Die Presse am Sonntag

»Plötzlich schwarz« Wie der Sechstagek­rieg zwei Familien prägte

Anfang Juni 1967 kämpfte Israel gegen Ägypten, Jordanien und Syrien. Der Junikrieg hat die Geografie der Region verändert – und ganze Familien auseinande­rgerissen. Zu Besuch bei Ruthi Langotsky und Mohammed Burkan, die sich an die schmerzhaf­te Vergangenh­e

- VON SUSANNE KNAUL

Sie weint, noch bevor sie zu reden beginnt. Ruthi Langotsky, 79, feingliedr­ig, elegant in dunkler Stoffhose, grauer Bluse und Jäckchen, ist sorgsam frisiert, trägt dezent aufgetrage­nen Lidschatte­n und Lippenstif­t, goldene Ohrstecker. Kein graues Haar lässt auf ihr Alter schließen. Als der Krieg ausbrach, wohnte sie mit ihrem ersten Mann Jakob Eylam, geborener Buchmann, und ihrem dreieinhal­bjährigen Sohn Alon in Abu Tor, direkt an der Grenze zwischen Westund Ostjerusal­em. Wie viele Israelis hatte Buchmann seinen Namen hebräisier­t. „Wenn ich auf die Straße ging“, erinnert sich seine Frau, „winkte ich den jordanisch­en Soldaten auf der anderen Seite zu, und sie winkten zurück.“Ruthi arbeitete als Fremdsprac­henkorresp­ondentin, Jakob studierte im vierten Jahr Medizin.

„Chubi“, wie sie ihren Mann, der einer israelisch­en Fallschirm­jägereinhe­it angehörte, liebevoll nennt, „war schon ein paar Tage vor Kriegsausb­ruch in den Reservedie­nst einberufen worden“. Ägypten hatte Truppen im Sinai stationier­t. Radio Kairo hetzte auf Hebräisch, man werde „die Juden ins Meer werfen“, erinnert sie sich.

Der Palästinen­ser Mohammed Burkan hatte bis zum Junikrieg 1967 „noch nie einen Juden gesehen“. Damals war er 21 Jahre alt und hörte den Geschichte­n der Leute zu, die über Massaker berichtete­n, von dem Dorf Dir Jassin, wo jüdische Untergrund­kämpfer im April 1948 willkürlic­h Hunderte Kinder, Frauen und Männer mordeten. Von „meinem Opa“erfuhr er als Kind, dass es auch andere Juden gab, nette Nachbarn, die der Großvater in seinem Haus in Hebron versteckte und ihnen zur Flucht verhalf, als 1929 Araber ein Massaker unter den Juden in der Stadt anrichtete­n. In den 1940er-Jahren zogen die Eltern Burkans von Hebron in die Altstadt von Jerusalem. Mohammeds Vater kaufte ein Zimmer im Jüdischen Viertel und später mit dem Geld vom Verkauf des Grundstück­s in Hebron ein Stück Land in Beit Chanina, wo sie eines Tages „wie früher“wieder Datteln und Trauben anbauen wollten.

Für die beiden Familien Burkan und Eylam nahm das Leben mit dem Sechstagek­rieg eine plötzliche Wende. Mohammed und Ruthi, beide sind heute in ihren Siebzigern, waren damals jung, frisch verheirate­t und Eltern von Kleinkinde­rn, bis der Krieg und die Besatzung ihrem Glück ein Ende machte. Ruthi Eylam verlor ihren Mann Jakob, Mohammed Burkan sein Haus. Seine Eltern waren die letzten Araber, die aus dem Jüdischen Viertel der Altstadt vertrieben wurden.

„Es war die schönste Zeit in meinem Leben“, denkt Burkan zurück an seine Kindheit, obwohl er in großer Armut aufwuchs. Jordanien regierte über das Westjordan­land und Ostjerusal­em. „Der Polizeikom­mandant in der Altstadt spielte sich auf, als sei er der König selbst“, berichtet Burkan in nahezu Ruthi Langotskys erster Ehemann Jakob war Sanitäter bei den israelisch­en Fallschirm­jägern. fehlerfrei­em Hebräisch. „Am liebsten hätte er es gehabt, dass wir ihm die Stiefel lecken.“ Sanitäter am Tempelberg. Schon im Alter von 15 Jahren verdiente Mohammed als Laufbursch­e einer Bäckerei jeden Tag ein paar Fils, die alte jordanisch­e Währung, um seinem Vater unter die Arme zu greifen, der anfangs bei den Briten und später bei den Jordaniern im Rathaus putzte und kleine Reparature­n erledigte. Die ganze Familie lebte, kochte, aß, schlief und wusch sich im selben Zimmer. Die Toilette im Hof teilten sie sich mit den Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen.

Burkan trägt eine weiße, gehäkelte Kopfbedeck­ung, einen gleichfall­s weißen Kaftan, den er bis zum Hals und an den Ärmeln zugeknöpft hat, und der über seinem mächtigen Bauch etwas spannt. Der Stoppelbar­t ist grau. Burkans Tochter Kaussa bringt auf einem Tablett Tee mit frischen Pfeffermin­zblättern. Je zur vollen Stunde ertönt aus einer goldfarben­en Plastikwan­duhr der durchdring­ende Ruf des Muezzins. In der Ecke brummt der Kühlschran­k.

Burkan war der älteste Sohn von insgesamt acht Kindern. Nach seiner Hochzeit und der Geburt des ersten Kindes ließ er sich als Anstreiche­r anlernen und verdiente genug, um im Haus seiner Eltern ein zweites Zimmer zu mieten. Schon Wochen vor den ersten Schüssen „lag der Krieg in der Luft“. Die Araber in der Altstadt bildeten Gruppen mit jeweils mehreren Männern, die zu Sanitätern ausgebilde­t werden sollten. Burkan hatte das Kommando über die Gruppe, die für die Umgebung vom Tempelberg zuständig sein würde. „Wir sollten einen Kurs machen, aber der fiel immer wieder aus“, berichtet er. „Wir hatten keine Ahnung, was zu tun ist, keine Medikament­e, kein Verbandsze­ug, nichts.“

Der Krieg begann am Montag um acht Uhr morgens. Ruthi Eylam hatte Angst – nicht um sich und ihren Sohn, sondern um ihren Mann. Es gab Gerüchte, dass die Fallschirm­jäger über Ägypten abspringen sollten, um die Fluglandep­lätze zu sprengen. „Das wäre reiner Selbstmord gewesen.“Spä- ter wurde der Plan geändert, aber davon wusste sie zu diesem Zeitpunkt nichts. Sie lief zum Kindergart­en, um den kleinen Alon zu holen und wollte dann gleich wieder nach Hause, falls ihr Mann anrufen sollte. Damit, dass

Damit, dass Jordanien in den Krieg verwickelt sein würde, rechnete Langotsky nicht. Gerade 30 Jahre war Jakob Eylam alt, als er fiel. Er war Pazifist, sagt seine Witwe.

auch Jordanien in den Krieg verwickelt werden würde, rechnete sie nicht. Panzergesc­hosse. „Der Himmel war blau, es war ein wunderbare­r sonniger Tag.“Ruthi Eylam kam zum Kindergart­en und machte sich zusammen mit ihrem Sohn auf den Heimweg, als „plötzlich alles schwarz um uns wurde“. Aus allen Richtungen, so fühlte es sich für sie an, kamen die Panzergesc­hosse. Sie rannte mit Alon an der Hand zu

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