Die österreichischen Cowboys in der russischen Taiga
Einst bauten sie Wohnungen für heimkehrende Sowjetsoldaten. Dann starteten sie den Handel mit Kunstdärmen. Inzwischen züchten die beiden Österreicher Gernot Klammer und Martin Putzhammer als erste und einzige Ausländer in Russland widerstandsfähige Fleisc
Stellenweise bis zu 185 Kilometer in der Stunde zeigt das Tachometer an diesem Montagvormittag im grauen Chevrolet Tahoe mit seinen 350 PS. Wären nicht die vielen Ortsdurchfahrten und schrillen Radarwarnungen, und wären obendrein nicht die Schlaglöcher, die mitunter zu Schlaggruben ausgewachsen sind, man könnte die 486 Kilometer glatt in drei Stunden zurücklegen. Abwechselnd am Steuer versuchen Gernot Klammer und Martin Putzhammer mit aggressiven Überholmanövern wettzumachen, was die rückständige Infrastruktur versagt. Zeit ist Geld, und Benzin in Russland billig. Am Ende brauchen wir dennoch den halben Tag von Moskau Richtung Nordosten in das Gebiet Kostroma. Von Russlands Metropole in die tiefe Provinz.
Hier, wo 1613 Michail Romanow mit seinen gerade einmal 16 Jahren als Erster der nachmaligen Dynastenfamilie zum Zaren erkoren wurde, bestim- men noch heute die Zwiebeltürmchen der mittelalterlichen Kirchen die Silhouette der Gebietshauptstadt. Hier, wo das Kulturerbe selbst von den Bombardements der Hitler-Truppen im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont blieb, rühmen sich die Leute noch heute, die besten Juwelenerzeuger des Landes zu sein. Und hier am Südwestrand der Taiga, wo der gleichnamige Fluss Kostroma in die Wolga mündet, hat auch das österreichische Unternehmerduo Klammer und Putzhammer die Basis für ihr landwirtschaftliches Großunternehmen geschaffen. Bedarf Ende nie. Zwischen 1300 und 1600 Rinder halten sie gemeinsam mit einem russischen Partner und etwa 40 Mitarbeitern in den hiesigen Weiten der kargen Taiga. Zu den 7000 Hektar im Eigentum kommen 22.000 Hektar in Pacht. Was viel klingt, war dennoch bis dato nur ein ständig wachsender Testbetrieb, um umfassendes Know-how für die Fleischrinderzucht unter den örtlichen Bedingungen zu sammeln. Demnächst schon werden 30.000 Rinder ihrer Firma Galloway Kostroma im Hinterland von Kostroma weiden. „Die Sache wird richtig explodieren“, wie Klammer die Betriebsvergrößerung euphorisch umschreibt: „Das System steht, das Basisgerüst, um den Bestand zu verzwanzigfachen, ist da.“
Der Bedarf im Land mit seinen 146 Millionen Einwohnern – die 37 Millionen in der umliegenden Eurasischen Wirtschaftsunion nicht eingerechnet – ebenso. Zwar wurde Russland auch bei der Rindfleischversorgung in den vergangenen Jahren zunehmend autonomer. Aber immer noch muss ein Drittel zur Deckung der Nachfrage importiert werden. Ganz im Unterschied etwa zu Hühner- und Schweinefleisch, von denen Überschüsse auch dank des Importembargos auf westliche Agrarprodukte produziert und dank des billigeren Rubels mittlerweile bereits exportiert werden. Bei Getreide, speziell Weizen, ist das ohnehin so. Millionen mit Kunstdärmen. Die beiden Österreicher haben die Marktlücke ziemlich früh erkannt. Im Jahr 2005 – alle redeten angesichts der Rohstoffhausse nur von Öl und Gas – importierten sie drei Lastwagen mit Stieren und Kalbinnen der schottischen Robustrasse Galloway aus Österreich ins Land. Dabei hatten Klammer und Putzhammer mit Landwirtschaft bis dahin nur sehr indirekt zu tun gehabt, mit Russland selbst hingegen viel und direkt. Schon 1993 waren sie als Bauleiter des damaligen Baukonzerns Maculan ins Land gekommen, um nahe der nordrussischen Stadt Tver Wohnungen für die aus der implodierten DDR zurückkehrenden sowjetischen Soldaten zu errichten.
»Diese Rinder sind nicht anspruchsvoll. Gute Futterverwerter eben.«
Wenige Jahre später stiegen sie in Moskau mit einer eigenen Firma in den Import von Kunstdärmen für die Wurstproduktion aus Belgien ein, der bis heute das blühende Kerngeschäft bildet und jährlich um rund zehn Prozent wächst. „Gut 20 Millionen Laufmeter pro Jahr“, so Klammer, der sich bei der Umsatzangabe nicht festnageln lässt: „Ein hoher einstelliger Millionenbetrag.“ Dominante Gene. Draußen auf den Feldern von Kostroma tummeln sich derweil die zotteligen Galloway-Stiere in den langen sonnigen Tagen des Nordens kurz vor der Sommersonnenwende. Zwischendrin trotten heimische Milchkühe auf der Suche nach jungen Grashalmen nach dem langen Winter. Um die Reinrassigkeit und den Mischungsgrad der Tiere zu bestimmen, braucht es ein fachmännisches Auge. „Wir betreiben hier Verdrängungskreuzung“, so Putzhammer: „Das dominante Gen des Galloway-Stieres setzt sich gegenüber der heimischen Kuh durch.“Es ist allemal billiger und schneller, mittels dieser Kreuzungen Galloway-Rinder vor Ort zu vermehren, als solche zu importieren, zumal sie in der gewünschten Menge weltweit ohnehin nicht zu haben sind. Später werden die Nachkommen teils mit Rindern der noch fleischigeren Rasse Angus gekreuzt. Es gehe bei der Zucht um Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten, so Klammer. Diese sind in der Tat rau. Vergangenen Winter fielen die Temperaturen auf minus 45 Grad. Der Winter dauert sechs Monate. Gallo-