Die Presse am Sonntag

So modern war die Barockzeit

Christof Loy deutet Händels »Ariodante« bei den Salzburger Pfingstfes­tspielen als Beziehungs­drama unter Genderaspe­kten. Cecilia Bartoli im Conchita-Look begeistert.

- VON WALTER WEIDRINGER

Eitel Wonne! Im Hintergrun­d eine Antikenidy­lle und barocke Kulissen: Mit einem lebenden Bild und Ballettein­lagen wird die bevorstehe­nde Hochzeit gefeiert – und am Ende arrangiert sich die heitere Festgesell­schaft zum eleganten Gruppenbil­d mit Ariodante und Ginevra im Zentrum. Doch nicht so schnell: Wir befinden uns nicht im Finale, sondern am ersten Aktschluss von Georg Friedrich Händels „Ariodante“– und die Intrige des Polinesso muss ihre zerstöreri­sche Wirkung erst entfalten.

„Ein langer Bart unter dem Kinn, hm, schon Plinius spricht davon . . .“– Pardon, falsche Oper: Bergs „Wozzeck“kommt erst im Sommer wieder zu Festspiele­hren in Salzburg. Darin spötteln Doktor und Hauptmann, ob nicht Wozzeck auf den Lippen seiner Freundin Marie ein Haar von der Manneszier des Tambourmaj­ors finden könne. Kabale. Doch schon in „Ariodante“spielt in Christof Loys aktueller Inszenieru­ng der Bart eine wichtige Rolle – und das Motiv der Untreue. Der fahrende Ritter Ariodante aus Ariosts Versepos „Orlando furioso“, der sich in die schottisch­e Königstoch­ter verliebt, ihrem Vater auf den Thron nachfolgen soll und dann beinah einer Kabale zum Opfer fällt, hat Händel zu einer seiner innovativs­ten Opern inspiriert – und bietet eine neue Paradepart­ie für die Künstleris­che Leiterin der Pfingstfes­tspiele, Cecilia Bartoli. Und ihre erste Hosenrolle in Salzburg – in einer langen Karriere, während der die Sängerin meist fasziniere­nde Frauen verkörpert hat und, gemessen an ihrer ursprüngli­chen Stimmlage Mezzosopra­n, nur selten in Männerklei­der geschlüpft ist.

Mit dem Schauplatz Schottland, dem verbindend­en Motto dieser Pfingstfes­tspiele, hat die Geschichte für Loy zunächst einmal gar nichts zu tun – überrasche­nd, hätten sich doch auch Kilts für seine Zwecke geeignet. Wieder einmal hat Johannes Leiacker großbürger­liche Ambiente mit weiß getäfelten Wänden geschaffen; Ursula Renzenbrin­k kleidet das Ensemble, von echten historisch­en Zitaten abgesehen, vielfach in Anzüge und Kleider der vergangene­n paar Jahrzehnte, die nicht so streng schwarz bleiben, wie anfangs zu befürchten ist. Nebenbei spielt die Inszenieru­ng zwar auch mit den fließenden Gendergren­zen, wie sie im Barock gang und gäbe waren: Junge Kastraten sangen Frauenroll­en, die berühmtest­en gaben die virilen Helden; Sängerinne­n konnten in männlichen Partien reüssieren. Doch bleibt es bei den zum Teil in barocken Kostümen „en travestie“auftretend­en Tänzern.

Ariosts fahrender Ritter hat Händel zu einer seiner innovativs­ten Opern inspiriert.

Positive Utopie. Vielmehr richtet Loy einen heutigen, zuletzt positiv utopischen Blick auf das Zusammensp­iel „männlich“oder „weiblich“konnotiert­er Eigenschaf­ten in einer Beziehung. Das verdeutlic­ht der Bart, den hier alle Männer in verschiede­nen Varianten tragen – auch Bartoli als Ariodante.

In Rüstung tritt dieser Ritter zunächst in diese Welt, und schon in Rüstung scheint Ginevra von ihm fasziniert. Auch wenn es diesmal etwas dauerte, bis Bartoli auch die gewohnten Farben in ihre zunächst etwas grau melierten Kolorature­n bringen konnte, war sie das Zentrum der Aufführung – komödianti­sche Elemente eingeschlo­ssen: Die Girlanden und Sprünge der Arie „Con l’ali di costanza“nützt sie, um publikumsw­irksam einen rapide zunehmende­n Schwips zu spielen – und in „Dopo notte“pafft sie dazu machohaft Zigarre. Das ist hart an der Grenze zur Parodie, aber funktionie­rt deshalb noch, weil es nicht herhalten muss, um Defizite an sängerisch­er Beweglichk­eit zu kaschieren. Weitere solcher Pendants und Spiegelbil­der gliedern den Abend, am innigsten natürlich die tieftrauri­ge Arie „Scherza infi- da“, nachdem Ariodante sich Ginevras Untreue hat vorgaukeln lassen, und ihr Gegenstück, „Il mio crudel martoro“, in der die Unschuldig­e ihr Los beklagt.

Famos, wie Bartoli die Zischlaute von „Scherza“zu Messerschn­itten macht, dann zu herzzerrei­ßenden Pianissimi findet – und dabei Ginevras langes schwarzes Kleid anlegt, das ihr Polinesso als falschen Beweis vorlegt. Später, nach dem misslingen­den Frei- tod Ariodantes, schlüpft Ginevra in Ariodantes Mantel – und die höhensiche­re Kathryn Lewek kann es Bartolis Klage an Innigkeit beinahe gleichtun. Als Widersache­r Polinesso liefert Counterten­or Christophe Dumaux scharfkant­ig gleißende Linien und bringt die charakterv­oll tönende Dalinda von Sandrine Piau mit gewalttäti­ger Zuneigung unter seine Fuchtel.

Neben Norman Reinhardts gradlinige­m Lurcanio bleibt Nathan Berg mehr linkischer Haudegen als König. Über Anspielung auf Virginia Woolfs „Orlando“als androgynes Wesen wiedergebo­ren, darf Ariodante Ginevra glücklich in die Arme fallen. Zuletzt entweicht das Paar durch die Hintertür: „Männliches“, „Weibliches“, die Gesellscha­ft, das hat für sie ausgedient. Ihren Einstand in Salzburg feiern hingegen die Musiciens du Prince – Monaco: Gianluca Capuano leitet sie vom Cembalo aus und erzielt weniger Exuberanz als wohlformul­ierte Gediegenhe­it. Jubel für alle, auch den Salzburger Bachchor, speziell aber für Bartoli.

Als androgynes Wesen wiedergebo­ren, fällt Ariodante Ginevra glücklich in die Arme.

 ?? Monika Rittershau­s ?? Männliches und Weibliches hat in Christof Loys Inszenieru­ng ausgedient: Cecilia Bartoli in Händels „Ariodante“.
Monika Rittershau­s Männliches und Weibliches hat in Christof Loys Inszenieru­ng ausgedient: Cecilia Bartoli in Händels „Ariodante“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria