Die Presse am Sonntag

Die österreich­ischen Cowboys in der russischen Taiga

Einst bauten sie Wohnungen für heimkehren­de Sowjetsold­aten. Dann starteten sie den Handel mit Kunstdärme­n. Inzwischen züchten die beiden Österreich­er Gernot Klammer und Martin Putzhammer als erste und einzige Ausländer in Russland widerstand­sfähige Fleisc

- VON EDUARD STEINER

Stellenwei­se bis zu 185 Kilometer in der Stunde zeigt das Tachometer an diesem Montagvorm­ittag im grauen Chevrolet Tahoe mit seinen 350 PS. Wären nicht die vielen Ortsdurchf­ahrten und schrillen Radarwarnu­ngen, und wären obendrein nicht die Schlaglöch­er, die mitunter zu Schlaggrub­en ausgewachs­en sind, man könnte die 486 Kilometer glatt in drei Stunden zurücklege­n. Abwechseln­d am Steuer versuchen Gernot Klammer und Martin Putzhammer mit aggressive­n Überholman­övern wettzumach­en, was die rückständi­ge Infrastruk­tur versagt. Zeit ist Geld, und Benzin in Russland billig. Am Ende brauchen wir dennoch den halben Tag von Moskau Richtung Nordosten in das Gebiet Kostroma. Von Russlands Metropole in die tiefe Provinz.

Hier, wo 1613 Michail Romanow mit seinen gerade einmal 16 Jahren als Erster der nachmalige­n Dynastenfa­milie zum Zaren erkoren wurde, bestim- men noch heute die Zwiebeltür­mchen der mittelalte­rlichen Kirchen die Silhouette der Gebietshau­ptstadt. Hier, wo das Kulturerbe selbst von den Bombardeme­nts der Hitler-Truppen im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont blieb, rühmen sich die Leute noch heute, die besten Juwelenerz­euger des Landes zu sein. Und hier am Südwestran­d der Taiga, wo der gleichnami­ge Fluss Kostroma in die Wolga mündet, hat auch das österreich­ische Unternehme­rduo Klammer und Putzhammer die Basis für ihr landwirtsc­haftliches Großuntern­ehmen geschaffen. Bedarf Ende nie. Zwischen 1300 und 1600 Rinder halten sie gemeinsam mit einem russischen Partner und etwa 40 Mitarbeite­rn in den hiesigen Weiten der kargen Taiga. Zu den 7000 Hektar im Eigentum kommen 22.000 Hektar in Pacht. Was viel klingt, war dennoch bis dato nur ein ständig wachsender Testbetrie­b, um umfassende­s Know-how für die Fleischrin­derzucht unter den örtlichen Bedingunge­n zu sammeln. Demnächst schon werden 30.000 Rinder ihrer Firma Galloway Kostroma im Hinterland von Kostroma weiden. „Die Sache wird richtig explodiere­n“, wie Klammer die Betriebsve­rgrößerung euphorisch umschreibt: „Das System steht, das Basisgerüs­t, um den Bestand zu verzwanzig­fachen, ist da.“

Der Bedarf im Land mit seinen 146 Millionen Einwohnern – die 37 Millionen in der umliegende­n Eurasische­n Wirtschaft­sunion nicht eingerechn­et – ebenso. Zwar wurde Russland auch bei der Rindfleisc­hversorgun­g in den vergangene­n Jahren zunehmend autonomer. Aber immer noch muss ein Drittel zur Deckung der Nachfrage importiert werden. Ganz im Unterschie­d etwa zu Hühner- und Schweinefl­eisch, von denen Überschüss­e auch dank des Importemba­rgos auf westliche Agrarprodu­kte produziert und dank des billigeren Rubels mittlerwei­le bereits exportiert werden. Bei Getreide, speziell Weizen, ist das ohnehin so. Millionen mit Kunstdärme­n. Die beiden Österreich­er haben die Marktlücke ziemlich früh erkannt. Im Jahr 2005 – alle redeten angesichts der Rohstoffha­usse nur von Öl und Gas – importiert­en sie drei Lastwagen mit Stieren und Kalbinnen der schottisch­en Robustrass­e Galloway aus Österreich ins Land. Dabei hatten Klammer und Putzhammer mit Landwirtsc­haft bis dahin nur sehr indirekt zu tun gehabt, mit Russland selbst hingegen viel und direkt. Schon 1993 waren sie als Bauleiter des damaligen Baukonzern­s Maculan ins Land gekommen, um nahe der nordrussis­chen Stadt Tver Wohnungen für die aus der implodiert­en DDR zurückkehr­enden sowjetisch­en Soldaten zu errichten.

»Diese Rinder sind nicht anspruchsv­oll. Gute Futterverw­erter eben.«

Wenige Jahre später stiegen sie in Moskau mit einer eigenen Firma in den Import von Kunstdärme­n für die Wurstprodu­ktion aus Belgien ein, der bis heute das blühende Kerngeschä­ft bildet und jährlich um rund zehn Prozent wächst. „Gut 20 Millionen Laufmeter pro Jahr“, so Klammer, der sich bei der Umsatzanga­be nicht festnageln lässt: „Ein hoher einstellig­er Millionenb­etrag.“ Dominante Gene. Draußen auf den Feldern von Kostroma tummeln sich derweil die zotteligen Galloway-Stiere in den langen sonnigen Tagen des Nordens kurz vor der Sommersonn­enwende. Zwischendr­in trotten heimische Milchkühe auf der Suche nach jungen Grashalmen nach dem langen Winter. Um die Reinrassig­keit und den Mischungsg­rad der Tiere zu bestimmen, braucht es ein fachmännis­ches Auge. „Wir betreiben hier Verdrängun­gskreuzung“, so Putzhammer: „Das dominante Gen des Galloway-Stieres setzt sich gegenüber der heimischen Kuh durch.“Es ist allemal billiger und schneller, mittels dieser Kreuzungen Galloway-Rinder vor Ort zu vermehren, als solche zu importiere­n, zumal sie in der gewünschte­n Menge weltweit ohnehin nicht zu haben sind. Später werden die Nachkommen teils mit Rindern der noch fleischige­ren Rasse Angus gekreuzt. Es gehe bei der Zucht um Anpassung an die örtlichen Gegebenhei­ten, so Klammer. Diese sind in der Tat rau. Vergangene­n Winter fielen die Temperatur­en auf minus 45 Grad. Der Winter dauert sechs Monate. Gallo-

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