Die Presse am Sonntag

Als die USA das zerstörte Europa mit Milliarden retteten

Am 5. Juni 1947 hielt der damalige US-Außenminis­ter George C. Marshall seine berühmte Rede an der Universitä­t von Harvard. Darin skizzierte er ein weitreiche­ndes Wiederaufb­auprogramm für das vom Krieg zerstörte Europa. Es ging als Marshall-Plan in die Ges

- VON GÜNTER BISCHOF

Die Zerstörung­en des Zweiten Weltkriegs wurden zum Ausgangspu­nkt für den Marshallpl­an. Viele Städte lagen in Trümmern, in weiten Teilen Europas, wie auch in Österreich, gab es Engpässe bei der Nahrungsmi­ttelversor­gung. Der Wirtschaft fehlten Rohstoffe und Arbeitskrä­fte, das Transportw­esen lag am Boden. 1947, zwei Jahre nach dem Krieg, hatten sich die österreich­ische Landwirtsc­haft und Industrie noch nicht von den Verwüstung­en erholt. Die USA finanziert­en Österreich­s Handelsbil­anzdefizit von gut 200 Millionen USDollar pro Jahr mit verschiede­nen Überbrücku­ngsprogram­men.

Nach der enttäusche­nden Moskauer Außenminis­terkonfere­nz im März und April 1947 setzte US-Chefdiplom­at George C. Marshall seine wichtigste­n Mitarbeite­r in Bewegung, um ein Wiederaufb­auprogramm für den gesamten darniederl­iegenden europäisch­en Kontinent auszuarbei­ten. Am 5. Juni hielt er seine berühmte Rede an der Harvard-Universitä­t und bat die Europäer um ihre Vorstellun­gen zu einem solchen Programm, in dem die europäisch­e Zusammenar­beit im Mittelpunk­t stehen würde.

Ende Juni wurde eine Konferenz in Paris einberufen, an der auch der sowjetisch­e Außenminis­ter Wjatschesl­aw Molotow noch teilnahm. Für die Nachfolgek­onferenz sagten die Sowjetunio­n ihre Teilnahme dann ab. Josef Stalin zwang die Satelliten­staaten in Ostereurop­a, ihre Teilnahme ebenfalls zu stornieren. Damit war die Teilung Europas entlang der ideologisc­hen Trennlinie­n des Kalten Krieges besiegelt. Nervosität in Wien. Angesichts der Absagen in der östlichen Nachbarsch­aft reagierte Außenminis­ter Karl Gruber äußerst nervös wegen der österreich­ischen Teilnahme am European Recovery Program (ERP), wie das Programm genannt wurde. Gruber gab Gesandten Alois Vollgruber die Marschrich­tung für die Pariser Nachfolget­agung vor:

Günter Bischof und Hans Petschar

„Der Marshall-Plan. Die Rettung Europas und der Wiederaufb­au Österreich­s“Brandstätt­er Verlag 336 Seiten 49,90 Euro Das Buch ist ab 21. Juni im Handel erhältlich. Günter Bischof ist der Marshallpl­anProfesso­r für Geschichte und Direktor des Austrian Marshall Plan Center for European Studies an der Universitä­t von New Orleans. Hans Petschar ist Historiker und Direktor von Bildarchiv und Grafiksamm­lung an der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek. Er ist Gastprofes­sor an der University of New Orleans. „mit sanften Pfoten gehen“. Die Europäer suchten um Hilfe in der Höhe von insgesamt 22 Milliarden Dollar an.

Dieses Ersuchen musste aber zunächst dem amerikanis­chen Volk und dem US–Kongress „verkauft“werden, weshalb die Regierung eine groß angelegte Werbeaktio­n für das Programm ins Leben rief. In der Sowjetunio­n brandmarkt­e Moskau dagegen in einer massiven Propaganda­kampagne das als Marshallpl­an bekannte Programm als „imperialis­tische“Unterjochu­ng Europas durch die Vereinigte­n Staaten. Bedrohtes Österreich. Erst nach dem Prager Putsch im Februar 1948 ließ sich der US-Kongress überzeugen, dass ein ERP notwendig sein würde, wollte man in Westeuropa die Gefahr einer kommunisti­schen Machtübern­ahme durch Coups (wie in Ungarn 1947 und der Tschechosl­owakei 1948), oder in freien Wahlen (Italien 1948) verhindern. So wurde im April das ERP beschlosse­n – und die massiven Hilfsliefe­rungen liefen an. Der Kongress verabschie­dete schlussend­lich ERP-Hilfsmitte­l in Höhe von 14 Milliarden USDollar, über vier Jahre aufgeteilt (1948-52). Österreich wurde als eines vom Kommunismu­s am meisten bedrohten Länder gesehen.

Das amerikanis­che Besatzungs­element in Wien war umsichtig genug, ERP-Mittel auch in die sowjetisch­e Ostzone fließen zu lassen, womit eine Teilung des Landes verhindert wurde. Die Ostzone Österreich­s wurde damit zum einzig von der Sowjetunio­n besetzten Teil Europas, der am ERP teilnahm.

Österreich verkaufte sich dabei immer wieder geschickt als ein „special case“(„Sonderfall“), um mehr amerikanis­che Wirtschaft­shilfe zu ergattern. Der „special case“beruhte auf Österreich­s schwierige­r geopolitis­cher Lage am Rande des Eisernen Vorhangs sowie der Sowjetunio­n als Besatzungs­macht im Land, die aus ihrer Zone unentwegt „Reparation­en“abführte. Am Ende erhielt Österreich etwa so viel amerikanis­che Wirtschaft­shilfe wie die Sowjets an Reparation­en entnahmen: jeweils rund 1,8 Milliarden US-Dollar.

Österreich erhielt anfangs hauptsächl­ich Nahrungsmi­ttelhilfe, um die Bevölkerun­g vor dem Hunger zu bewahren. Mit vollen Mägen würden die Menschen auch besser arbeiten und zum Wiederaufb­au beitragen können, lautete das Kalkül. Auch die Industrie bediente sich der Marshallpl­an-Mittel.

Die brillante Idee, die amerikanis­chen Hilfsliefe­rungen auf den heimischen Märkten zu verkaufen und die daraus erlösten „Gegenwertm­ittel“(Counterpar­ts) in Nationalba­nkkonten anzulegen, um daraus Investitio­nen tätigen zu können, gab der österreich­ischen Regierung dann die Mittel in die Hand, um den Wiederaufb­au in kritischen Sektoren der Grundstoff­wirtschaft voranzutre­iben: Stahl, Eisen und Metalle, Elektrizit­ät, sowie Bergbau. Obwohl das Wirtschaft­sforschung­s-Institut heftig für Investitio­nen der Counterpar­ts in die Konsumgüte­rindustrie plädierte, wurde die Grundstoff­industrie bevorzugt.

Österreich wurde als ein vom Kommunismu­s besonders bedrohtes Land gesehen.

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