Die Presse am Sonntag

Lichtgesta­lt an der Seitenlini­e

Zin´edine Zidane verlor mit Juventus zweimal das Champions-League-Finale, mit Real Madrid gewann er als Spieler und Trainer. Sein System? Wenig reden, mehr sehen – noch mehr lachen.

- VON MARKKU DATLER

Alte Liebe zur „Alten Dame“, Erinnerung­en an einen ehemaligen Arbeitgebe­r, das Wiedersehe­n in einem wichtigen, womöglich sogar historisch­en Endspiel, Gefühlslag­e, Aufregung, Befindlich­keiten im Umgang mit den Stars der Gegenwart: es gab kaum eine Frage, der sich der Franzose Zinedine´ Zidane vor dem Champions-League-Finale gegen Juventus in Cardiff nicht stellen musste. Vergleiche wurden bemüht, seine Rolle als ehemaliger Weltklasse­spieler, der nun auch als Trainer unglaublic­h Erfolg hat, beleuchtet. Zidane schaute, grinste, er sprach leise, ja besonnen. „Erfolg im Fußball ist nicht die Errungensc­haft eines Einzelnen.“

Im Jänner 2016 war Zidane, der bis dahin bei Castilla, der B-Mannschaft der „Königliche­n“, seine ersten Trainerspu­ren hinterlass­en und Spieler wie den Österreich­er Philipp Lienhart betreut hatte, zu den Profis des „Weißen Balletts“gekommen. Der Weltmeiste­r von 1998, Europameis­ter von 2002, Weltfußbal­ler, Champions-League-Sie- ger mit Real 2001 und Marco Materazzis Alptraum (Kopfstoß im WM-Finale 2006) sollte wieder herstellen, was der Spanier Rafael Ben´ıtez vor ihm zerstört hatte: Rangordnun­g, System, die Anmut des Spiels bei Real Madrid.

Zidane, einst selbst Spielgesta­lter der „Galaktisch­en“rund um Beckham, Brasiliens Ronaldo, Roberto Carlos und Rau´l, sollte Diven wie Bale, Benzema, Modric,´ James und Cristiano Ronaldo vereinen. Nichts anderes hat der Franzose, stolzer Vater von vier Söhnen, getan. Er wirkt auch auf dem Fußballpla­tz, an der Seitenlini­e, wie ein Vater. Und wem, wenn nicht ihm, hören Superstars zu? Zidane hat alles gewonnen, er hat es jedem gezeigt – egal zu welchen Preis.

Was im August 2000 mit einer schlichten Serviette, die ihm Klubchef Florentino Perez´ auf einer Uefa-Gala mit der Aufschrift „Willst du für Real spielen?“gereicht hatte – Zidane nickte und kam wenige Monate später für 73,5 Millionen Euro Ablöse aus Turin –, ist heute eine erfolgreic­he Zusammenar­beit auf höchster Ebene. Zidane räumt nun auch als Trainer schonungsl­os Vorurteile aus dem Weg, wie er einst Gegenspiel­er hinter sich gelassen hat. Dass der Sohn algerische­r Einwandere­r aus Marseille es als Trainer so weit bringen konnte, hielten viele für unmöglich. Ronaldo geformt. Dafür hat er sich auch verändern müssen, Zidane musste lernen. Er spreche zwar noch immer nicht viel, zeige jedoch Wege auf, rückt Fronten zurecht, berichtet „Marca“: „Er hat es geschafft, Mitläufern wie James das Gefühl gegeben, dass sie wichtig sind, dazugehöre­n, dass Real, dass er sie braucht.“Zidane beging auch nicht den Kapitalfeh­ler wie Ben´ıtez, überheblic­h aufzutrete­n und einem „Ballon d’Or“-Gewinner wie Ronaldo mit Skizzen zu erklären, wie er denn einen Freistoß zu schießen habe. Er machte mit ihm einen Wettkampf im Training, Hunderte Schüsse – auf ein Ziel. Stange, Kreuzeck, Latte. Wer gewonnen hat, wurde nie verraten. Das größte Kunststück aber war, einem Alphatier und Star, der immer mehr verlangte und erreichen wollte, beizubring­en, dass er weniger machen musste. Regenerati­on, Ruhe, das waren Begriffe, die er erst von „Zizou“lernte.

Reals Spieler hören nun genauer zu, weil er eine respektier­te Größe, ein ehemaliger Galactico,´ einer der besten Fußballer aller Zeiten ist. Manch einer meint sogar, dass Zidane den größten Beitrag dazu geleistet habe, dass Portugal die EM 2016 gewann. Er hat den Superstar geformt, aber er hat auch Real ein neues Erscheinun­gsbild aufgeprägt. Ronaldo spielt als 32-Jähriger nicht nur besser denn je, er ist auch fitter denn je. Er haushaltet mit seinen Reserven, Kräften und Ideen. So, wie einst Zidane auch gespielt hat – es waren nicht nur, aber stets wichtige, über-

Siege

Clarence Seedorf gewann als einziger viermal die Königsklas­se mit drei Vereinen: 1995 (Ajax), 1998 (Real), 2003 & 2007 (AC MIlan). Vierfachsi­eger sind auch Andres Iniesta, Lionel Messi und Xavi mit Barcelona (2006, 2009, 2011, 2015) und Gerard Pique (2008 mit Manchester United, 2009, 2011, 2015 Barcelona).

Siege

Liverpools Bob Paisley (1977, 1978 und 1981) ist der einzige Trainer, der drei Mal mit einem Klub diese Trophäe gewinnen konnte. Carlo Ancelotti gewann dreimal mit zwei Klubs: 2003 & 2007 (AC Milan), 2014 (Real). aus grelle Glanzlicht­er, die alles überstrahl­ten.

Binnen fünf Monaten gewann Zidane 2016 die Champions League. Heuer führte er Real zum ersten Titel in La Liga seit 2013, das erste Double seit 1958 schien gegen Juventus keine Illusion. Nun stehen Vergleiche mit anderen Trainern an, die durch Extravagan­z glänzen wie Jose´ Mourinho, durch Spielideen wie Pep Guardiola, durch Energie wie Diego Simeone oder durch Einzigarti­gkeit wie Arrigo Sacchi, der mit dem AC Milan 1989 und 1990 das Kunststück geschafft hat, den Titel im Cup der Landesmeis­ter zu verteidige­n. Nur, soll respektive muss eine Figur wie Zidane kategorisi­ert werden? Traumhafte­s Volleytor. Es sind sechs Endspiele, die fast alles über den Spieler Zidane aussagen. Das erste, mit 1:3 verlorene CL-Finale mit Juventus gegen Dortmund 1997, er war komplett „abgemeldet“. 1998 unterlag Juventus Real mit 0:1, erneut blieb Zidane erschrecke­nd unauffälli­g. Gegen Lever-

»Er gab Mitläufern das Gefühl, dass sie dazugehöre­n, dass Real Madrid sie braucht.« Arrigo Sacchi gewann mit dem AC Milan 1989 und 1990 den Cup der Landesmeis­ter.

kusen schoss er Real 2001 mit seinem herrlichen Volleytor zum Triumph. 1998 und 2002 führte er Frankreich zu WM- und EM-Ehren. 2006 schrieb er mit dem Kopfstoß eine ganz andere WM-Geschichte. Als Trainer blieb der CL-Coup vom Vorjahr (5:3 nach Elfern gegen Atletico)´ vorerst unerreicht.

All das ist für ihn erst der Anfang. Auf der Bank hat er seine Ruhe, kann beobachten, reagieren, dirigieren. Mit Real hat er bereits fast alles gewonnen, irgendwann wird er Frankreich­s Teamchef. Dann will er als Dritter nach Ma-´ rio Zagallo und Franz Beckenbaue­r als Spieler und Betreuer den WM-Pokal gewinnen. Dann stünde er auf einer Stufe mit Marcello Lippi, der die WM (2006) und die CL (1996) als Trainer gewinnen konnte. Und dann?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria