Der Vater des Morgen-Anachronismus
Ivan Misner verlor vor mehr als 30 Jahren seinen wichtigsten Kunden und die Hälfte des Umsatzes. Er gründete eine Art Selbsthilfegruppe für Unternehmer. Heute hat sein Netzwerk BNI mehr als 200.000 Mitglieder.
Gruppe auf ihre fachlichen und – die Betonung ist BNI wichtig – menschlichen Kompetenzen.
Der Teil mit dem Geben erschließt sich einem erst gegen Ende des morgendlichen Treffens: Nun werden die gleichen Zettelchen verteilt, die Mayer 2002 zum ersten Mal in London gesehen hatte. Empfehlungen, die norma- lerweise formlos den Besitzer wechseln, werden hier fein säuberlich notiert: Name, Kontaktdaten, Grund des Anrufs, erwarteter Umsatz. Alles auf zwei Durchschlägen, damit das Netzwerk nachrechnen kann, wie viel versprochen und nachträglich auch bestätigt wurde. „Man kann sagen, das ist Bürokratismus, aber andererseits macht es das messbar“, so Mayer. Nach eigenen Angaben haben die etwas mehr als 2000 österreichischen BNI-Mitglieder im Vorjahr 82.000 Empfehlungen ausgetauscht und so 129 Mio. Euro erwirtschaftet.
Und was hat das Netzwerk selbst davon? „Wir sind eine gewinnorientierte Firma und verdienen Geld mit BNI. Sonst würde es uns nicht mehr geben“, sagt Mayer, der die Franchiserechte für Österreich hält und zur Hälfte an der heimischen BNI-GmbH beteiligt ist. Konkret finanziert diese sich durch die jährlichen Mitgliedsbeiträge in Höhe von 925 Euro. Gelder von Interessensverbänden, der Kirche, Kam- mern oder Parteien fließen keine, betont der Österreich-Chef. Die Betonung ist ihm in Zeiten, in denen Empfehlungen schnell ein Hautgout von Freunderlwirtschaft oder politischer Bevorzugung anhaftet, besonders wichtig. Handwerker gefragt. Im Resselpark haben es die Handwerker an diesem Donnerstagmorgen eindeutig leichter gehabt, Geschäftskontakte für sich zu sammeln, als die Filmschaffenden oder Architekten. Die Zettel fliegen hin und her zwischen den Tischlern, Installateuren, Fliesenlegern und Baumeistern. Da ein Rohr zu reparieren, dort ein Boden zu verfliesen. Der Kontakt zu einem Hauseigentümer mit desolatem Dachausbau war leider nicht dabei. 44.000 Euro wurden eingeworfen, verkündet der Schatzmeister abschließend. Dann entlässt Haindl die Runde: „Wir schließen mit dem Motto: Einer für alle.“„Alle für einen“, tönt es zurück. Ein letztes Mal Applaus, dann machen sich die Teilnehmer bereit zum Aufbruch. Inzwischen ist es halb neun geworden – Zeit, sich unter die arbeitenden Massen am Karlsplatz zu mischen. Ivan Misner ist lange genug im Geschäft, um jede Interviewfrage mit einer parabelhaften Lieblingsgeschichte zu beantworten. Wenn man den Gründer des Unternehmernetzwerks BNI (Business Network International) fragt, wie er 211.000 Unternehmer rund um die Welt in Zeiten von digitalen Plattformen wie Linkedin und Facebook dazu bringt, sich um sieben Uhr morgens zu treffen, geht sie so:
Vor etwa fünf Jahren traf er einen schwedischen Journalisten. „Noch ein Kind“sei das gewesen, etwa 22 Jahre alt. Und dieses Kind habe dem höflichen, weißhaarigen Herren aus Kalifornien die ersten fünf Minuten des Gesprächs ohne Pause zugesetzt: Sein Unternehmernetzwerk sei die Kutsche des 21. Jahrhunderts und müsse wie diese und jeder andere Anachronismus früher oder später sterben. „Facebook ist eigentlich alles, was man braucht“, sagte der Journalist. „Warum haben Sie sich eine Stunde durch den Verkehr zu mir gestaut?“, fragte ihn Misner. Der Journalist habe ohne mit der Wimper zu zucken geantwortet: „Ein persönliches Gespräch ist immer besser.“
An diesem Maitag sitzt der „Vater des modernen Networkings“, wie ihn CNN nennt, im vierten Stock des Hotels Savoyen am Rennweg. In seiner Suite mit den dicken Teppichen im vierten Stock bekommt man nichts von den hunderten BNI-Mitgliedern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Erdgeschoß mit, die zum ersten Wienbesuch ihres Gründers in die Stadt gepilgert sind. Vom Schloss Belvedere nebenan wird Misner nichts sehen. Dafür ist sein Terminkalender zu dicht, sein Nimbus etwas zu groß. Heute tingelt der BNI-Gründer als wandelnde Marke durch die Welt, immer unterwegs zu Konferenzen, Pressegesprächen oder der Präsentation seines nächsten Ratgeberbuchs. Selbsthilfegruppe aus Kalifornien. Dabei begann alles im Kleinen. 1984 verlor der 27-jährige Unternehmensberater Misner seinen größten Klienten und damit über Nacht die Hälfte seines Umsatzes. Er trommelte Freunde und Bekannte zusammen: Sie, die alle aus verschiedenen Berufszweigen kamen, sollten sich gegenseitig wöchentliche Geschäftsempfehlungen geben und so die eigenen Umsätze und die der anderen ankurbeln. Nach einem Jahr gab es in Kalifornien zwanzig seiner Gruppen, „Chapter“genannt. Es war ein uner-
Ivan Misner
gründete 1985 in Kalifornien das weltweite Netzwerk für Geschäftsempfehlungen BNI. Misner unterrichtete an der kalifornischen Universität La Verne und schrieb 21 Ratgeber für erfolgreiches Networking, darunter „New York Times“- und „Wall Street Journal“-Bestseller. Heute reist er hauptsächlich als Träger der Marke BNI zu Konferenzen und Kongressen auf der ganzen Welt. Ivan Misner lebt in Austin, Texas. warteter Schneeballeffekt, sagt Misner. „Ich war jung, ich wusste nicht, wie man netzwerkt, aber ich dachte, alle anderen wissen es.“Als er erkannte, dass das Gegenteil der Fall war und immer mehr Menschen beitraten, verabschiedete er sich von seinem EinMann-Beratungsbetrieb und rollte das Modell international aus. Heute gibt es 7.800 Unternehmergruppen.
Misners Lieblingssatz lautet „Givers gain.“Wer gibt, gewinnt. Ihn hat er sich sogar patentieren lassen. Die Grundregel vom Geben und Nehmen
»Wir verdienen Geld mit BNI. Sonst würde es uns nicht mehr geben.« »Ich war jung. Ich wusste nicht, wie man netzwerkt, aber ich dachte, alle anderen schon.«
bringe einem nur keiner am College oder auf der Universität bei – „zumindest nicht in meinen zehn Jahren im US-Bildungssystem“. Das wisse er, weil er vor der Gründung von BNI selbst viele Networkingorganisationen durchprobiert habe. Bei den einen wurde ihm zu viel geplaudert, getrunken und gegessen. Bei den anderen sei es ausschließlich ums Geschäft gegangen. Das hätte sich angefühlt wie in einem Raum mit vielen Staubsaugervertretern, die verzweifelt etwas verkaufen wollen. Unter Bauern. Vor einigen Jahren hielt Misner einen Vortrag in London. 900 Menschen saßen im Saal und er fragte: „Wer von Ihnen ist heute hier, um etwas zu verkaufen?“Alle Arme gingen hoch. „Wer von Ihnen ist hier, um heute möglicherweise etwas zu kaufen?“Stille. Genau da liege das Problem, sagt der US-Amerikaner und schließt mit einer weiteren, gern herangezogenen Metapher: Networking habe mehr mit Landwirtschaft als Jagd zu tun. Erst wenn das Vertrauen beim Gegenüber hergestellt sei, könne man Geschäfte machen. Was nach einer sozialen Basiskompetenz klingt, dürfte es Misners Erfahrung und den Zuwachsraten nach nicht unbedingt sein.
Aber traf die digitale Revolution die morgendlichen BNI-Runden nicht, wie es der junge schwedische Journalist annahm? Als das Internet die breite Mittelschicht erreichte – ungefähr 1997 – sei die Zahl der Gruppen in zehn Jahren von 500 auf 5000 explodiert, so der Gründer. Misner: „Das Internet hat seine Wirkung auf uns, aber im positiven Sinn.“