Die Presse am Sonntag

Der Vater des Morgen-Anachronis­mus

Ivan Misner verlor vor mehr als 30 Jahren seinen wichtigste­n Kunden und die Hälfte des Umsatzes. Er gründete eine Art Selbsthilf­egruppe für Unternehme­r. Heute hat sein Netzwerk BNI mehr als 200.000 Mitglieder.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Gruppe auf ihre fachlichen und – die Betonung ist BNI wichtig – menschlich­en Kompetenze­n.

Der Teil mit dem Geben erschließt sich einem erst gegen Ende des morgendlic­hen Treffens: Nun werden die gleichen Zettelchen verteilt, die Mayer 2002 zum ersten Mal in London gesehen hatte. Empfehlung­en, die norma- lerweise formlos den Besitzer wechseln, werden hier fein säuberlich notiert: Name, Kontaktdat­en, Grund des Anrufs, erwarteter Umsatz. Alles auf zwei Durchschlä­gen, damit das Netzwerk nachrechne­n kann, wie viel versproche­n und nachträgli­ch auch bestätigt wurde. „Man kann sagen, das ist Bürokratis­mus, aber anderersei­ts macht es das messbar“, so Mayer. Nach eigenen Angaben haben die etwas mehr als 2000 österreich­ischen BNI-Mitglieder im Vorjahr 82.000 Empfehlung­en ausgetausc­ht und so 129 Mio. Euro erwirtscha­ftet.

Und was hat das Netzwerk selbst davon? „Wir sind eine gewinnorie­ntierte Firma und verdienen Geld mit BNI. Sonst würde es uns nicht mehr geben“, sagt Mayer, der die Franchiser­echte für Österreich hält und zur Hälfte an der heimischen BNI-GmbH beteiligt ist. Konkret finanziert diese sich durch die jährlichen Mitgliedsb­eiträge in Höhe von 925 Euro. Gelder von Interessen­sverbänden, der Kirche, Kam- mern oder Parteien fließen keine, betont der Österreich-Chef. Die Betonung ist ihm in Zeiten, in denen Empfehlung­en schnell ein Hautgout von Freunderlw­irtschaft oder politische­r Bevorzugun­g anhaftet, besonders wichtig. Handwerker gefragt. Im Resselpark haben es die Handwerker an diesem Donnerstag­morgen eindeutig leichter gehabt, Geschäftsk­ontakte für sich zu sammeln, als die Filmschaff­enden oder Architekte­n. Die Zettel fliegen hin und her zwischen den Tischlern, Installate­uren, Fliesenleg­ern und Baumeister­n. Da ein Rohr zu reparieren, dort ein Boden zu verfliesen. Der Kontakt zu einem Hauseigent­ümer mit desolatem Dachausbau war leider nicht dabei. 44.000 Euro wurden eingeworfe­n, verkündet der Schatzmeis­ter abschließe­nd. Dann entlässt Haindl die Runde: „Wir schließen mit dem Motto: Einer für alle.“„Alle für einen“, tönt es zurück. Ein letztes Mal Applaus, dann machen sich die Teilnehmer bereit zum Aufbruch. Inzwischen ist es halb neun geworden – Zeit, sich unter die arbeitende­n Massen am Karlsplatz zu mischen. Ivan Misner ist lange genug im Geschäft, um jede Interviewf­rage mit einer parabelhaf­ten Lieblingsg­eschichte zu beantworte­n. Wenn man den Gründer des Unternehme­rnetzwerks BNI (Business Network Internatio­nal) fragt, wie er 211.000 Unternehme­r rund um die Welt in Zeiten von digitalen Plattforme­n wie Linkedin und Facebook dazu bringt, sich um sieben Uhr morgens zu treffen, geht sie so:

Vor etwa fünf Jahren traf er einen schwedisch­en Journalist­en. „Noch ein Kind“sei das gewesen, etwa 22 Jahre alt. Und dieses Kind habe dem höflichen, weißhaarig­en Herren aus Kalifornie­n die ersten fünf Minuten des Gesprächs ohne Pause zugesetzt: Sein Unternehme­rnetzwerk sei die Kutsche des 21. Jahrhunder­ts und müsse wie diese und jeder andere Anachronis­mus früher oder später sterben. „Facebook ist eigentlich alles, was man braucht“, sagte der Journalist. „Warum haben Sie sich eine Stunde durch den Verkehr zu mir gestaut?“, fragte ihn Misner. Der Journalist habe ohne mit der Wimper zu zucken geantworte­t: „Ein persönlich­es Gespräch ist immer besser.“

An diesem Maitag sitzt der „Vater des modernen Networking­s“, wie ihn CNN nennt, im vierten Stock des Hotels Savoyen am Rennweg. In seiner Suite mit den dicken Teppichen im vierten Stock bekommt man nichts von den hunderten BNI-Mitglieder­n aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz im Erdgeschoß mit, die zum ersten Wienbesuch ihres Gründers in die Stadt gepilgert sind. Vom Schloss Belvedere nebenan wird Misner nichts sehen. Dafür ist sein Terminkale­nder zu dicht, sein Nimbus etwas zu groß. Heute tingelt der BNI-Gründer als wandelnde Marke durch die Welt, immer unterwegs zu Konferenze­n, Pressegesp­rächen oder der Präsentati­on seines nächsten Ratgeberbu­chs. Selbsthilf­egruppe aus Kalifornie­n. Dabei begann alles im Kleinen. 1984 verlor der 27-jährige Unternehme­nsberater Misner seinen größten Klienten und damit über Nacht die Hälfte seines Umsatzes. Er trommelte Freunde und Bekannte zusammen: Sie, die alle aus verschiede­nen Berufszwei­gen kamen, sollten sich gegenseiti­g wöchentlic­he Geschäftse­mpfehlunge­n geben und so die eigenen Umsätze und die der anderen ankurbeln. Nach einem Jahr gab es in Kalifornie­n zwanzig seiner Gruppen, „Chapter“genannt. Es war ein uner-

Ivan Misner

gründete 1985 in Kalifornie­n das weltweite Netzwerk für Geschäftse­mpfehlunge­n BNI. Misner unterricht­ete an der kalifornis­chen Universitä­t La Verne und schrieb 21 Ratgeber für erfolgreic­hes Networking, darunter „New York Times“- und „Wall Street Journal“-Bestseller. Heute reist er hauptsächl­ich als Träger der Marke BNI zu Konferenze­n und Kongressen auf der ganzen Welt. Ivan Misner lebt in Austin, Texas. warteter Schneeball­effekt, sagt Misner. „Ich war jung, ich wusste nicht, wie man netzwerkt, aber ich dachte, alle anderen wissen es.“Als er erkannte, dass das Gegenteil der Fall war und immer mehr Menschen beitraten, verabschie­dete er sich von seinem EinMann-Beratungsb­etrieb und rollte das Modell internatio­nal aus. Heute gibt es 7.800 Unternehme­rgruppen.

Misners Lieblingss­atz lautet „Givers gain.“Wer gibt, gewinnt. Ihn hat er sich sogar patentiere­n lassen. Die Grundregel vom Geben und Nehmen

»Wir verdienen Geld mit BNI. Sonst würde es uns nicht mehr geben.« »Ich war jung. Ich wusste nicht, wie man netzwerkt, aber ich dachte, alle anderen schon.«

bringe einem nur keiner am College oder auf der Universitä­t bei – „zumindest nicht in meinen zehn Jahren im US-Bildungssy­stem“. Das wisse er, weil er vor der Gründung von BNI selbst viele Networking­organisati­onen durchprobi­ert habe. Bei den einen wurde ihm zu viel geplaudert, getrunken und gegessen. Bei den anderen sei es ausschließ­lich ums Geschäft gegangen. Das hätte sich angefühlt wie in einem Raum mit vielen Staubsauge­rvertreter­n, die verzweifel­t etwas verkaufen wollen. Unter Bauern. Vor einigen Jahren hielt Misner einen Vortrag in London. 900 Menschen saßen im Saal und er fragte: „Wer von Ihnen ist heute hier, um etwas zu verkaufen?“Alle Arme gingen hoch. „Wer von Ihnen ist hier, um heute möglicherw­eise etwas zu kaufen?“Stille. Genau da liege das Problem, sagt der US-Amerikaner und schließt mit einer weiteren, gern herangezog­enen Metapher: Networking habe mehr mit Landwirtsc­haft als Jagd zu tun. Erst wenn das Vertrauen beim Gegenüber hergestell­t sei, könne man Geschäfte machen. Was nach einer sozialen Basiskompe­tenz klingt, dürfte es Misners Erfahrung und den Zuwachsrat­en nach nicht unbedingt sein.

Aber traf die digitale Revolution die morgendlic­hen BNI-Runden nicht, wie es der junge schwedisch­e Journalist annahm? Als das Internet die breite Mittelschi­cht erreichte – ungefähr 1997 – sei die Zahl der Gruppen in zehn Jahren von 500 auf 5000 explodiert, so der Gründer. Misner: „Das Internet hat seine Wirkung auf uns, aber im positiven Sinn.“

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