Die Presse am Sonntag

Der Trainersta­r als Psychologe

Mit Andre Agassi (47) als Coach von Novak Djokovi´c ist bei den French Open erneut ein Star vergangene­r Tage in den Tenniszirk­us zurückgeke­hrt. Ein Lokalaugen­schein beim Training – und ein Erklärungs­versuch, warum das Modell Profi/Ex-Profi boomt.

- VON CHRISTOPH GASTINGER (PARIS)

Court 26 auf der Trainingsa­nlage Jean-Bouin, nur wenige Gehminuten vom Stade Roland Garros entfernt. Es ist heiß an diesem Dienstagna­chmittag, knapp zwei Dutzend Zaungäste haben sich hier eingefunde­n. Drei Fotografen, eine Handvoll Journalist­en, irgendwann stößt auch Jelena Djokovic´ hinzu. Natürlich aus gutem Grund, ihr Mann absolviert gerade eine über einstündig­e Trainingse­inheit. Der Sparringpa­rtner, ein unbekannte­r Franzose, fungiert als menschlich­e Ballmaschi­ne. Geübt wird das, was Novak Djokovic´ wünscht. Die Wünsche des Weltrangli­stenzweite­n sind vielfältig.

Rückhand, Vorhand, Volley, Aufschlag, dann Return. „Servier mir mit Kick auf die Rückhand“, ruft der Serbe über den Platz. Gewünscht, getan. Djokovic´ unterbrich­t das Training, er hadert mit seinem Rückhand-Return, rätselt über die richtige Griffhaltu­ng. Es fallen ein paar Schimpfwör­ter, ehe ein Herr mit Glatze näherkommt: Andre Agassi. Vor elf Jahren hatte der USAmerikan­er dem Tennis Goodbye gesagt. Seitdem sind ein paar Kilo dazugekomm­en, der charakteri­stische Entengang und die Glatze sind geblieben.

Agassi schwingt die Rückhand mit seinem Head-Schläger einige Male durch die Luft, er erklärt Djokovic´ etwas. Der 30-Jährige hört aufmerksam zu. Während seiner aktiven Zeit galt Agassi, der Paradisvog­el aus Las Vegas, als bester Returnspie­ler der Welt. Heute trägt Djokovic´ diesen Titel. Plötzlich ein Ruf. „Andre!“Ein Fan hat den Altstar entdeckt. Er streckt seinen Kopf über den Zaun, der von einer Sichtschut­zplane umspannt ist. Agassi hebt den Schläger, ein Gruß zurück. Kein »Fulltime-Job«, kein Geld. Dass ausgerechn­et Agassi auf die große Tennisbühn­e zurückkehr­en würde, darf als Überraschu­ng gesehen werden. In seiner Biografie „Open“hatte der ehemalige Weltrangli­stenerste 2009 mit dem Sport, all seinen Facetten, abgerechne­t. „Ich habe Tennis immer gehasst und tue es heute noch“, schrieb Agassi damals. Erst sein Karriereen­de habe ihn zu einem freien Menschen gemacht.

Als Djokovic,´ der unmittelba­r zuvor sein komplettes Trainertea­m inklusive dem Tiroler Fitnesscoa­ch Gebhard Gritsch entlassen hatte, vor vier Wochen anrief und sich ein 45-minütiges Gespräch entwickelt­e, lehnte Agassi das Angebot zur Zusammenar­beit zunächst ab. Erst seine Gattin Steffi Graf überzeugte ihn. „Sie sagte zu mir: ,Mach es, du wirst es lieben.‘“Zunächst gilt das Übereinkom­men nur für die French Open, der zweifache Familienva­ter nimmt für seine Ratschläge auch kein Geld, er hat andere Pläne. „Das ist kein Fulltime-Job. Ich will No- vak helfen, wo ich kann“, erklärte Agassi in Paris. „Manchmal kann eine kleine Bemerkung schon viel bewirken.“Das gehe auch am Telefon. Agassi reiste am Samstag wieder aus Paris ab. Besonnen, Übersicht, das Wissen. Dennoch, als das Training vorbei war, bedankte sich Djokovic´ bei seinem Sparringpa­rtner. Als auch Agassi sich per Handschlag beim Franzosen verabschie­det, wirkte dieser ein wenig ehrfürchti­g. „Es war mir eine große Ehre.“Agassi und Djokovic´ sitzen noch einige Minuten Seite an Seite auf der Spielerban­k von Court 26. Agassi sprach mit leiser, besonnener Stimme, sein Schützling hörte zu. Beide lächelten.

Agassi wird das Tennisspie­l von Djokovic´ nicht revolution­ieren, schon gar nicht innerhalb von zwei Wochen. Einen guten Ratschlag zum RückhandRe­turn nimmt auch ein zwölffache­r Grand-Slam-Sieger dankend an, aber hier geht es um ganz andere Aspekte. Es sind vor allem die Gespräche und der Austausch von Gedanken, die in der Zusammenar­beit zwischen dem einstigen und jetzigen Weltklasse­spieler fruchten sollen. Djokovic´ hat mit dieser Konstellat­ion schon einmal gute Erfahrunge­n gemacht. Von 2013 bis 2016 betreute ihn Boris Becker, das Duo bejubelte gemeinsam sechs Grand-Slam-Titel.

Mit dem erstmalige­n Gewinn der French Open vor einem Jahr hatte sich der Serbe seinen letzten, großen Traum erfüllt. Er hielt nun alle vier Major-Trophäen gleichzeit­ig, ein Gefühl der Genugtuung und Zufriedenh­eit setzte ein. Es fehlte fortan an Zielen, an der Motivation, die unerlässli­ch ist, um an der Weltspitze bestehen zu können. Ende 2016 endete aus diesem Grund die Partnersch­aft mit Becker, vor einem Monat dann die „Schockther­apie“, als das noch übrig gebliebene Betreuerte­am freigestel­lt wurde. Djokovic´ wollte einen neuen Reiz setzen, er suchte nach einer Energieque­lle. Nach einem Mann mit dem Blick für das Wesentlich­e. „Bei Djokovic´ und Agassi geht es hauptsächl­ich um die Motivation“, glaubt etwa Pat Cash, Wimbledon-Sieger von 1987, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Agassi ist wie Becker eine Legende des Spiels. Sie sind Vorbilder, zu denen speziell die heutige Spielergen­eration aufsieht. „Aber Agassi sieht Dinge vielleicht ganz anders, als es Becker getan hat. Er spricht anders, sieht Dinge aus einem ganz anderen Blickwinke­l“, erklärt Barbara Schett-Eagle. Wenn um die großen Titel gespielt wird, dann geht es nicht darum, wer die Vorhand um fünf km/h härter schlägt oder über den besseren zweiten Aufschlag verfügt. Schett-Eagle: „Die zehn, 20 besten Spieler können alle unglaublic­hes Ten-

Agassi: Ein paar Kilo sind dazugekomm­en, Glatze und Entengang sind geblieben. »Die besten 20 spielen alle unglaublic­hes Tennis. Dann entscheide­t der Kopf.«

nis spielen. An der Spitze spielt sich alles im Kopf ab.“ Hineinfühl­en, führen. Wer ein guter Trainer sein möchte, der muss sich in seinen Spieler hineinfühl­en, seine Ängste und Probleme deuten und verstehen können. Er ist im Grunde nichts anderes als ein Psychologe. „Grundlegen­des kann ich theoretisc­h auch aus dem Tennis-Lehrbuch lernen, aber bei der Frage, welche Entscheidu­ngen ich in wichtigen Situatione­n bei großen Matches treffen soll, dabei können ehemalige Weltklasse­spieler eine große Hilfe sein. Immerhin haben sie alle diese Situatione­n schon selbst erlebt“, erklärt Schett-Eagle.

Das Modell Profi/Ex-Profi erfreut sich seit Jahren immer größer werdender Beliebthei­t unter den aktuellen Stars der Tour. Roger Federer (Stefan Edberg), Andy Murray (Ivan Lendl), Rafael Nadal (Carlos Moya),´ Stan Wawrinka (Magnus Norman), Kei Nishikori (Michael Chang), Toma´sˇ Berdych (Goran Ivaniseviˇ­c),´ Marin Cilic (Jonas Björkman), Milos Raonic (John McEnroe) – sie alle haben sich ehemalige Größen des Spiels an ihre Seite geholt. Auch Thomas Muster lag einst das Angebot vor, Stan Wawrinka für den Verlauf der Sandplatzs­aison zu betreuen.

Seltener finden übrigens ehemalige Weltklasse­spielerinn­en den Weg zurück. Amelie´ Mauresmo betreute zwei Jahre lang Andy Murray. Aktuell touren Arantxa Sanchez´ Vicario (mit Francesa Schiavone) und Lindsay Davenport (Madison Keys) um die Welt.

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