»Da wollen Sie eine Prognose machen?«
Auch Peter Filzmaier überraschen manche Wahlausgänge. Mit der Verkündung von Neuwahlen hat nun auch der Politikwissenschaftler Hochsaison. Der »Presse am Sonntag« erzählt er, warum Facebook die Summierung der Stammtische ist – und dass Medien und Meinungs
Herr Filzmaier, denkt der Österreicher zu Wahlkampfzeiten anders als zu Nichtwahlkampfzeiten? Peter Filzmaier: Ich antworte als Sozialwissenschaftler und spreche über Tendenzen. Und da sind die Österreicher extrem wahlkampfmüde, aber nicht wahlmüde. Es herrscht Verdrossenheit über Kampagnen und Inszenierungen. Bei der Bundespräsidentschaftswahl lag nach einem Jahr Wahlkampf die Wahlbeteiligung im letzten Durchgang am höchsten. Da sind wir unter jenen Ländern, die keine Wahlpflicht haben, führend. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das politische Interesse in Wahlkampfzeiten wirklich steigt. Es steigt das Interesse an der medialen Darstellung von Politik. Analysieren ist die eine Sache, Verstehen die andere. Gibt es politische Vorkommnisse, die Sie nicht nachvollziehen können? Jede Menge. Da bin ich bei Sir Karl Popper: Selbst wenn wir eine Theorie haben, dann gilt sie nur so lange, bis sie falsifiziert ist. Zum Beispiel wird als wichtiges Wahlmotiv die soziale und wirtschaftliche Lage angegeben. Und das, was subjektiv als schlecht empfunden wird, widerspricht oft objektiven Wirtschaftsdaten. Trotzdem ist es ein klares Mehrheitsgefühl in der Bevölkerung. Es ist ebenso nicht simpel, wenn Terroranschläge passieren und die Sicherheitsängste steigen. Es wird auch immer schwieriger, die Wahltendenzen in der Bevölkerung einzufangen, das haben in letzter Zeit viele Umfragen gezeigt. Sehen Sie die Meinungsforschung in der Krise? Ich sehe sehr lange schon die völlige Unmöglichkeit, zum Zeitpunkt der Umfrage das Wahlverhalten in mehreren Monaten oder Wochen vorherzusagen. Die Zahl der Stammwähler ist dramatisch zurückgegangen, die Zahl der Wechselwähler gestiegen – oder ins Nichtwählerlager gewandert. Wir haben im weitesten Sinn bis zu 80 Prozent Wähler, die irgendwann einmal eine andere Partei gewählt haben. Und ein Viertel versteht sich als Wechselwähler. Wenn sie dreimal dieselbe Partei wählen, bekommen sie fast die emotionale Krise. Zehn Prozent entscheiden sich überhaupt erst am Wahltag. Bei der deutschen Bundestagswahl mit den Spitzenkandidaten Schröder und Merkel (2005, Anm.) haben sich 42 Prozent erst in den letzten zwei, drei Wochen entschieden. Da wollen sie eine Prognose machen? Sollen wir dann noch Umfragen machen? Umfragen schon, auf die politische Einstellung bezogen – aber nicht auf die Sonntagsfrage: „Wie geht eine Wahl aus?“Mein Vorwurf an Meinungsforscher lautet nicht, dass sie das nicht können. Eher, dass manchmal von Medien und Meinungsforschung zu sehr die Kristallkugel gesucht wird. Sind Sie aber nicht auch auf diese Daten angewiesen? Daten werden oft als Zahlen missverstanden. Wir arbeiten mit sogenannten Fokusgruppen zusammen, das sind moderierte Gespräche in unterschiedlichen Milieus, und zwar nach einem Gesprächsleitfaden, der sozialwissenschaftlich designt ist. Der Nachteil für die Medien ist, hier bekommen sie keine genauen Zahlen und keine Grafiken. Für uns ist es aber wichtig, weil es viel mehr in die Tiefe geht. Welcher Wahlausgang hat Sie allen Daten und Analysen zum Trotz überrascht? Wir haben einen Vorteil: Wir sind mit unseren Wahlmotivforschungen ab
1967
Peter Filzmaier wird in Wien geboren. Er studierte Politikwissenschaften, Publizistik und Jus an der Uni Wien. Promotion und Habilitation. Filzmaier arbeitet zunächst als Lehrbeauftragter an den Unis Wien, Salzburg und Innsbruck. Seit ist er als Leiter des Departements für Politische Kommunikation an der Donau-Uni Krems tätig, seit Professor für Politische Kommunikation an der Uni Graz. Für den ORF analysiert Filzmaier Wahlen, er war auch politischer Kommentator in verschiedenen Zeitungen.
2010 2005
Donnerstag vor der Wahl im Feld und bekommen laufend Zwischenergebnisse. Ich rechne aber immer mit der Überraschung: Professionalität ist es, alle möglichen Szenarien vorzubereiten. Aber natürlich: Bei der vorletzten Kärntner Landtagswahl haben wir schon damit gerechnet, dass das damalige BZÖ – Liste Jörg Haider Erster wird. Aber nicht annähernd mit dieser Größe des Vorsprungs (2009 erhielt das BZÖ 45 %, Anm.). Wir haben auch nicht erwartet, dass bei der Wiener Landtagswahl die SPÖ so viel Vorsprung vor der FPÖ bekommen würde. Um bei Politik und Medien zu bleiben: Ist Österreich verhabert? Alfred Gusenbauer meinte einmal: In Wien gibt es zwei Quadratkilometer Regierungsviertel, da treffen sich immer die gleichen Leute, erzählen sich immer das Gleiche, und gefährlich wird es dann, wenn sie glauben, so sei die Welt. Sein Fehler war vielleicht, dass er dies Journalisten und Politikern erzählt hat, die wohl selbst Teil der zwei Quadratkilometer sind. Aber er hat inhaltlich nicht unrecht gehabt. Sind Sie Teil der zwei Quadratkilometer? Österreich ist nicht nur geografisch, sondern auch medial kleinräumig. Wir haben die höchste Medienkonzentration in Europa, nicht nur auf die Zahl der Titel, sondern auch auf die Eigentümerverhältnisse bezogen. Da würde man sich mehr Pluralismus wünschen. Wir hatten mit Ausnahme Albaniens die längste Zeit ein Monopol des Rundfunks. Das halte ich für problematisch. Ich sehe es als Privileg an, nicht nur im Ausland, sondern auch innerhalb Österreichs in unterschiedlichsten Bundesländern tätig gewesen zu sein. Vor einigen Jahren gab es ja Kritik an Ihrer Arbeit für Parteien. Das war eine vom ORF spät gelöste Frage. Ich habe seit mittlerweile sieben Jahren – meines Wissens nach als einziger Politikwissenschaftler in Österreich – einen Vertrag mit dem ORF, der jegliche Tätigkeit für politische Parteien ausschließt, egal ob Vortrag oder Studie, egal welche Ebene. Dafür habe ich einen Vertrag mit dem ORF und dafür bekomme ich Geld. Durch sein Monopol hat der ORF lange Zeit Analytiker nicht bezahlt. Was die Öffentlichkeit betrifft: Es ist gut und richtig, wenn man kritisiert wird, solange es auf der inhaltlichen, sachlichen Ebene bleibt. Das gilt auch für Politiker. Da sind Sie ebenfalls kritisiert worden, für den Satz „Er ist plemplem“, als es um Frank Stronach ging. Bereuen Sie das? Das Interview nicht, aber ich würde ein anderes Eigenschaftswort verwenden. Es ging nicht um eine persönliche Kränkung, sondern um die politische Handlungsweise. Was, glaube ich, aus den Zusammenhängen erkennbar sein sollte. Das von Stronach zur Politik Gesagte empfinden Zuseher oft als wirr und unlogisch, das wollte ich damit sagen. Wenn es um die Kritik geht, haben wir heute in den sozialen Medien das Phänomen, dass nicht inhaltlich diskutiert, sondern drauflosbeleidigt wird. Ist Twitter die überspitzte Form des Stammtisches? Noch mehr Facebook, weil es breitenwirksamer ist. Facebook ist die Summierung von unzähligen Stammtischen, die sich vernetzen. Das Spektrum reicht von Verhaltensauffälligkeit bis hin zu Demokratiefeindlichkeit oder Hass. Als Werkzeug selbst sind Facebook und Twitter ja neutral und können für die Bereicherung der Meinungsvielfalt genutzt werden. Die Politik hat die Problematik der Hasspostings – reichlich spät – erkannt und versucht, gegenzusteuern. Der Wahl- . . . ob Sie sich als zielstrebigen Menschen bezeichnen? Ja. Da prägt der Beruf Wissenschaftler das Private: Wissenschaftler denken langfristig und strukturiert. Dafür machen die spontanen, verrückten Sachen umso mehr Spaß. Ich habe auch schon Verrücktes angestellt, das aus guten Gründen nicht in der Zeitung steht. . . . ob Sie in Ihrem Alltag auch in Wahrscheinlichkeiten denken? Nein, ich bin auch in der Lage, ein Fußballmatch anzusehen, ohne dass ich die Teams vorher analysieren muss. Übrigens, da lässt sich meine Überzeugung in fünf Buchstaben zusammenfassen: Barca. . . . warum spanischer Fußball? Die Einstellung beeindruckt mich. Wenn Österreich von den Olympischen Winterspielen ohne eine Medaille zurückkommt – was dann im Blätterwald los wäre! Spanien schätzt mehr, dass es um die Sache geht. Dass die Welt nicht untergeht, wenn ein Turnier schiefläuft. kampf ist aber nicht die sinnvollste Zeit, die großen Lösungen zu erwarten. Zurück zu Ihren Analysen: Welches Bundesland finden Sie am spannendsten oder am schwersten zugänglich? Das ist am Rande einer Fangfrage, denn bei einer Aussage habe ich acht Bundesländer gegen mich! In Österreich ist der Regionalstolz stark ausgeprägt, das ist für ein kleines Land schon bemerkenswert. In Kärnten herrscht ein extremes Benachteiligungsgefühl, kritischer formuliert: ein Minderwertigkeitskomplex. Und umgekehrt ist es in Tirol der extreme Nationalstolz. Ich finde den Unterschied faszinierend, aber beides gleich spannend. Der Arzt ist in seinem Bekanntenkreis oft Ansprechpartner für medizinische Probleme. Wie oft müssen Sie in Ihrer Freizeit Politik erklären? Das kommt immer wieder vor. Ich diskutiere auch gern. Aber ähnlich wie der Arzt, der um Mitternacht wohl nicht über Verdauungsprobleme sprechen will, sage ich auch: „Ich möchte nicht die Unappetitlichkeiten des Wahlkampfs bei der Party diskutieren. Jetzt bin ich in einer anderen Rolle da.“ Wie lange will oder kann man Österreich Österreichs Wahlverhalten erklären? Wenn es für mich keine Spannung mehr gibt, dann höre ich auf. Und was wäre dann Ihr Alternativjob? Von Weltreise bis Bücherschreiben ist alles möglich. Mein Kollege Claude Longchamp, der in der Schweiz die Wahlanalysen macht, hat sich ein Jahr zurückgezogen und macht jetzt eine Weltreise. Ich finde das toll. Aber natürlich hat man auch Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber. Von heute auf morgen weggehen, das ist eher ein theoretisches Modell.