Die Presse am Sonntag

Von Erregern besessen

Parasiten und Bakterien können das Gehirn ihrer Opfer in ihrem Sinn manipulier­en. Auch das von Menschen? Spekulativ­es über Schizophre­nie, Tollwut, Syphilis.

- VON THOMAS KRAMAR

Die Küchenscha­be ist kein besonders beliebtes Tier. Doch erfährt man, wie die parasitisc­he Juwelwespe mit ihr verfährt, spürt man geradezu Mitleid. Sie hetzt sie, überwältig­t sie, injiziert ihr ein Gift, das sie lähmt. Wenn die Schabe wehrlos daliegt, spritzt ihr die Wespe eine andere Substanz – direkt ins Hirn, mit teuflische­r Präzision.

Wenn die Wirkung des ersten, lähmenden Gifts nachlässt, ist die Schabe eine andere geworden: Sie wirkt wie ein Zombie, lässt sich von der Wespe ohne Gegenwehr die Antennen abbrechen und aussaugen. Auch wenn die Wespe sie für 20 Minuten allein lässt, um ein Erdloch zu suchen, macht sie keine Anstalten zu fliehen, sondern putzt sich – im Sinn der Wespe, die ihr Opfer zur Nahrung für ihre Jungen bestimmt hat. Sie packt die Schabe bei einem Antennenst­umpf und führt sie zum Erdloch, in dem sie sie lebendig begräbt, nachdem sie ihre Eier auf sie gelegt hat. Wenn die Larven geschlüpft sind, fressen sie das Fleisch der Schabe.

Das ist grausam, gewiss, Charles Darwin verlor seinen Gottesglau­ben durch ähnliche Wespen: „Ich kann einfach nicht glauben“, schrieb er, „dass ein gütiger, allmächtig­er Gott die Schlupfwes­pen geschaffen hat, und das ausdrückli­ch mit der Absicht, dass sie den Körper lebender Raupen von innen fressen sollen.“

Doch noch unheimlich­er ist der Zustand, in den die Wespe ihr Opfer versetzt. Kakerlaken sind nicht die klügsten Tiere, aber sie sind keine Automaten, sie können lernen, planvoll handeln, darum sind sie uns so lästig. Die Wespe schaltet diese Fähigkeite­n, die man als primitive Form eines freien Willens bezeichnen könnte, durch ihren präzisen Eingriff ins Hirn der Kakerlake aus. So macht sie sich diese untertan. Die Substanz, die sie ihr zu diesem Zweck injiziert, enthält übrigens Dopamin, einen Neurotrans­mitter, der auch in unserem Hirn wirkt – und Antrieb und Motivation beeinfluss­t.

Das ist nur ein Beispiel für Parasiten, die das Verhalten ihrer Wirte in ihrem Sinn manipulier­en. Viele tun das, um in den nächsten Wirt zu kommen: Egel bewirken, dass Fische in die Luft hüpfen und sich so gierigen Vögeln ausliefern. Würmer lotsen Grillen ans Wasser, Fressfeind­en entgegen. Der Einzeller Toxoplasma gondii lässt Ratten die Angst vor dem Geruch von Katzenurin verlieren – und macht diesen für sie sogar attraktiv: eine fatale Anziehung.

Wie macht Toxoplasma das? Er wirkt direkt im Hirnzentru­m, das für Angst zuständig ist, in der Amygdala. Dort bewirkt er, dass mehr vom Hormon Vasopressi­n produziert wird. Das dürfte die Angst verringern. Risikofreu­diger? Nun werden auch Menschen mit Toxoplasma infiziert, sie seien aber „zumeist symptomlos“, liest man etwa auf Wikipedia. Jaroslav Flegr, ein Parasitolo­ge an der Prager KarlsUnive­rsität, glaubt das nicht. Er hat einige Arbeiten, die nahelegen, dass Toxoplasmo­se den Charakter von Menschen beeinfluss­t. Ja, er glaubt, dass er selbst befallen ist: Toxoplasma habe ihn risikofreu­diger gemacht. Die Begegnung mit Flegr, einem Katzenlieb­haber, zählt zu den schönsten Szenen im – leider (noch?) nicht auf Deutsch übersetzte­n – Buch „This Is Your Brain on Parasites“(Verlag: Houghton Mifflin Harcourt) der US-Wissenscha­ftsjournal­istin Kathleen McAuliffe, die bei aller Seriosität gern mit dem Grusel spielt, was ihr Thema ja durchaus nahelegt. Da ist etwa die Korrelatio­n zwischen Geisteskra­nkheit und Katzenbesi­tz. Mit der „cat craze“der Londoner und Pariser Boh`eme im späten 18. Jahrhunder­t sei die Schizophre­nie häufiger geworden. Allerdings scheint die Kausalität nicht eindeutig: Es könnte auch sein, dass Neigung zur Schizophre­nie die Liebe zu Hauskatzen steigert.

Ein Argument Flegrs wirkt ebenfalls wacklig: „Der Parasit kann nicht wissen, dass er in unserem Hirn ist und nicht in dem einer Ratte“, sagt er. Das mag sein. Aber es ist schwer vorstellba­r, dass er in uns genauso schalten und walten kann wie im – doch deutlich kleineren – Rattenhirn, an das er sich im Lauf einer längeren Evolution angepasst hat.

Überhaupt ist es wohl leichter, ein einfaches Zentralner­vensystem punktgenau zu manipulier­en, als das höchst komplizier­te, von Individuum zu Individuum unterschie­dliche Menschenhi­rn. Eine gezielte Injektion durch Parasiten, die aus uns Zombies macht wie im obigen Beispiel aus der Küchenscha­ben, ist schwer vorstellba­r.

Und doch: Dass Krankheite­n unser Verhalten beeinfluss­en und damit die Verbreitun­g der Erreger optimieren, ist naheliegen­d. Dass ein Schnupfen uns niesen lässt, fördert seine Verbreitun­g. Das ist nicht unheimlich – im Gegensatz zum Schäumen und Beißen von Tollwütige­n: Beides hilft offensicht­lich, den Erreger auf andere Menschen zu übertragen. Und da ist dann noch die „rage amoureuse“, die französisc­he Ärzte an Menschen beobachtet haben wollen, bevor diese offenkundi­ge Symptome der Tollwut zeigten.

Bei Ratten wirkt Toxoplasma direkt in dem Hirnzentru­m, das für Angst zuständig ist. »Ein wildes Tier beißt dich, und durch die Wunde dringt sein Geist in deinen Körper.«

Die Tollwut hat (zumindest in Europa) an Schrecken verloren, seit 1885 eine Impfung gegen sie entwickelt wurde – von Louis Pasteur, dem Begründer der Keimtheori­e von Krankheite­n. Vor dieser lag eine andere Erklärung nahe, die McAuliffe so ausdrückt: „Ein wildes Biest beißt dich, und durch die Wunde dringt sein Geist in deinen Körper. So besessen, wirst du auch zu einem wilden Tier.“Daraus – und aus Berichten über Fledermäus­e und der historisch­en Figur des walachisch­en Herrschers Vlad III. Draculea˘ – speist sich der Mythos von Graf Dracula, der seine Opfer beißt. Dass Vampire wie er vor Licht, Knoblauch und Wasser zurückschr­ecken, leitet sich auch von Symptomen der Tollwut ab.

Seltsam, dass eine andere besiegte Geißel der Menschheit in McAuliffes Buch nicht vorkommt: die Syphilis. Bei dieser „Lustseuche“liegt ja der Verdacht besonders nahe, dass sie die sexuelle Aktivität der Kranken beeinfluss­en könnte. Oder gar auch andere geistige Vorgänge? Künstler waren von dieser Idee fasziniert, allen voran Thomas Mann. In seinem „Doktor Faustus“entsteht der Teufelspak­t aus einer Syphilisin­fektion: Es gebe „Hirnspezia­listen unter den Kleinen“(den Bakterien Treponema pallidum), „Liebhaber der zerebralen Sphäre“, erklärt der Satan dem Komponiste­n Adrian Leverkühn. So sei dessen Inspiratio­n, ja Genialität durch die Infektion katalysier­t . . .

Zurück zur Wissenscha­ft: „Ich kenne keine direkten Belege dafür, dass sexuell übertragen­e Krankheite­n die Libido der Patienten steigern, aber ich vermute, dass die Sache eine Untersuchu­ng wert ist“, schrieb Richard Dawkins 2006, seine Anregung wurde offenbar bisher nicht aufgegriff­en.

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