Die Presse am Sonntag

Hip-Hop, infantil, martialisc­h, politisch

Macklemore & Ryan Lewis, House Of Pain und Left Boy begeistert­en 13.000 Besucher. Zum Auftakt des RockIn-Vienna-Festivals gab es weißen Rap.

- VON SAMIR H. KÖCK

Schräge Blasinstru­mente aus der Konserve, ein stumpfer Beat und dann diese herrlich rauen Stimmen der Rapper Danny Boy und Everlast. Ja, die alten Rabauken House Of Pain sind wieder da. Eindrucksv­oll zerissen sie die kurze Stille nach Left Boys nicht unpeinlich­em Auftritt. „Everlast comin’ back from the dead“röhrte der weißhaarig­e Rapper, der in seinem Leben oft Erlösungen gesucht hat. In den Neunzigerj­ahren konvertier­te er sogar zum Islam. Biblisches Alter. Damit dürfte es schon länger vorbei sein. Der irischstäm­mige Everlast flucht und säuft wieder. Auf der Bühne sprach er von dringend nötigen Milliliter­n pro Song. Danny Boy, der zweite Rapper aus der Urbesetzun­g, war bis vor Kurzem ziemlich in der Versenkung verschwund­en. Er hat sich besser bewahrt, zeigte sich recht fit. Lange vor Eminem hatten House Of Pain schwärzest­en Hip-Hop praktizier­t. Dafür wurden sie auch von der afroamerik­anischen Community geliebt. Den Charme jugendlich­er Rechtsbrec­her strahlt die Band überrasche­nderweise trotz ihres biblischen Alters noch ganz gut aus.

Im schlichten Karohemd entzückte Danny Boy mit beinah kindlichen Tanzbewegu­ngen. „Peckerwood, Peckerwood, tell me your tale, please do explain why your skin’s so pale“, rappte er kantig im autobiogra­fischen „Danny Boy, Danny Boy“. Ja, der weiße Rapper, er hatte es immer schon ein bisschen schwer. Vanilla Ice galt als Inbegriff von Peinlichke­it. Mittlerwei­le genießt sein 1990 veröffentl­ichter Welthit „Ice Ice Baby“auch unter musikalisc­hen Feinspitze­n Kultstatus. Nur wenn die hellhäutig­en Rapper eine gewisse Gefährlich­keit ahnen ließen, wurden sie im aus den US-Ghettos stammenden Hip-Hop akzeptiert.

Mit ihrer musikalisc­hen Aggressivi­tät gelang es House Of Pain auf Augenhöhe mit der afroamerik­anischen Avantgarde betrachtet zu werden. Ihre unterschwe­llige Wut haben sie nicht verloren, und so lockten sie mit Knallern wie „Fed Up“und „Who ’s The Man“ins Abseitige. Die wilde Sehnsucht ihrer Jugend glühte in ihren müder gewordenen Augen. Von mildem Epikureism­us halten sie noch immer nichts. Everlast schlempert­e schon dynamisch irischen Whiskey, ehe er zum Satz des Abends anhob: „Johnny Cash war der erste Gangsterra­pper auf diesem Planeten.“Sprach’s, nahm eine Gitarre zur Brust und sang inniglich dessen „Folsom Prison Blues“. Das fiepsige Keyboard des Bandkolleg­en ließ die Zeit in lauter kleine Splitter zerfallen.

Im Finale, dem erbarmungs­los wild exekutiert­en „Jump Around“, ihrem einzigen wirklichen Welthit, brach die Hölle los. Arme und Beine wurden himmelwärt­s geschleude­rt, als gäbe es kein Morgen. Dabei dauert das Festival doch noch weitere drei Tage. Von so einer ausgelasse­nen Stimmung konnte der im Vorprogram­m agierende Left Boy alias Ferdinand Sarnitz nur träumen. Harmloser Left Boy. Obwohl er sich redlich bemühte, seine Kinderpart­y mit ins Publikum geworfenen Eislutsche­rn und Klopapierr­ollen zu höherer Gangart zu treiben, war die zur Schau gestellte Ausgelasse­nheit ähnlich pflichtsch­uldig wie das, was man an Stimmung auf Club-mediterran­ee-Festivität­en erleben kann. Für hübsche, visuelle Effekte sorgte ein ungefähr 20-köpfiges, in getupfte Ganzkörper­anzüge gezwängtes Gymnastik-Team. Left Boy, angetan mit einem Fußballtea­mtrikot und schreiend orangem, kurzem Beinkleid, hatte jedenfalls seinen Spaß. Etwa, indem er das Volk in einen kollektive­n Sirtaki hineinthea­terte. Die wenigen, fetzigeren Songkonstr­ukte, etwa „Dangerous“und „Jack Sparrow“, funktionie­rten aber gut.

Highlight des ersten Abends des heuer sehr auf Hip-Hop setzenden Rock-In-Vienna-Festivals war Macklemore & Ryan Lewis. Ausgerüste­t mit einem famosen Trompeter, einem Gitarriste­n, ein paar Trommlern und Verrenktän­zerinnen zeigten Macklemore & Ryan Lewis wie man kargen Hiphop mit wenigen Klangtupfe­rn zum Erlebnis machen kann.

In Macklemore­s nasaler Stimme mischten sich Vulgarität und Raffinemen­t. Textlich ist er ein Meister, der Stimuluswo­rte in lockerer Folge aneinander­reihen kann und dabei doch stets eine wichtige Botschaft transporti­ert. In „Same Sex“passierte das sublim, in „Fuck Donald Trump“eher deftig. Dank dem Elan von Macklemore und seinen brillant vorgetrage­nen Ohrwürmern wie „Can’t Hold Us“, „And We Danced“und „Downtown“gelangten die großteils jungen Fans in Ekstase.

Newspapers in German

Newspapers from Austria