Frühaufstehen für den Umsatz
Was bringt Unternehmer dazu, sich einmal die Woche verpflichtend um sieben Uhr Früh zu treffen und kleine, bunte Zettel auszutauschen? – Ein Besuch beim Unternehmernetzwerk BNI, das die gute alte Mundpropaganda in ein striktes Korsett goss.
Um sieben Uhr in der Früh gibt es wenige Orte, an denen man gern wäre. Der Karlsplatz schafft es eher nicht in die Auswahl. Dennoch ist die Stimmung im kleinen Kaffee im Resselpark zwischen Technischer Universität und U-Bahn an diesem Donnerstagmorgen Ende April ausgelassen.
Donnerstags trifft sich hier ausnahmslos jede Woche das „Chapter Schubert“. Das sind rund 30 gut gelaunte Menschen mit Namensschildern, die sich im Wintergarten um das Frühstücksbuffet und die Kaffeemaschine drängen. Gleich geht das straff organisierte Meeting mit der 20-Punkte-Agenda los. Wer in den folgenden eineinhalb Stunden etwas essen will, sollte das davor wissen.
Die Gruppe ist eine von insgesamt 7800 der Organisation Business Network International (BNI). Ihr Gründer Ivan Misner rief sie vor mehr als 30 Jahren aus dem eigenen Bedürfnis nach Geschäftsempfehlungen (siehe Geschichte rechts) ins Leben. Seine Idee war simpel: Unternehmer aus lauter verschiedenen Branchen – man will sich ja nicht gegenseitig das Wasser abgraben – stecken sich Kontakte zu. Schließlich kennt immer jemand jemanden, der gerade einen Tischler oder Steuerberater braucht. Und Misner ist kein Freund der langen Gelage. Es heiße ja schließlich Network, nicht Neteat, zitieren ihn die Mitglieder. Sekte oder Netzwerk? Michael Mayer war der Erste in Österreich, den die Idee der Morgentreffen dennoch reizte, als er 2002 auf einer Franchisemesse davon hörte. Den gelernten Landwirt schockierte die Uhrzeit nicht, Markt sah er aber keinen. „Gute Idee, aber in Österreich kriegt ihr um sieben Uhr morgens keinen Unternehmer hinter dem Ofen hervor“, habe er zu den BNI-Mitarbeitern gesagt. Trotzdem wurde er eingeladen, ein Treffen in London zu besuchen. Näher ging es nicht, am europäischen Festland gab es keinen Ableger. Als er wenig später in einem Golfclub etwas außerhalb der britischen Hauptstadt von Menschen mit riesigen Namensschildern frühmorgens freudigst begrüßt wurde, habe er sich kurz gefragt, ob er in einer Sekte gelandet sei.
Der Zweifel hielt an – bis zu dem Punkt in der Tagesordnung, an dem die Teilnehmer viele kleine, bunte Zettel mit Geschäftsempfehlungen austauschten. 78 Zettel waren es, und die Christian Fischer (l.), Roland Haindl (m.) und Stephan Hoyos (r.) schauen, dass donnerstags die 20-Punkte-Agenda eingehalten wird. darauf versprochenen Geschäftsabschlüsse waren mehrere tausend Euro wert, das weiß Mayer noch. „Da habe ich mir gedacht, das bringe ich nach Österreich. Ich weiß zwar nicht wie, aber ich werde es tun.“2004 eröffnete er die erste Gruppe. Bis Ende 2016 sind daraus 440 im deutschsprachigen Raum geworden. Für die Dauer einer Aufzugfahrt. Im Resselpark hat sich der Tumult an der Kaffeemaschine mittlerweile gelegt. Gruppendirektor Roland Haindl eröffnet mit einem „Guten Morgen, Chapter Schubert“die Sitzung. Applaus und „Guten Morgen“-Rufe kommen aus dem Halbkreis zurück. Applaudiert wird hier oft und gern. Auch beim da- rauffolgenden Punkt des Treffens, der Vorstellungsrunde. Jeder muss sich und sein Geschäft jede Woche 60 Sekunden lang präsentieren. So wollen es die internationalen Statuten, egal ob man in Stockholm, Delhi oder Dallas teilnimmt. Das muss man mögen, aber irgendwann könnten dadurch auch die unbedarftesten Redner aus dem Stegreif eine Präsentation halten, sagt Haindl. Österreich-Direktor Mayer vergleicht es mit einem Elevator Pitch. Die kennt man eigentlich von Start-upShows, wo junge IT-Studenten die Investoren von der Grandiosität ihrer Erfindung überzeugen müssen. Da wie dort laute die Frage: Was kann ich in die Dauer einer Fahrstuhlfahrt packen, um mit meinem Geschäftsmodell im Gedächtnis haften zu bleiben? Wie eine Internetbörse – nur analog. Die Antwort ist an diesem Donnerstag vielfältig: ein Gärtner, ein Filmemacher, ein Kaffeemaschinenaufsteller, ein Tischler, ein Winzer, ein Grafiker treten nacheinander vor, um ihre Fähigkeiten und Wünsche zu umreißen. Es ist wie auf einer Internetbörse – nur analog: Ich habe, ich brauche, ich suche. Von einem zusammenbrechenden Dachausbau für einen TV–Spot bis zum Kontakt zu einer konkreten Immobilienverwaltungsfirma ist alles dabei. Die Slogans sind teilweise schon so eingespielt, dass die Gruppe sie routiniert im Chor vervollständigt. Danach gibt es stets Applaus.
»Gute Idee, aber ihr kriegt um sieben keinen Unternehmer hinter dem Ofen hervor.«
Tischlermeister Thomas Huber ist seit neun Jahren dabei. Er hat dementsprechend viele Elevator Pitches hinter sich gebracht. Fehlen wird nur dreimal pro Halbjahr entschuldigt – der Anwesenheitsgrad wird mitgemessen – dann ist man draußen. Auch das steht in den internationalen Regeln. Das nehme er bei dem potenziellen Geschäft gern in Kauf. „Das sind lauter Außendienstmitarbeiter, die ich nicht bezahlen muss“, sagt Huber. Für ein Fünftel mehr Umsatz, 200.000 Euro, im Jahr gehe er gern einmal die Woche mit netten Leuten frühstücken. Und dann sagt er den entscheidenden Satz, den man früher oder später von jedem BNI-Mitglied hört: „Wer gern hilft, ist hier gut aufgehoben.“ „Wir sind nicht der ÖAMTC.“Über allem schwebt an diesem Morgen im Resselpark der von Misner in den Achtzigern erfundene Slogan: „Givers gain“. Die gesamte Organisation basiert auf der Faustregel zwischenmenschlicher Beziehungen: Man macht nicht leicht Geschäfte mit jemandem, den man
»Das sind lauter Außendienstmitarbeiter, die ich nicht bezahlen muss.«
nicht kennt und schätzt. Daher ist es zweckdienlich, dass dieses Gegenüber mir bereits einen Gefallen erwiesen hat. „Ohne Provision“, betont Mayer. „Funktioniert das für alle?“, fragt er und gibt die Antwort: „Nein. Manche ändern ihre Einstellung, wenn sie hier sind, andere nicht. Die dürfen auch gehen. Wir sind nicht der ÖAMTC, wo du die Mitgliedschaft immer automatisch verlängern kannst.“Um weniger generös veranlagte Bewerber auszufiltern, prüft sie der Mitgliederausschuss der