Von Erregern besessen
Parasiten und Bakterien können das Gehirn ihrer Opfer in ihrem Sinn manipulieren. Auch das von Menschen? Spekulatives über Schizophrenie, Tollwut, Syphilis.
Die Küchenschabe ist kein besonders beliebtes Tier. Doch erfährt man, wie die parasitische Juwelwespe mit ihr verfährt, spürt man geradezu Mitleid. Sie hetzt sie, überwältigt sie, injiziert ihr ein Gift, das sie lähmt. Wenn die Schabe wehrlos daliegt, spritzt ihr die Wespe eine andere Substanz – direkt ins Hirn, mit teuflischer Präzision.
Wenn die Wirkung des ersten, lähmenden Gifts nachlässt, ist die Schabe eine andere geworden: Sie wirkt wie ein Zombie, lässt sich von der Wespe ohne Gegenwehr die Antennen abbrechen und aussaugen. Auch wenn die Wespe sie für 20 Minuten allein lässt, um ein Erdloch zu suchen, macht sie keine Anstalten zu fliehen, sondern putzt sich – im Sinn der Wespe, die ihr Opfer zur Nahrung für ihre Jungen bestimmt hat. Sie packt die Schabe bei einem Antennenstumpf und führt sie zum Erdloch, in dem sie sie lebendig begräbt, nachdem sie ihre Eier auf sie gelegt hat. Wenn die Larven geschlüpft sind, fressen sie das Fleisch der Schabe.
Das ist grausam, gewiss, Charles Darwin verlor seinen Gottesglauben durch ähnliche Wespen: „Ich kann einfach nicht glauben“, schrieb er, „dass ein gütiger, allmächtiger Gott die Schlupfwespen geschaffen hat, und das ausdrücklich mit der Absicht, dass sie den Körper lebender Raupen von innen fressen sollen.“
Doch noch unheimlicher ist der Zustand, in den die Wespe ihr Opfer versetzt. Kakerlaken sind nicht die klügsten Tiere, aber sie sind keine Automaten, sie können lernen, planvoll handeln, darum sind sie uns so lästig. Die Wespe schaltet diese Fähigkeiten, die man als primitive Form eines freien Willens bezeichnen könnte, durch ihren präzisen Eingriff ins Hirn der Kakerlake aus. So macht sie sich diese untertan. Die Substanz, die sie ihr zu diesem Zweck injiziert, enthält übrigens Dopamin, einen Neurotransmitter, der auch in unserem Hirn wirkt – und Antrieb und Motivation beeinflusst.
Das ist nur ein Beispiel für Parasiten, die das Verhalten ihrer Wirte in ihrem Sinn manipulieren. Viele tun das, um in den nächsten Wirt zu kommen: Egel bewirken, dass Fische in die Luft hüpfen und sich so gierigen Vögeln ausliefern. Würmer lotsen Grillen ans Wasser, Fressfeinden entgegen. Der Einzeller Toxoplasma gondii lässt Ratten die Angst vor dem Geruch von Katzenurin verlieren – und macht diesen für sie sogar attraktiv: eine fatale Anziehung.
Wie macht Toxoplasma das? Er wirkt direkt im Hirnzentrum, das für Angst zuständig ist, in der Amygdala. Dort bewirkt er, dass mehr vom Hormon Vasopressin produziert wird. Das dürfte die Angst verringern. Risikofreudiger? Nun werden auch Menschen mit Toxoplasma infiziert, sie seien aber „zumeist symptomlos“, liest man etwa auf Wikipedia. Jaroslav Flegr, ein Parasitologe an der Prager KarlsUniversität, glaubt das nicht. Er hat einige Arbeiten, die nahelegen, dass Toxoplasmose den Charakter von Menschen beeinflusst. Ja, er glaubt, dass er selbst befallen ist: Toxoplasma habe ihn risikofreudiger gemacht. Die Begegnung mit Flegr, einem Katzenliebhaber, zählt zu den schönsten Szenen im – leider (noch?) nicht auf Deutsch übersetzten – Buch „This Is Your Brain on Parasites“(Verlag: Houghton Mifflin Harcourt) der US-Wissenschaftsjournalistin Kathleen McAuliffe, die bei aller Seriosität gern mit dem Grusel spielt, was ihr Thema ja durchaus nahelegt. Da ist etwa die Korrelation zwischen Geisteskrankheit und Katzenbesitz. Mit der „cat craze“der Londoner und Pariser Boh`eme im späten 18. Jahrhundert sei die Schizophrenie häufiger geworden. Allerdings scheint die Kausalität nicht eindeutig: Es könnte auch sein, dass Neigung zur Schizophrenie die Liebe zu Hauskatzen steigert.
Ein Argument Flegrs wirkt ebenfalls wacklig: „Der Parasit kann nicht wissen, dass er in unserem Hirn ist und nicht in dem einer Ratte“, sagt er. Das mag sein. Aber es ist schwer vorstellbar, dass er in uns genauso schalten und walten kann wie im – doch deutlich kleineren – Rattenhirn, an das er sich im Lauf einer längeren Evolution angepasst hat.
Überhaupt ist es wohl leichter, ein einfaches Zentralnervensystem punktgenau zu manipulieren, als das höchst komplizierte, von Individuum zu Individuum unterschiedliche Menschenhirn. Eine gezielte Injektion durch Parasiten, die aus uns Zombies macht wie im obigen Beispiel aus der Küchenschaben, ist schwer vorstellbar.
Und doch: Dass Krankheiten unser Verhalten beeinflussen und damit die Verbreitung der Erreger optimieren, ist naheliegend. Dass ein Schnupfen uns niesen lässt, fördert seine Verbreitung. Das ist nicht unheimlich – im Gegensatz zum Schäumen und Beißen von Tollwütigen: Beides hilft offensichtlich, den Erreger auf andere Menschen zu übertragen. Und da ist dann noch die „rage amoureuse“, die französische Ärzte an Menschen beobachtet haben wollen, bevor diese offenkundige Symptome der Tollwut zeigten.
Bei Ratten wirkt Toxoplasma direkt in dem Hirnzentrum, das für Angst zuständig ist. »Ein wildes Tier beißt dich, und durch die Wunde dringt sein Geist in deinen Körper.«
Die Tollwut hat (zumindest in Europa) an Schrecken verloren, seit 1885 eine Impfung gegen sie entwickelt wurde – von Louis Pasteur, dem Begründer der Keimtheorie von Krankheiten. Vor dieser lag eine andere Erklärung nahe, die McAuliffe so ausdrückt: „Ein wildes Biest beißt dich, und durch die Wunde dringt sein Geist in deinen Körper. So besessen, wirst du auch zu einem wilden Tier.“Daraus – und aus Berichten über Fledermäuse und der historischen Figur des walachischen Herrschers Vlad III. Draculea˘ – speist sich der Mythos von Graf Dracula, der seine Opfer beißt. Dass Vampire wie er vor Licht, Knoblauch und Wasser zurückschrecken, leitet sich auch von Symptomen der Tollwut ab.
Seltsam, dass eine andere besiegte Geißel der Menschheit in McAuliffes Buch nicht vorkommt: die Syphilis. Bei dieser „Lustseuche“liegt ja der Verdacht besonders nahe, dass sie die sexuelle Aktivität der Kranken beeinflussen könnte. Oder gar auch andere geistige Vorgänge? Künstler waren von dieser Idee fasziniert, allen voran Thomas Mann. In seinem „Doktor Faustus“entsteht der Teufelspakt aus einer Syphilisinfektion: Es gebe „Hirnspezialisten unter den Kleinen“(den Bakterien Treponema pallidum), „Liebhaber der zerebralen Sphäre“, erklärt der Satan dem Komponisten Adrian Leverkühn. So sei dessen Inspiration, ja Genialität durch die Infektion katalysiert . . .
Zurück zur Wissenschaft: „Ich kenne keine direkten Belege dafür, dass sexuell übertragene Krankheiten die Libido der Patienten steigern, aber ich vermute, dass die Sache eine Untersuchung wert ist“, schrieb Richard Dawkins 2006, seine Anregung wurde offenbar bisher nicht aufgegriffen.