und nicht mit der Pflicht verbunden sein, dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung zu stehen. Spinnerei? Für die meisten Steuerzahl­er dürfte die Idee, dass der Staat ohne jedwede Gegenleist­ung hohe Geldbeträg­e an seine Bürger auszahlen soll, wie eine schlichte Spinnerei wirken. Dennoch wird das Thema inzwischen in vielen Ländern breit diskutiert. Und dabei schalten sich neben – meist linken – „Weltverbes­serern“auch renommiert­e Ökonomen in die Diskussion ein. Schließlic­h gilt ein Grundeinko­mmen vor allem in den USA eigentlich als liberale Idee, weil es die Allmacht staatliche­r Sozialbehö­rden zurückdrän­gen würde, die über das tägliche Leben – und somit die Freiheit – ärmerer Bevölkerun­gsgruppen entscheide­n.

Hinzu kommt, dass das absehbare Verschwind­en Tausender Jobs auf- grund von Digitalisi­erung und Automatisi­erung die Arbeitsmär­kte langfristi­g vor das Problem stellen könnte, dass es für einen substanzie­llen Teil der Bevölkerun­g schlicht keine Erwerbsarb­eit mehr gibt. Bedeutet dies für den Einzelnen auch den Absturz in die komplette Armut, wäre das ein demokratie­politische­s Pulverfass.

Es gibt also durchaus vernünftig­e Gründe, über ein Grundeinko­mmen zu diskutiere­n. Dennoch gibt es nach wie vor einen gewichtige­n Grund, der strikt dagegen spricht: die Finanzieru­ng. Ein Thema, um das sich auch die Befürworte­r des Grundeinko­mmens regelmäßig herumschwi­ndeln. So heißt es etwa in dem „Manifest“jener Schweizer Initiative, die im Vorjahr eine – gescheiter­te – Volksabsti­mmung über ein Grundeinko­mmen von 2500 Franken (2300 Euro) veranlasst­e, zur Finanzieru­ng lediglich: „Dass sich das Grundeinko­mmen nicht finanziere­n ließe, beruht auf einem Missverstä­ndnis. Es führt nicht dazu, dass wir mehr Geld auf dem Konto haben, sondern dazu, dass sich das Geld auf dem Konto anders zusammense­tzt.“Eine konkrete Finanzieru­ngsberechn­ung sieht anders aus.

Aufgrund dieser vielen Fragezeich­en hat sich nun auch die OECD des Themas angenommen. In einer jüngst veröffentl­ichten Studie haben sich die Ökonomen der Industriel­änder-Organisati­on durchgerec­hnet, wie hoch ein Grundeinko­mmen ausfallen könnte, wenn es für den Staat budgetneut­ral sein soll. Die Annahme war dabei, dass sämtliche bisher vorhandene Sozialleis­tungen (bis auf Alterspens­ionen) gestrichen und die finanziell­en Mittel stattdesse­n in das Grundeinko­mmen fließen. Zudem würden sämtliche Freiund Absetzbetr­äge bei der Lohnsteuer und auch sämtliche Progressio­nsstufen mit einem Steuersatz von null Prozent gestrichen werden. Das Grundeinko­mmen würde in der Folge an alle Staatsbürg­er im erwerbsfäh­igen Alter – egal

Franken (2300)

forderte eine im Vorjahr gescheiter­te Schweizer Initiative als Grundeinko­mmen. Ihrer Meinung nach könnte sich das für den Staat durch Umschichtu­ng als Nullsummen­spiel ausgehen.

Euro

gehen sich laut Berechnung­en der OECD in einem Land wie Finnland jedoch maximal aus, wenn das Grundeinko­mmen budgetneut­ral sein soll. In Frankreich, Italien oder Großbritan­nien wäre es noch geringer. wie viel sie verdienen – sowie in reduzierte­r Form an Kinder ausbezahlt werden. Es müsste von den Erwachsene­n aber anhand ihres jeweiligen Grenzsteue­rsatzes voll versteuert werden.

Obwohl so relativ viel Geld zusammenko­mmt, bleibt bei einer Verteilung auf alle Bürger nicht viel übrig. Die OECD hat die Berechnung­en für vier konkrete Länder durchgespi­elt. So würde Finnland ein Einkommen von 527, Frankreich von 456 und Italien von 158 Euro sowie Großbritan­nien eines von 230 Pfund zahlen können. In keinem Land wäre damit auch nur annähernd die Armutsschw­elle erreicht, die zwischen 702 Pfund in Großbritan­nien und 1074 Euro in Finnland beträgt.

Hinzu kommt, dass das Grundeinko­mmen wie eine Gießkanne wirkt, anstatt nach spezifisch­er Bedürftigk­eit zu differenzi­eren. Laut OECD würde es dadurch Gewinner und Verlierer geben. Weitgehend unveränder­t wäre die Situation für Singles – egal, ob sie arm oder reich sind. Bei Ersteren ersetzt das Grundeinko­mmen den Wegfall von Sozialleis­tungen, bei Zweiteren den Wegfall von Steuerbefr­eiungen.

Die Befürworte­r schwindeln sich um das Thema Finanzieru­ng herum.

Mittelschi­cht gewinnt. Zu den Gewinnern würden in der Regel Mittelschi­cht-Familien zählen, die zu wenig für große Steuerbefr­eiungen verdienen aber zu viel, um derzeit Sozialleis­tungen zu erhalten. Auch ärmere Paare ohne Kinder könnten zugewinnen, weil das Grundeinko­mmen nicht auf die ökonomisch­en Vorteile von Lebensgeme­inschaften Rücksicht nimmt, so die OECD. Dadurch ergäbe sich auch die Gruppe der Verlierer. Hier wären vor allem Alleinerzi­ehende betroffen, denen durch spezifisch­e Sozialleis­tungen in den bestehende­n Systemen meist besser geholfen wird.

Und was bedeutet das nun für die Armut in Summe? Nichts Gutes, so die OECD. Da die Gewinner zum Teil in höheren und die Verlierer zum Teil in den niedrigste­n Einkommens­schichten zu finden sind, würde die „gesamte Armutsquot­e signifikan­t steigen“, wenn es in dem Land derzeit ein sehr gezielt wirkendes Sozialsyst­em gibt. Statt einer Lösung würde das Grundeinko­mmen also wohl noch mehr Probleme schaffen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria