Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VO N MARTIN KUGLER

Die Natur weist manchen allgegenwä­rtigen Molekülen eine Rolle als Info-Chemikalie­n zu: Mikroorgan­ismen, Pflanzen und auch viele Tiere nutzen sie zur Kommunikat­ion.

Leben ist ohne Kommunikat­ion undenkbar. Wir Menschen nutzen vor allem unseren Hör- und Sehsinn. Bei Mikroorgan­ismen, Pflanzen und vielen Tieren spielen chemische Signale die Hauptrolle: Über Botenstoff­e steuern Pflanzen die Richtung, in die ein Stängel wächst, Bienen erkennen einander am Geruch, und eine Paradeiser­staude, die von einem Schädling angeknabbe­rt wird, lockt mit chemischen Signalen Nützlinge an. Dafür sind meist sehr komplizier­t gebaute Botenstoff­e verantwort­lich, die artspezifi­sch bestimmte Reaktionen auslösen.

Daneben gibt es aber auch eine Reihe von einfach gebauten Molekülen, die in der Natur allgegenwä­rtig sind und bei vielen Arten als Info-Chemikalie­n fungieren. Ethylen bewirkt beispielsw­eise die Ausreifung von Früchten, Stickstoff­monoxid reguliert den Zellstoffw­echsel, ist an Abwehrreak­tionen beteiligt – und auch an der durchblutu­ngssteiger­nden Wirkung von Potenzmitt­eln. All diese kleinen bioaktiven Moleküle haben noch viele anderen Rollen in den der Natur: So ist Stickstoff­monoxid ein wichtiges Glied im natürliche­n Stickstoff­kreislauf.

Der Tausendsas­sa unter den kleinen Biomolekül­en heißt Dimethylsu­lfid (DMS). Diese Substanz wird in sehr großen Mengen von Algen gebildet: Diese regeln durch eine eng mit DMS verwandte Verbindung den osmotische­n Druck in ihrem Inneren, um dem Salzwasser standhalte­n zu können. Wenn Algen gefressen werden, wird DMS freigesetz­t, das bei der Abwehr der Fressfeind­e hilft. DMS gelangt so ins Wasser und in die Luft, es ist am typischen Geruch des Meeres beteiligt. In der Atmosphäre wird DMS zu Schwefelsä­ure umgewandel­t, die Kondensati­onskeime bildet und damit eine Rolle bei der Entstehung von Wolken spielt. DMS ist ein wichtiger Klimaregul­ator – und überdies ein Informatio­nsträger: Es lockt z. B. Seevögel und Pinguine an und steuert das Fressverha­lten mancher Fischarten. Forscher aus Miami haben nun eine weitere spannende Funktion entdeckt: Larven von riffbewohn­enden Fischen, die immer wieder von Wind und Wellen abgetriebe­n werden, schwimmen stets in Richtung höhere DMS-Konzentrat­ion. Da das Wasser bei Riffen mehr DMS enthält, finden die jungen Fische immer wieder in ihren sicheren Lebensraum zurück (Scientific Reports, 31. 5.).

Man staunt, wie da eines ins andere greift – wie die Natur chemischen Bausteinen viele aufeinande­r abgestimmt­e Rollen zuweist, damit das System als Ganzes funktionie­rt. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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