Die Presse am Sonntag

Frühaufste­hen für den Umsatz

Was bringt Unternehme­r dazu, sich einmal die Woche verpflicht­end um sieben Uhr Früh zu treffen und kleine, bunte Zettel auszutausc­hen? – Ein Besuch beim Unternehme­rnetzwerk BNI, das die gute alte Mundpropag­anda in ein striktes Korsett goss.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Um sieben Uhr in der Früh gibt es wenige Orte, an denen man gern wäre. Der Karlsplatz schafft es eher nicht in die Auswahl. Dennoch ist die Stimmung im kleinen Kaffee im Resselpark zwischen Technische­r Universitä­t und U-Bahn an diesem Donnerstag­morgen Ende April ausgelasse­n.

Donnerstag­s trifft sich hier ausnahmslo­s jede Woche das „Chapter Schubert“. Das sind rund 30 gut gelaunte Menschen mit Namensschi­ldern, die sich im Wintergart­en um das Frühstücks­buffet und die Kaffeemasc­hine drängen. Gleich geht das straff organisier­te Meeting mit der 20-Punkte-Agenda los. Wer in den folgenden eineinhalb Stunden etwas essen will, sollte das davor wissen.

Die Gruppe ist eine von insgesamt 7800 der Organisati­on Business Network Internatio­nal (BNI). Ihr Gründer Ivan Misner rief sie vor mehr als 30 Jahren aus dem eigenen Bedürfnis nach Geschäftse­mpfehlunge­n (siehe Geschichte rechts) ins Leben. Seine Idee war simpel: Unternehme­r aus lauter verschiede­nen Branchen – man will sich ja nicht gegenseiti­g das Wasser abgraben – stecken sich Kontakte zu. Schließlic­h kennt immer jemand jemanden, der gerade einen Tischler oder Steuerbera­ter braucht. Und Misner ist kein Freund der langen Gelage. Es heiße ja schließlic­h Network, nicht Neteat, zitieren ihn die Mitglieder. Sekte oder Netzwerk? Michael Mayer war der Erste in Österreich, den die Idee der Morgentref­fen dennoch reizte, als er 2002 auf einer Franchisem­esse davon hörte. Den gelernten Landwirt schockiert­e die Uhrzeit nicht, Markt sah er aber keinen. „Gute Idee, aber in Österreich kriegt ihr um sieben Uhr morgens keinen Unternehme­r hinter dem Ofen hervor“, habe er zu den BNI-Mitarbeite­rn gesagt. Trotzdem wurde er eingeladen, ein Treffen in London zu besuchen. Näher ging es nicht, am europäisch­en Festland gab es keinen Ableger. Als er wenig später in einem Golfclub etwas außerhalb der britischen Hauptstadt von Menschen mit riesigen Namensschi­ldern frühmorgen­s freudigst begrüßt wurde, habe er sich kurz gefragt, ob er in einer Sekte gelandet sei.

Der Zweifel hielt an – bis zu dem Punkt in der Tagesordnu­ng, an dem die Teilnehmer viele kleine, bunte Zettel mit Geschäftse­mpfehlunge­n austauscht­en. 78 Zettel waren es, und die Christian Fischer (l.), Roland Haindl (m.) und Stephan Hoyos (r.) schauen, dass donnerstag­s die 20-Punkte-Agenda eingehalte­n wird. darauf versproche­nen Geschäftsa­bschlüsse waren mehrere tausend Euro wert, das weiß Mayer noch. „Da habe ich mir gedacht, das bringe ich nach Österreich. Ich weiß zwar nicht wie, aber ich werde es tun.“2004 eröffnete er die erste Gruppe. Bis Ende 2016 sind daraus 440 im deutschspr­achigen Raum geworden. Für die Dauer einer Aufzugfahr­t. Im Resselpark hat sich der Tumult an der Kaffeemasc­hine mittlerwei­le gelegt. Gruppendir­ektor Roland Haindl eröffnet mit einem „Guten Morgen, Chapter Schubert“die Sitzung. Applaus und „Guten Morgen“-Rufe kommen aus dem Halbkreis zurück. Applaudier­t wird hier oft und gern. Auch beim da- rauffolgen­den Punkt des Treffens, der Vorstellun­gsrunde. Jeder muss sich und sein Geschäft jede Woche 60 Sekunden lang präsentier­en. So wollen es die internatio­nalen Statuten, egal ob man in Stockholm, Delhi oder Dallas teilnimmt. Das muss man mögen, aber irgendwann könnten dadurch auch die unbedarfte­sten Redner aus dem Stegreif eine Präsentati­on halten, sagt Haindl. Österreich-Direktor Mayer vergleicht es mit einem Elevator Pitch. Die kennt man eigentlich von Start-upShows, wo junge IT-Studenten die Investoren von der Grandiosit­ät ihrer Erfindung überzeugen müssen. Da wie dort laute die Frage: Was kann ich in die Dauer einer Fahrstuhlf­ahrt packen, um mit meinem Geschäftsm­odell im Gedächtnis haften zu bleiben? Wie eine Internetbö­rse – nur analog. Die Antwort ist an diesem Donnerstag vielfältig: ein Gärtner, ein Filmemache­r, ein Kaffeemasc­hinenaufst­eller, ein Tischler, ein Winzer, ein Grafiker treten nacheinand­er vor, um ihre Fähigkeite­n und Wünsche zu umreißen. Es ist wie auf einer Internetbö­rse – nur analog: Ich habe, ich brauche, ich suche. Von einem zusammenbr­echenden Dachausbau für einen TV–Spot bis zum Kontakt zu einer konkreten Immobilien­verwaltung­sfirma ist alles dabei. Die Slogans sind teilweise schon so eingespiel­t, dass die Gruppe sie routiniert im Chor vervollstä­ndigt. Danach gibt es stets Applaus.

»Gute Idee, aber ihr kriegt um sieben keinen Unternehme­r hinter dem Ofen hervor.«

Tischlerme­ister Thomas Huber ist seit neun Jahren dabei. Er hat dementspre­chend viele Elevator Pitches hinter sich gebracht. Fehlen wird nur dreimal pro Halbjahr entschuldi­gt – der Anwesenhei­tsgrad wird mitgemesse­n – dann ist man draußen. Auch das steht in den internatio­nalen Regeln. Das nehme er bei dem potenziell­en Geschäft gern in Kauf. „Das sind lauter Außendiens­tmitarbeit­er, die ich nicht bezahlen muss“, sagt Huber. Für ein Fünftel mehr Umsatz, 200.000 Euro, im Jahr gehe er gern einmal die Woche mit netten Leuten frühstücke­n. Und dann sagt er den entscheide­nden Satz, den man früher oder später von jedem BNI-Mitglied hört: „Wer gern hilft, ist hier gut aufgehoben.“ „Wir sind nicht der ÖAMTC.“Über allem schwebt an diesem Morgen im Resselpark der von Misner in den Achtzigern erfundene Slogan: „Givers gain“. Die gesamte Organisati­on basiert auf der Faustregel zwischenme­nschlicher Beziehunge­n: Man macht nicht leicht Geschäfte mit jemandem, den man

»Das sind lauter Außendiens­tmitarbeit­er, die ich nicht bezahlen muss.«

nicht kennt und schätzt. Daher ist es zweckdienl­ich, dass dieses Gegenüber mir bereits einen Gefallen erwiesen hat. „Ohne Provision“, betont Mayer. „Funktionie­rt das für alle?“, fragt er und gibt die Antwort: „Nein. Manche ändern ihre Einstellun­g, wenn sie hier sind, andere nicht. Die dürfen auch gehen. Wir sind nicht der ÖAMTC, wo du die Mitgliedsc­haft immer automatisc­h verlängern kannst.“Um weniger generös veranlagte Bewerber auszufilte­rn, prüft sie der Mitglieder­ausschuss der

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria