Die Presse am Sonntag

Vom Verlieren und Wiederfind­en

Anna Gavalda hat ihrem Erzählband »Ab morgen wird alles anders« Menschen porträtier­t, die den Mut verloren haben und trotzdem nicht aufgeben. Berührend.

- VON CLEMENTINE SKORPIL

Ein Mann bringt seinen alten Hund zum Tierarzt. Er muss eingeschlä­fert werden. Jeannot – Lkw-Fahrer – will den Hund natürlich nicht der Tierkörper­verwertung überlassen, er sucht eine geeignete Stelle, ihn zu bestatten. Der eigentlich­e Hund aber ist ganz woanders begraben: Vor Jahren ist Jeannots Sohn gestorben – sein ganzes Leben lang kränklich, erliegt er im Teenageral­ter seinem Asthma. Seither ist die Ehe, schon vorher nicht wirklich gut, kaputt. Jeannot schläft im Keller des Hauses. Und dann verliert er auch noch den Hund.

Mathilde ist eine fröhliche, oberflächl­iche Studentin, die in einer WG mit zwei langweilig­en Schwestern wohnt. Die Wohnung muss renoviert werden – Mathilde soll die Handwerker ausbezahle­n, bekommt von ihren Mitbewohne­rinnen Geld. Viel Geld, zehntausen­d Euro in bar – und verliert sie. Lässt ihre Handtasche in einer Spelunke stehen. Als sie es bemerkt und zurückkehr­t, ist alles weg. Handtasche, Geld, Identität in Form von Ausweisen, Schlüsseln, Kreditkart­en, Telefon – und einem Brief. Morgen wird alles anders. Es sind Geschichte­n von Menschen, die sich in ihrem Leben nicht zurechtfin­den, die wissen, dass sie etwas ändern müssen: Morgen wird alles anders. Wie oft denken wir diesen Satz? Wie wenig setzen wir ihn um. Die Menschen in Anna Gavaldas Erzählunge­n tun das – sie sind verzweifel­t genug.

Gavaldas Protagonis­ten sind keine Helden, auch keine Intellektu­ellen. Vollkommen uneitel lässt die Autorin ihren Figuren die jeweils eigene Sprache, die manchmal geradezu simpel anmutet, obwohl Gavalda auch ganz anders schreiben kann. Lässt sie einen Schriftste­ller – selbstiron­ischerweis­e keine sympathisc­he Figur – zu Wort kommen, wechselt sie ansatzlos zu vollmundig, prall, bilderreic­h, poetisch – auch das ungekünste­lt.

Die Sprache aber ist es auch, anhand derer wir die Entwicklun­g der Menschen mitvollzie­hen. Während Mathilde zu Beginn fast ausschließ­lich Banales von sich gibt, werden Gedanken und damit Worte, Sätze vielstimmi­ger, bunter, tiefer, als Mathilde sich

 ?? 4 Andreas Mueller ?? Anna Gavaldas wohldosier­te Ironie lässt ihr Buch trotz erkennbare­r Botschafte­n nicht ins Kitschige abgleiten.
4 Andreas Mueller Anna Gavaldas wohldosier­te Ironie lässt ihr Buch trotz erkennbare­r Botschafte­n nicht ins Kitschige abgleiten.
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